Am 30. Juli schließt Christof Martin die Tür am FSG hinter sich, am 31. Juli geht der Flieger Richtung Singapur. Foto: Werner Kuhnle

Christof Martin verlässt nach sechs Jahren das Marbacher Gymnasium.

Marbach - Eine Schule ist nicht gut durch die Profile, die sie anbietet, sondern durch den Geist, der in ihr weht. Davon ist der 58-Jährige überzeugt – ebenso wie vom Prinzip der offenen Tür.

Der Abschied vom Arbeiten an dieser Schule und vom Leben daheim in Benningen naht. Wie viele Tage sind es noch?

Am 31. Juli fliege ich nach Singapur. Also in knapp vier Wochen ist es so weit.

Wie waren für Sie die letzten Wochen?

Eine Schule wie das FSG lässt man nicht einfach hinter sich. Dafür hat man viel zu viel an Energie, Kraft und Emotion investiert. Es geht einem also schon nach. Zumal wir in diesem Jahr einen in vielerlei Hinsicht brillanten Abiturjahrgang verabschieden.

Inwiefern ist der Jahrgang besonders?

Es haben zum ersten Mal Flüchtlinge, die erst vor drei Jahren nach Deutschland gekommen sind, beeindruckende Abiturleistungen gezeigt. Und auch Schüler, die im Einzelfall lange Zeit krank gewesen sind, haben ein tolles Abitur hingelegt. Es gab zahlreiche Spitzenleistungen, knapp ein Drittel der Abiturienten hat eine Eins vor dem Komma.

Die Stelle in Marbach war die vierte Schulleiterstelle für Sie. War sie für Sie die größte Herausforderung?

Die Herausforderungen waren immer groß, aber hier waren sie in der Tat am größten. Allein schon durch die Zahl der Schüler und Lehrer und die vielen Bereiche, die im Blick behalten werden müssen. Bei uns gibt es fünfmal so viele Aktivitäten wie an einer normalen Schule. Es gibt aber auch fünfmal so viele Konfliktfelder und alles kanalisiert sich irgendwann einmal bei der Schulleitung.

Konflikte auf ganz unterschiedlichen Ebenen vermutlich?

Ja. Schüler, Lehrer, Eltern oder von außen logistische, organisatorische Dinge. Die psychische Verarbeitung der Vorkommnisse ist vielleicht sogar die größte Herausforderung in einem so großen System wie dem FSG.

Wie meistert ein Christof Martin denn solche psychischen Herausforderungen?

Durch Sport, Ruhe und meine Frau am Abend.

Ruhe am Abend?

Wenn ich daheim bin, rede ich abends meist nicht mehr so viel und lasse die Ereignisse des Tages sacken. Wichtig ist zudem, dass meine meine Frau da ist. Da kommen wir dann auch auf andere Themen als Schule zu sprechen, sodass man abschalten kann. Daneben sind aber auch Entspannung beim Sport oder ein guter Schlaf zum Auffüllen der Batterien wichtig.

Wenn Sie zurückblicken: Was sind die Punkte, auf die Sie stolz sind, und wo wollten Sie eigentlich schon weiter sein?

Zufrieden bin ich darüber, dass wir mehrere Bereiche nicht neu, aber doch ein gutes Stück weiter entwickeln konnten. Egal ob es Englisch ist – wo es mit der Internationalen Klasse seinen Anfang genommen hatte, man einen bilingualen Zug draufgesetzt und das Internationale Abitur nachgeschoben hat. Oder das Fach Naturwissenschaft und Technik (NwT), das Herr Offermann mit dem Kollegium und viel Fachverstand aufgebaut hatte. Durch unsere Initiative ist es im Ministerium dann dazu gekommen, dass es derzeit von unseren unglaublich engagierten Kollegen bis zum Abitur zu Ende entwickelt wird. Nächstes Jahr wird es den ersten Leistungskurs NwT geben. Darüber hinaus haben wir Informatik als Wahlpflichtfach in der Mittelstufe eingeführt. Das waren gute und sinnvolle Weiterentwicklungen. Da dürfen wir alle stolz sein.

Sie haben aber auch immer großen Wert auf die pädagogische Weiterentwicklung gelegt.

Das stimmt. Und ich bin glücklich darüber, dass wir auch hier einiges geschafft haben – etwa die Rhythmisierung des Schulalltags durch das Doppelstundenmodell oder die Weiterentwicklung der Unterstützungssysteme, nicht zuletzt mit dem erst jüngst eingeführten Mentoringprogramm.

Wo wären Sie gerne weiter?

Ganz klar bei der Digitalisierung der Schule. Das ist ein Thema, das seit drei, vier Jahren schon virulent ist. Ich bin nicht der Meinung, dass man mit Digitalisierung die Probleme der Schulen löst, aber sie bringen den Schülern einen Mehrwert beim Lernprozess. Unterricht kann interessanter gemacht werden.

Woran hakt es?

Wir haben seitens der Schule die Grundlagen gelegt – etwa mit einem Medienentwicklungsplan. Warten aber auf das schnelle Internet von der Stadt. Ich hoffe, dass es im nächsten Schuljahr zum Durchbruch kommt und man anfangen kann, die Hardware in die Schule zu bringen.

Stichwort Stadt. Ihr Vorgänger Günter Offermann hat die Zusammenarbeit mit der Verwaltung immer sehr gelobt. Wie fällt Ihre Bilanz aus?

Also da muss man sagen: Die Zusammenarbeit mit Herrn Heim, der ja für den Bereich Schule zuständig gewesen ist, war nicht nur gut oder ordentlich, sondern hervorragend und vorbildlich. Aber das war nicht nur die Verwaltung, sondern auch der Gemeinderat.

Das FSG hat rund 2400 Schüler. Das ist immer wieder ein Thema. . .

Ich bin ehrlich. Als ich zum ersten Mal ins FSG gekommen bin, dachte ich: Das kann doch nicht sein, dass so viele Menschen auf so engem Raum anständig miteinander umgehen. Aber ich habe gelernt: Hier ist das möglich. Ich bin bis heute erstaunt, wie wenig an der Schule angesichts der Größe und Raumnot, die herrscht, passiert – an körperlich ausgetragenen Konflikten etwa. Das ist beeindruckend. Dass es so bleibt und wir weiter auf der Insel der Glückseligen leben können, setzt voraus, dass die Schüler und die Strukturen auch so bleiben.

Marbach ist nicht Stuttgart, und Ihr Vorgänger hat immer wieder anklingen lassen, dass es am FSG keine Drogen gibt. Würden Sie das auch unterstreichen?

Ich bin sicher, dass wir die gleichen Probleme haben wie alle anderen Schulen. Schon als ich Jugendlicher war, gab es Drogenprobleme an Gymnasien. Ich bin überzeugt, dass nicht wenige Jugendliche bis zum Abitur sicher mal Cannabis probiert haben. Was nicht bedeutet, dass ich es verharmlosen will. Wir hatten zum Beispiel jüngst ein Problem mit Alkohol in der Mittelstufe. Da haben wir zusammen mit der Polizei Infoabende für Eltern und Schüler angeboten und durchgeführt. Man muss mit solchen Problemen und Themen einfach so sensibel, aber auch so transparent wie möglich umgehen. Es nützt ja nichts, da etwas unter den Teppich zu kehren. Auch wir am FSG sind letztlich nur ein Spiegel der Gesellschaft.

Können Sie verstehen, dass jüngere Kollegen, die eine Führungsposition anstreben, Ihre Schilderung abschreckt? Also der enorme Zeiteinsatz. Oder anders gefragt: Wie schwierig wird es Ihrer Meinung nach sein, einen Nachfolger für Sie zu finden?

Generell ist es heute schwierig, Schulleitungen zu finden, und das hat in der Tat etwas mit dem gesellschaftlichen Trend der Work-Life-Balance zu tun. Ich weiß von kleineren Gymnasien, die zwei, drei Jahre niemanden gefunden haben, aber man kann auch Glück haben und es geht um einiges schneller. Insgesamt kann man eine Schule natürlich auch nur verwalten – und das mit durchaus normalen Arbeitszeiten. Aber ich glaube, dass sich das dann auf die Qualität der Schule auswirkt. Ich bin überzeugt, dass es beim Lehrerberuf grundsätzlich – und dann natürlich auch bei einer Führungsposition – mehr in Richtung Berufung gehen muss als in Richtung Job. Sie müssen mit dem Herzen dabei sein, weil sie auch nur dann Herzensbildung durch Schüler betreiben können. Und das hat etwas mit Überzeugung zu tun. Für mich ist Schule schon auch mein Leben. Ich habe das Leben in der Schule sehr gerne.

Was würden Sie der Schule gern noch auf den Weg mitgeben?

Die Kinder sollen weiter das Wichtigste für die Lehrer sein. Sie müssen im Mittelpunkt aller Überlegungen stehen. Das setzt voraus, dass dies pädagogische Haltung von oben vorgelebt wird. Denn nur dann kann ich es auch von Lehrkräften einfordern, beziehungsweise dafür werben. Schule wird nicht gut durch Profile oder großartige Infrastruktur, sondern durch den Geist, den die Menschen versprühen, die an einer Schule arbeiten.

 

Das komplette Interview lest ihr in der Zeitungsausgabe vom 9. Juli 2019.