Hier saugen die Ferkelchen unbeschwert. Aber schon kurz nach der Geburt werden die männlichen Tiere kastriert. Florian Petschl sagt, dazu gibt es derzeit im Prinzip keine praktikable Alternative. Foto: Werner Kuhnle

Tierschützer kritisieren Kastration ohne Betäubung. Landwirte sehen keine praktikable Alternative.

Marbach - Ritzratz, zack – und ab. Etwa 15 Sekunden braucht man mit einer geübten Hand, um ein Ferkel zu kastrieren. Nur 15 Sekunden, sagen viele Landwirte. 15 Sekunden können eine Ewigkeit sein, sagen hingegen Tierschützer und verweisen auf die Qualen, die mit der Prozedur verbunden seien. Die Diskussion hat längst auch den Gesetzgeber erreicht, der wie die Kritiker grundsätzlich Handlungsbedarf sieht. Der Bund möchte es verbieten, die Hoden der Ferkel ohne Betäubung zu entfernen. Die neue Vorgabe sollte schon Anfang 2019 greifen. Doch Ende November wurde mit großer Mehrheit in Berlin entschieden, die bislang schon geltende Übergangsfrist um weitere zwei Jahre zu verlängern – was den Tierschützern nun sauer aufstößt.

„Diese Nachricht hat uns verstört wie lange keine mehr“, ärgert man sich beispielsweise bei Foodwatch. Die Tiere seien nur wenige Tage alt, „wenn sie diese blutige und schmerzhafte Tortur über sich ergehen lassen müssen“. Dabei gebe es längst sanftere Alternativen, nämlich einen Impfstoff. Doch die Landwirte entschieden sich für einen anderen Weg, weil billig produziert werden solle. „Es gibt praktikable Alternativen zum bisherigen Verfahren, aber die sind ihnen schlicht zu teuer“, heißt es zusammenfassend in einer Stellungnahme von Foodwatch zu dem Thema. Auch PETA ist unzufrieden mit der jüngsten Entwicklung bei dem Thema. „Wir werfen den Politikern vor, sich der Agrarlobby unterworfen zu haben und somit das Leid von jährlich etwa 20 Millionen männlichen Ferkeln in Deutschland weiter zu unterstützen“, schreibt die Tierschutzorganisation auf ihrer Homepage.

Florian Petschl kennt all diese Argumente und Vorbehalte. Das muss er auch als Schweinezüchter. Der Marbacher Landwirt beteuert zudem, dass ihm das Wohl seiner Tiere ebenfalls am Herzen liegt. Alleine schon deshalb, weil sie Teil seiner wirtschaftlichen Lebensgrundlage sind. „Wenn es den Ferkeln gut geht, geht es auch uns gut“, betont er. Zugleich macht er deutlich, dass aus seiner Sicht kein Weg daran vorbeigeführt hat, die Übergangszeit um weitere Jahre zu verlängern. „Wir haben derzeit keine praktikable Alternative“, sagt der 30-Jährige.

Der Landwirt hebt hervor, dass er selbst am liebsten darauf verzichten würde, die Ferkel wie bisher innerhalb ihrer ersten sieben Lebenstage zu kastrieren. Das wäre für ihn am einfachsten. Doch dabei gibt es einen entscheidenden Haken: die Verbraucher. Die würden ohne den Schnitt am Hoden unter Umständen ein Stückchen Fleisch abbekommen, das ungenießbar ist, erklärt Fabian Petschl. Die Wahrscheinlichkeit dafür bewege sich bei drei bis fünf Prozent für alle nicht-entmannten Schweine. Verantwortlich dafür sei ein Hormon, das beim Schlachten freigesetzt wird. Wer einmal so einen Bissen erwischt habe, nehme keinen zweiten, weshalb das Risiko auf null gestellt werden müsse – mit dem Schnitt an den Ferkeln.

Petschl führt diesen so verträglich wie möglich durch, wie er betont. Die Schweinchen bekommen das Schmerzmittel Metacam verabreicht. Sobald es wirkt, greift der Landwirt zu einer speziellen Kneifzange. Er zwickt damit den Hodensack auf, dann durchtrennt er den Samenleiter und das Haltegewebe und entnimmt den Hoden. Wichtig ist ihm dabei, beim ersten Arbeitsschritt das Fleisch nur zu quetschen und keinen glatten Schnitt zu machen. Der verheile nämlich schlechter, betont Petschl. „Das ist die schonendste Methode“, findet er. Das mag sein. Aber wenn das neue Gesetz tatsächlich in Kraft tritt, wird er sich umstellen müssen

Im Gespräch sind mehrere Verfahren. Komplett überflüssig wird die Kastration beispielsweise, wenn das unbrauchbare Fleisch erst am Ende der Zuchtkette auf dem Schlachthof aussortiert würde. Das Problem für Florian Petschl: Er hätte eine ganze Reihe von Schweinen gemästet, ohne für sie am Ende irgendeinen Ertrag zu sehen. Eine Alternative wäre deshalb, wenn die Landwirte auf eine Betäubung mit Isofluran setzen. Aktuell sei dieses Mittel aber noch gar nicht zugelassen, sagt Florian Petschl. Außerdem dürften es die Landwirte nicht selbst verabreichen. Zudem bestehe die Gefahr, dass das Gas entweicht und die Züchter Schaden nehmen. Diesem Problem könnte man vielleicht aus dem Weg gehen, wenn die Ferkelchen per Spritze betäubt würden. „Teilweise könnten die Tiere aber aus der Narkose nicht mehr erwachen oder unterkühlen“, erklärt der Landwirt. Weiter käme die so genannte Immunokastration infrage. Die männlichen Tiere werden hierbei überhaupt nicht kastriert, sondern erhalten zehn und dann nochmals vier bis sechs Wochen vor der Schlachtung eine Injektion, die die Hormonausschüttung unterdrückt. „Das gibt es schon seit zehn Jahren, hat aber keine Akzeptanz bei den Leuten“, sagt Petschl. Beim Thema Hormonbehandlung würden beim Verbraucher Bilder im Kopf entstehen, die ihn vom Kauf der Ware abhielten.

So machten sich die Landwirte für eine Lokalanästhesie stark. „Die Tiere spüren nichts und wir könnten es selbst machen. Das wäre praktikabel“, betont er. Allerdings sei noch kein geeignetes Anästhetikum auf dem Markt, weshalb auch diese Lösung für Petschl momentan flachfällt. Hoffnung setzt er noch auf die Zucht. „Das wäre optimal“, sagt er. Ziel müsse sein, Eber heranzuziehen, deren Fleisch immer genießbar ist. Dann könne man sich die Kastration sparen. „Aber das wird nicht in den nächsten zwei Jahren passieren, scheidet also aus“, erklärt Petschl. Er hofft aber, dass bis Ende 2020 eine praktikable Alternative gefunden wird. „Und dann gehen wir den Weg, der am sinnvollsten ist.“

Eine Umstellung schon zum jetzigen Zeitpunkt hielt auch die Bundesregierung für unzumutbar. Die derzeitigen Alternativen würden den Anforderungen in der Praxis nicht gerecht. „Damit besteht die Gefahr, dass deutsche Ferkelerzeuger aus dem Markt gedrängt werden“, erklärten die Fraktionen von CDU und SPD.

Für PETA wäre das wohl kein Beinbruch, denn die Tierschutzorganisation empfiehlt ohnehin einen radikalen Schnitt und den Bürgern eine vegane Ernährung, „denn nur so kann das millionenfache Leid, das die ,Produktion’ von Fleisch, Milch und Eiern verursacht, beendet werden“.