Hermann Breitenbücher hat als junger Soldat in der Kriegsmarine gedient. Jetzt stellt sich die Frage, ob er im Alter anfällig für die NS-Ideologie war. Foto: Stadtarchiv

Das Stadtarchiv in Marbach hat den Nachlass des Marbacher Bürgers Hermann Breitenbücher erschlossen. Die Mitarbeiter sind auf Funde gestoßen, die Fragen aufwerfen.

Marbach - Der Landwirt Hermann Breitenbücher war zu Lebzeiten eine prägende Persönlichkeit in Marbach. Der „Apfelmann“, wie ihn die Dokumentarfilmerin Sabine Willmann in ihrer einfühlsam verfilmten Langzeitbeobachtung 2010 nannte, stand nicht nur an Markttagen in der Fußgängerzone im Blickpunkt, er nahm auch im hohen Alter noch am öffentlichen Leben teil und behielt nicht zuletzt durch die Übernahme seines Hauses durch den Tobias-Mayer-Verein und dessen Museumsneubau ein bleibendes Gedenken. Hermann Breitenbücher hegte in seiner Gedankenwelt aber auch Ansichten, die weitaus weniger vorzeigbar waren, als bisher angenommen.

Vertiefende Erkenntnisse über das Leben Hermann Breitenbüchers (1924-2011) bietet dessen Nachlass, der im Marbacher Stadtarchiv eingelagert ist. „Ich habe seine Sachen selbst aus seinem Haus hierhergebracht“, berichtet Albrecht Gühring. Der Leiter des Stadtarchivs ließ den Nachlass längere Zeit in den von Breitenbücher selbst verwendeten Obstkisten ruhen. Mit der systematischen Erfassung aller Gegenstände beauftragte er nun aber Steffen Maisch. Der 21-Jährige ist angehender Diplom-Archivar und absolviert in der Schillerstadt sein achtwöchiges Abschlusspraktikum. Den Kern bildet das Projekt Hermann Breitenbücher. „Es haben sich uns Facetten der Person erschlossen, die man wohl sonst nicht so mitbekommen hat“, sagt Maisch.

Die vorliegenden Erkenntnisse stimmen Maisch und Gühring nachdenklich. „Er war eine widersprüchliche Person“, erzählt Maisch. Der als bodenständig-konservativ angesehene „studierte Landwirt“ sei offenbar anfällig für rechtsradikale Ideologien gewesen. Diese Einschätzung nähre sich, so Maisch und Gühring unisono, durch Funde in Breitenbüchers Bibliothek und in seinen persönlichen Aufzeichnungen. Einschlägige Werke wie „37 Thesen gegen die Gaskammer – Freispruch für Hitler?“, „Die Juden und ihre Völkermorde aus dem Alten Testament – der Tod ist ein Meister aus Juda“ oder „Die Rassenkunde des deutschen Volkes“ kamen ebenso zum Vorschein wie Entwürfe zu Leserbriefen, die nicht veröffentlicht wurden. Die Äußerungen in den persönlichen Aufzeichnungen lassen laut Maisch den Rückschluss zu, dass Breitenbücher die Werke nicht nur las, um sich mit dem Gedankengut aus einer gefestigten ablehnenden Position heraus auseinanderzusetzen.

Hintergrund für die ideologische Anfälligkeit des Mannes, der zahlreichen Marbachern durch seine rege Teilnahme an Veranstaltungen des Schillervereins, durch Führungen zur Wasser- und Quellenvorkommen in der Altstadt sowie durch Beiträge in der Zeitung, wie etwa über das Schlittenfahren in der Niklastorstraße während seiner Kindheit am Göckelhof positiv in Erinnerung geblieben ist, könnte die nationalsozialistische Prägung in Kindheit und Jugend gewesen sein. So war Breitenbücher Mitglied der Marine-Hitlerjugend in Ludwigsburg, was auch seinen späteren Einsatz bei der Marine an der norddeutschen Küste erklärt. Wie manch anderer Zeitgenossen vertrat der Kriegsheimkehrer nach relativ kurzer englischer Gefangenschaft – er kam 1946 heim – die Meinung, es sei nicht alles schlecht gewesen, was Hitler an Werten vermitteln wollte und blendete dabei das Negative weitgehend aus. Laut Maisch und Gühring suchte Breitenbücher in Beiträgen die Verantwortung für den zerstörerischen Kriegsverlauf nicht allein bei den Verursachern. Die Olympischen Spiele 1936 in Berlin – eine Propagandaschaubühne der Nazis – verteidigte er mit dem Interesse des einfachen Volkes an den Leistungen der Sportler. Geschadet habe Hermann Breitenbücher mit seinen Ansichten aber niemand, betont Steffen Maisch.

Den Stab über Breitenbücher brechen wollen beide Archivspezialisten nicht. „Er war zeitlebens ein Suchender“, sagt Albrecht Gühring, der den Mann selbst persönlich kannte und in Vorträgen beim Schillerverein interessiert und wissbegierig erlebte. Interessante Details aus dem Leben Hermann Breitenbüchers seien seine Korrespondenzen, in denen er unter anderem christliche Werte betonte, dabei aber auch bei der Suche nach dem „idealen Menschen“ mit esoterischen Organisationen in Kontakt trat. Laut Steffen Maisch kaufte sich der Marbacher auch ein Grundstück in Paraguay, um sich dort später vielleicht einmal niederzulassen.

Nicht immer einfach ist wohl auch der Marktbetrieb gewesen. Breitenbücher stand 1997 vor Gericht. Er war beschuldigt worden, einen Jungen geschlagen zu haben, nachdem dieser eine grüne Paprika gestohlen haben sollte – was nicht stimmte, denn der Junge hatte das Gemüse zuvor an einem anderen Stand ganz regulär gekauft. Breitenbücher sprach von einer ungeschickten Bewegung aufeinander zu, die ungewollt zu einer Backpfeife geführt habe. Er sprach von einem fatalen Irrtum, entschuldigte sich bei den Eltern und strebte eine gütliche Einigung an.

Das Klischee, wonach Breitenbücher viele Sachen nicht zu Ende gebracht habe, lasse sich durch den Blick in seinen Nachlass widerlegen, berichten Maisch und Gühring. „Er hat sich mit seinem Studium der Geografie, Geologie und des Obst- und Gartenbaus vielfach beworben, so auch bei Behörden, wurde aber nie genommen“, erzählt Steffen Maisch. Danach habe er sich ständig weitergebildet. und wohl erst im Laufe der Zeit entschlossen, den Familienbetrieb vom Göckelhof aus weiterzuführen.

Das Verhältnis zum Vater Wilhelm Breitenbücher war bekanntlich belastet. „Er hat ja öfter erzählt, dass er vom Vater bei der Partei verpfiffen worden sei – er habe gemeint, der Krieg sei nicht mehr zu gewinnen“, erinnert sich Albrecht Gühring. Historisch belegt ist, dass Wilhelm Breitenbücher als ehemaliges NSDAP-Mitglied im Jahr 1949 zu 600 Reichsmark Strafe verurteilt wurde, weil er als stellvertretender Zellenleiter fungiert hatte. „Dabei scheint aber niemand zu größerem Schaden gekommen zu sein, sonst hätte man ihn wahrscheinlich zu Sühnearbeiten verurteilt“, denkt der Historiker Gühring.

Mit dem systematischen Erfassen des Nachlasses bietet sich nun die Grundlage für weitere Forschungsarbeiten zu Hermann Breitenbücher, erklärt Albrecht Gühring. Im Archiv den Nachlass eines Landwirtes und nicht nur den einer hochgestellten Persönlichkeit zu haben, sei ungewöhnlich. Eine Ausstellung über das Leben Hermann Breitenbüchers, wie er sie für 2024 anlässlich des 100. Geburtstages vorgesehen hatte, möchte Gühring vorerst nicht mehr konzipieren.