Ekkehard Graf kümmert sich bei der Übung in Siegelhausen um einen Verletzten. Foto: KS-Images.de /

Ekkehard Graf ist Feuerwehrmann – er dient dort ehrenamtlich, sein Hauptberuf ist Pfarrer und Dekan des Evangelischen Kirchenbezirks Marbach.

Marbach - Hastig laufen zwei Feuerwehrmänner am Stall entlang. Sie tragen Atemmasken, schwitzen unter ihrer Montur. Hier zählen Sekunden. Ihr Atem geht schwer, sie rollen den Schlauch aus. Wasser marsch! Doch es fließt kein Löschwasser. Der Stall brennt nicht. Und den Riegel aus herausspritzendem Wasser, den Ekkehard Graf mit seinem Kameraden zum Schutz des Nachbarstalls aufbaut, muss man sich ebenfalls vorstellen. Alles nur Übung. Einmal im Monat findet ein solches Schauspiel in Siegelhausen statt, dem kleinsten Teilort Marbachs mit gerade mal 30 Einwohnern. Acht von ihnen bilden die Feuerwehrabteilung des Weilers.

Mittendrin im Geschehen statt nur dabei ist Ekkehard Graf, Dekan des evangelischen Kirchenbezirks Marbach. Chef der Pfarrer in 19 Kirchengemeinden und Oberhirte von rund 37 000 protestantischen Christen. An diesem Montagabend gegen 20 Uhr könnte er daheim auf dem Sofa in der Bibel lesen oder mit seiner Frau einen netten Film anschauen – doch er packt an. Männergehabe? Wohl kaum, denn es geht um Lebensrettung, an der übrigens auch Frauen teilnehmen.

Ekkehard Graf hat vor 15 Jahren in seiner Pfarrstelle in Owen zum ersten Mal ernst mit dem Dienst an der Löschspritze gemacht. „Wir Pfarrer haben alle so eine Art Helfersyndrom. Wir wollen für Menschen da sein“, sagt er augenzwinkernd. Beim Dienst in der Feuerwehr erlebe er christliches Engagement ganz konkret. Und ist sich sicher: „Jesus wäre bestimmt in der Freiwilligen Feuerwehr Nazareth engagiert gewesen, wenn es die damals schon gegeben hätte.“

Jedes Mal wenn die ohrenbetäubende Sirene am Gerätehaus ertönt, wissen die acht Siegelhäuser Männer, was zu tun ist. Bis die Verstärkung aus Affalterbach und Marbach anrückt, verlegen sie die ersten Schläuche und beginnen mit der Brandbekämpfung. Brennt es richtig stark wie 1994, als nach einem Blitzschlag eine Scheune in Flammen aufging, wird auch der Teich beim Brunnen angezapft. Vor dem Krieg badeten dort noch die Bittenfelder, „es gab ja noch kein Freibad“, bemerkt Feuerwehrmann Joachim Rath.

Später verlagert sich das Geschehen zur Biogasanlage. „Sollte ich jemals zu einem Brand an diese Anlage gerufen werde, hoffe ich, dass das Dach schon hochgegangen ist“, gibt der Marbacher Kommandant Alexander Schroth zu, als er die neu für die Stadt tätige Erste Beigeordnete Franziska Wunschik dorthin führt und sie über den Einsatz informiert. Das Methan in der Anlage gilt als hochexplosiv. Ein Brand nebenan, wie simuliert, hätte wahrscheinlich verheerende Folgen. „Wir würden immer zuerst die Tiere retten“, sagt Bernhard Ziegler, Abteilungskommandant der Siegelhäuser Wehr, während sich die Kameraden abmühen, zwei Kälber aus einem Verschlag zu zerren.

Auf der Biogasanlage liegt ein Verletzter mit dem Rücken auf dem Boden. Er kann sich nicht bewegen und muss mit der Drehleiter vorsichtig geborgen werden, was gelingt. „Ekkehard“, wie ihn die Kameraden nennen, wird gerufen. Graf, mittlerweile beim Löschen abgelöst, trägt eine violette Weste, die ihn als Notfallseelsorger kennzeichnet, setzt sich zum Verletzten. „Sie sind festgeschnallt und am Kopf fixiert“, erklärt er dem Kameraden, der sich als Opfer zur Verfügung gestellt hat. „Wahrscheinlich hat es eine Erschütterung gegeben und Sie haben sich am Rücken verletzt“, sagt er weiter und erklärt, warum man bei der umständlichen Bergung kein zusätzliches Risiko eingehen wollte, ihn durch Stöße noch mehr zu verletzen.

Es gehe den Unfallopfern vor allem darum, ihre Situation einschätzen zu können, so Graf. Die Verletzten nähmen bei Unfällen wahr, dass sich niemand um sie kümmere. Das mache ihnen Angst. Pauschalsätze wie „Alles wird gut“ seien absolut tabu. Hilfe von Mensch zu Mensch sei gefragt, man müsse nicht unbedingt Seelsorger sein, um das leisten zu können, erklärt der Dekan. Trotzdem habe er sich ausbilden lassen, er war im Landkreis Schwäbisch Hall Leitender Notfallseelsorger im Dienst, später im Landkreis Esslingen als Stellvertreter. Zudem sei er einige Jahre an einer Rettungsdienstschule als Dozent für „Psychosoziale Notfallversorgung“ tätig gewesen. Graf schätzt, dass von 2000 Pfarrern der Landeskirche etwa 30 bis 40 in Feuerwehren aktiv seien, unter ihnen der Erdmannhäuser Martin Weigl, er sei wohl in der Landeskirche der einzige Dekan.

Wenig später ist die Übung beendet. Es ist etwa 21 Uhr. Der Feuerwehrmann Ekkehard Graf hilft wie alle anderen beim Aufräumen. Die Einsatzleiter stehen im Kreis, rekapitulieren den Einsatz. „Es war eine Superübung“, lobt Frank Tressl, Marbacher Abteilungskommandant, im Vorbeilaufen. Der gemütliche Teil kündigt sich an. Und wie erlebt sich Ekkehard Graf im geselligen Kreis der eher kantigen Kerle? „Manche meinen, in meiner Gegenwart keine zotigen Witze und Sprüche mehr abgeben zu sollen, was mich aber nie stört“, sagt Graf. Die meisten Feuerwehrmänner sähen ihn als ganz normalen Kameraden wie jeden anderen auch. „Und manche freuen sich, mit mir auch mal Themen ansprechen zu können, die irgendwie auf der Seele liegen.“ Beim nächsten Feuerwehrfest werde er selbstverständlich mit Hand anlegen – „und sei es am Zapfhahn fürs Bier!“