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Jeder Bürger bekommt eine Wertmarke, die er im kulturellen Bereich einsetzen kann.

Marbach - Es ist ein ungewöhnliches Projekt, mit dem sich die Stadt Marbach am Produktionskunst-Festival Drehmoment der Kulturregion Stuttgart beteiligt. Die Idee hinter dem Festival, bei dem Kunst und Industrie aufeinandertreffen: Die teilnehmenden Künstler erschaffen ihre Kunstwerke mit den Möglichkeiten und Inspirationen vor Ort und arbeiten mit Unternehmen aus der Region zusammen. 27 Kunstwerke werden auf diese Weise vom 4. bis 28. Oktober in 21 Städten und Gemeinden der Region gezeigt.

Die Künstler, die das Marbacher Projekt umsetzen, kommen aus der Schweiz. Stefan Baltensperger und David Siepert setzen sich in ihrer Kunst mit politischen Fragen auseinander. Seit 2007 arbeiten sie als Künstlerduo Baltensperger+Siepert zusammen. Beide sind geprägt durch Erfahrungen, die sie in nicht-westlichen Kulturkreisen gesammelt haben. Dem Duo geht es um ein Verständnis dafür, was es in unterschiedlichen kulturellen Zusammenhängen bedeutet, Mensch zu sein. Darüber hinaus interessieren die beiden sich für globale Strukturen und geopolitische Machtbeziehungen. So haben sie etwa eine Gebrauchsanweisung für Flüchtende erstellt, die deutlich macht, was Flucht bedeuten kann, oder chinesische Wanderarbeiter für einen Tag eingeladen, als Philosophen tätig zu werden. Mit ihren Arbeiten und Projekten sind sie in Ausstellungen und auf Biennalen vertreten, unter anderem auf der Shanghai Biennale 2016/2017.

Das Marbacher Projekt, das in Kooperation mit der Stadt, aber auch mit dem Unternehmen Hainbuch entsteht und umgesetzt wird, beschäftigt sich mit der zentralen Frage: Was ist von Wert? „Aber es geht uns nicht um ein einfaches Mehr“, betont David Siepert. „Es geht um die Frage, wie Mehrwert entsteht.“

Um das Geheimnis zu lüften: Die beiden kamen auf die Idee, in Anlehnung an die Historie der Schillerstadt, die einst das Münzrecht hatte, für jeden Bürger – egal ob groß oder klein – eine Wertmarke zu prägen: den Marbach. Sozusagen als eine eigene Währung, die ausschließlich in der Schillerstadt gilt und eingesetzt werden kann. Im Jahr 1009 wurde der Stadt Marbach vom Kaiser Heinrich II. das Recht zugesprochen, eine Münzstätte einzurichten und eigene Münzen zu prägen. Von diesem Recht hat Marbach bis heute keinen Gebrauch gemacht. „Mit dem Marbach holen wir dieses Versäumnis nach. Er stellt das, was wir über sichere Werte zu wissen glauben, infrage. Sein Wert schwankt je nach Ort, an dem er eingesetzt wird, erklärt das Künstlerduo. Er berechtigt beispielsweise zu einem Besuch in Schillers Geburtshaus ebenso wie zu einem Eintritt in ein von der Stadt Marbach veranstaltetes Konzert sowie in eine Veranstaltung im Deutschen Literaturarchiv oder ins Hallenbad. „Die beteiligten Institutionen akzeptieren den Marbach von Oktober bis zum Bürgerfest im Juni 2019“, informiert die Leiterin des städtischen Kulturamtes, Melanie Salzer.

Ist der Marbach eine Münze oder ein Kunstwerk? Eine spannende Frage „Wir wollen in der Bevölkerung einen Diskurs schaffen über Wertigkeitsfragen“, betont Stefan Baltensperger. Da der Marbach auf einem historischen Recht beruhe, das der Stadt Marbach verliehen wurde, gehöre er auch allen Marbachern. Bis Mitte Oktober erhält jede in Marbach lebende Person deshalb einen Marbach zugesandt.

David Siepert: „Der Marbach ist ein ab-straktes Gesamtkunstwerk: Man kann mit ihm Kultur konsumieren, man kann ihn aber auch zum Anlass nehmen, über Geld und Werte zu diskutieren. Zugleich ist jeder Marbach auch selbst eine kleine Skulptur.“ 15 700 Stück werden geprägt, weitere 300 stehen zum Kauf für Sammler zur Verfügung.