Die Kinder lieben das Theaterspiel und wachsen dabei über sich hinaus. Foto: privat

Der Kinderarzt Christoph Stolzenburg engagiert sich in Kirgistan.

Marbach - Lesen kann das Leben verändern. Was so platt klingt, hat der Marbacher Kinderarzt Dr. Christoph Stolzenburg am eigenen Leib erfahren. Denn seine Begeisterung für den kirgisischen Autor Tschingis Aitmatow hat dazu geführt, dass er dessen Heimat unbedingt einmal kennenlernen wollte. Dann kam eines zum anderen: Er hörte einen Bericht über das Land, und schließlich traf er in Marbach auch noch eine Ärztin, die sich in der heilpädagogischen Einrichtung „Ümüt – Nadjeschda“, zu Deutsch „Hoffnung“, engagiert. Damit waren die Würfel gefallen. Er folgte gern der Aufforderung, das Kinderheim in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek zu besuchen und dort die Mitarbeiter zu schulen, beispielsweise über die Bedeutung der verschiedenen Sinnesorgane bei Behinderungen. Nebenbei hat der Musikliebhaber aber auch mit den Kindern, die teils geistig, teils körperlich behindert sind, Musik gemacht und gesungen.

Zehn Jahre ist das nun her, und seither opfert Christoph Stolzenburg jedes Jahr seinen Urlaub und fährt für mehrere Wochen nach Kirgistan. Inzwischen allerdings nicht nur als Arzt, sondern auch als Theaterregisseur und Autor. Diese Aufgabe wollte er eigentlich einem Freund aus Norddeutschland übertragen, der Kinder- und Jugendtheater macht, doch das habe nicht funktioniert, erklärt der engagierte Kinderarzt. Kein Grund, deshalb die Idee aufzugeben. Und so hat Stolzenburg inzwischen schon vier verschiedene Stücke auf der Basis des kirgisischen Nationalepos „Manas“ geschrieben und auf die Bühne gebracht. Schon die erste Aufführung „war ein wunderbares Erlebnis“, erinnert er sich. Wunderbar vor allem in dem Sinn, zu welch erstaunlichen Leistungen die Kinder und Jugendlichen fähig sind, wenn man sie ihnen zutraut. So haben einige gelernt, ohne Mikrofon laut und deutlich zu sprechen, obwohl Mitarbeiter des Heims überzeugt gewesen seien, die könnten das nie und nimmer – einfach, indem Stolzenburg mit ihnen spezielle Übungen machte. Und ein Mädchen, das sehr schüchtern gewesen sei, moderiere inzwischen bei Schulfesten, freut sich der Marbacher über die positiven Auswirkungen des gemeinsamen Theaterspiels.

„Am Anfang haben die Mitarbeiter gedacht, sie würden das Stück spielen und die Kinder seien nur dabei“, erklärt der Arzt. Er habe jedoch klargestellt, dass die Kinder selbst spielen und die Erwachsenen im Hintergrund bleiben sollten. Die Stücke hat er deshalb auch speziell auf die Kinder zugeschnitten. Dabei gibt es große Sprechrollen, aber auch kleinere ohne Text, damit wirklich jeder mitmachen kann, auch die Schwerstbehinderten. „Ich hatte immer den Glauben daran, dass die Kinder und Jugendlichen das schaffen, und bis auf einen einzigen Fall hatte ich damit recht“, resümiert Dr. Stolzenburg. Das Selbstbewusstsein der jungen Kirgisen habe sich gestärkt, und sie seien auch als soziale Gruppe unglaublich zusammengewachsen. Bei den Aufführungen seien sogar der Sozialminister und andere Politiker unter den Zuschauern gewesen, und im vergangenen Jahr gab es mit einer dreitägigen Tournee ins kasachische Almaty den bisherigen Höhepunkt.

Auch für dieses Jahr war schon alles vorbereitet, das Stück war fertig und die Vorfreude auf beiden Seiten riesig. Doch dann kam Corona – „und das ist dort viel schlimmer als hier“, erzählt Stolzenburg. Zwar könne man wohl nach dem derzeitigen Stand der Dinge möglicherweise im Oktober wieder nach Kirgistan reisen, doch wahrscheinlich wird es doch Frühjahr, bis die nächste Aufführung stattfinden kann. Es will eben alles auch geplant sein.