Der Streit eskalierte, als die Polizisten die Ausweise sehen wollten. Foto: dpa

Beim Prozess hat sich jetzt der 28-jährige Mitangeklagte überraschend zu einer Aussage durchgerungen.

Marbach - Was ist genau passiert, als ein Polizist und seine Kollegin am 1. Juli in der Nähe des Marbacher Torturms von jungen Leuten angegriffen wurden, nachdem sie nach 1 Uhr eine nächtliche Ruhestörung beilegen wollten? Das Landgericht Heilbronn versuchte am dritten Verhandlungstag am Mittwoch, mehr Licht ins Dunkel zu bringen und verhörte weitere Zeugen.

Nach der Prozesseröffnung waren zunächst die Polizisten angehört worden (wir berichteten). Sie hatten von der Brutalität der Tat erzählt. Der damals 21-jährige Hauptangeklagte war davongerannt, als die Beamten vor einem Eiscafé seine Personalien feststellten wollten. Daraufhin verfolgte der Polizist den jungen Mann und warf ihn auf den Boden. Die Situation eskalierte, als die etwa acht- bis zehnköpfige Gruppe junger Leute die Freilassung forderte und einer der vier Angeklagten den Polizisten angriff. Daraufhin verletzte der heute 22-Jährige den Beamten mit dessen Schlagstock am Kopf.

Von diesem Tathergang geht die Staatsanwaltschaft aus, die den mutmaßlichen Haupttäter sowie den 28-Jährigen, der ihm half, verurteilt sehen will. Es geht um versuchten Totschlag, gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung, schweren tätlichen Angriff auf einen Vollstreckungsbeamten sowie Gefangenenbefreiung. Zwei 21-Jährige sitzen wegen Beihilfe ebenfalls auf der Anklagebank.

Bisher zur Tat geschwiegen hatte der 28-Jährige. Er rang sich auf Anraten seines Anwalts Ulrich Frech jedoch nun zu einer Aussage durch. Er gestand, den Polizisten zweimal ins Gesicht geschlagen zu haben, als der Beamte den jungen Mann verhaftete. Dessen Arm wäre nach hinten gedreht gewesen und er habe gerufen, er gebe auf. „Ich wollte ihm helfen, er war am Boden.“ Der 28-Jährige bedauerte seine Tat, er habe vier bis sechs Joints geraucht und hätte mehrere „Kurze“ getrunken. „Es war einfach mein Zustand mit dem ganzen Alkohol.“ Dass er die anderen Angeklagten vorher nicht gekannt habe, zweifelte der Staatsanwalt an. Auf einem gerauchten Joint bei ihm in der Wohnung sei die DNA von einem der beiden wegen Beihilfe Angeklagten gefunden worden. Offenbar war es nach der Tat zu einem Treffen in der Wohnung des 28-Jährigen gekommen, bei dem sich der 21-Jährige nach früheren Aussagen des 28-Jährigen mit den Worten „Habt ihr gesehen, welche Kopfnüsse ich ihm gegeben habe?“ gebrüstet haben soll. Tritte der Mitangeklagten gegen den Polizisten will der 28-Jährige nicht gesehen haben – auch nicht, dass einer von ihnen den Vorfall gefilmt habe.

Unklar scheint zu sein, welche Rolle die Mitangeklagten in der Nacht spielten. Ein Freund des 28-Jährigen und eine junge Frau vermochten dazu nichts zu sagen, da sie zur Tatzeit nicht da gewesen seien. Immer wieder fragten die Richter die Zeugen, ob sie vor ihren Aussagen eingeschüchtert worden seien, was die Personen aber verneinten. Ob Drogenhandel oder eine Gruppe mit dem Namen Streetfighter 672 im Hintergrund stehen, scheint nicht belegbar. Der Wirt eines Lokals, in dem sich der 28-Jährige an dem Abend aufhielt, hält den Übergriff für „hochgepusht“ und riet dem Gericht, die Angeklagten mit gemeinnütziger Arbeit zu belegen. „Haben Sie schon mal so am Boden gelegen?“, fragte ihn daraufhin einer der Richter scharf zurück.

Zuvor hatte der Nachbar ausgesagt, der die Polizei wegen der Ruhestörung alarmiert hatte. „Mindestens zwei Personen haben eingetreten“, sagte er und äußerte sein Entsetzen über das brutale Vorgehen gegen den Polizisten. Schon vorher sei die Stimmung am Treffpunkt „aggressiv“ gewesen, was möglicherweise auf Alkohol und Drogen zurückzuführen sei.

„Friedlich“ nannte dagegen die Stimmung der Passant, der am Abend die Gruppe vor dem Eintreffen der Polizei gesehen hatte und später den Streit anheizte, indem er während der Polizeiaktion den jungen Leuten sagte, es gebe in Deutschland keine Ausweispflicht. „Ich fand das Vorgehen der Polizei unverhältnismäßig“, verteidigte er sein Eingreifen. Er sei auch nicht „sichtlich angetrunken“ gewesen, wie es die Polizistin vor Gericht geschildert habe und skizzierte den Konsum von drei Viertel Wein und einem Schnaps als „eigentlich normal“ für ihn. Die Vorsitzende Richterin zeigte wenig Verständnis für sein Verhalten: „Was reitet Sie, in einer solchen Situation etwas von Ausweispflicht zu erzählen?“ Es gebe zwar keine Mitführpflicht von Ausweisen, aber man müsse ihn schließlich doch trotzdem vorlegen, um seine Identität feststellen zu lassen. „Alles wäre vielleicht verhindert worden, wenn Sie nicht den Tropfen Öl reingegossen hätten.“

Der Anwälte einer der beiden 21-Jährigen schlug in der Sitzungspause vor, seinen Mandaten mit einer Freiheitsstrafe auf Bewährung zu belegen. Der Prozess wird am Freitag weitergeführt.