Startmonument in Campo an der mexikanischen Grenze Foto: privat

Filmemacherin Sabine Willmann und ihr Mann Oliver Heise wandern seit sechs Wochen auf dem Pacific Crest Trail.

Marbach - Es ist Anfang Mai und wir sind nun in Wrightwood bei Kilometer 595. Eine Woche zuvor in Big Bear bei Kilometer 427,9, also bei zehn Prozent vom Pacific Crest Trail (PCT), haben wir zum ersten Mal mehr Nächte als sonst, nämlich drei Nächte, in einer Lodge verbracht. Teils wegen des Wetters, aber auch durch die große Mühsal, sich tagelang durch Schnee gekämpft zu haben.

Unser Start in Campo an der mexikanischen Grenze war beeindruckend: Die Trailangels Scout und Frodo, bei denen Hiker nach der Ankunft in San Diego übernachten und essen können, bieten großartigen Support und fahren täglich um 6 Uhr Gruppen von etwa 30 Hikern in mehreren Vans über eine Stunde zum Startportal an der Grenze. Nach der obligatorischen Fotozeremonie und letzten Einweisung „Leave No Trace“ starten wir mit viel zu schweren Rucksäcken (20 und 24 kg), aber größter Motivation in die Hitze und den Anstieg des Tages und schaffen gleich auf Anhieb 20 km.

Wir wollen täglich zwischen 20 und 25 Kilometer hiken, um Kanada in der empfohlenen Jahreszeit zu erreichen und beim Weg keine Risiken einzugehen. Wir merken, das wird mit den Ungetümen auf dem Rücken schwer werden.

Man glaubt es kaum. Man plant echt lange und hat am Ende doch wieder zu viel dabei und nicht alles in ultraleicht . . . Das ändern dann ganz schnell die diversen Hikerboxen am Trail oder in den Unterkünften (hier kann man Sachen, die man nicht mehr braucht beziehungsweise schleppen möchte hineinlegen – natürlich auch anderes herausnehmen) oder die US-amerikanische Post, bei der wir in Big Bear zum vierten Mal Pakete mit aussortierten Dingen nach New York zu einer Freundin oder nach Deutschland zu unserer Tochter aufgeben. Unter anderem unser Zelt, wofür wir ein vier Mal leichteres gekauft haben. Der Service auf der Post ist unglaublich, vom Packband, das man kommentarlos bekommt, über unglaubliche Geduld, bis hin zur humorvollen Bedienung. Auch kein einziges Mal Murren der anderen Kunden in der Schlange.

Zu den Hikerboxen sei noch gesagt: Oft gibt es zwei. Unterschieden wird in Food und Non-Food. Durch die Foodboxen konnten wir schon einiges an Geld sparen und interessante Foodkombinationen kennen lernen.

Aber natürlich macht uns auch das Filmen an sich und das dafür nötige, zwar kleine, Equipment langsamer. Erstaunt sind wir darüber, dass trotzdem der eigene Alltag sehr schnell in weite Ferne gerückt ist und wir hier, heute und jetzt die Momente leben und sich das sehr leicht anfühlt. Wir genießen die unglaublichen Landschaften, auch wenn man sich immer wieder durch Hitze, Kälte oder sehr starken Wind kämpfen muss. So die Anza-Borrego-Wüste mit ihren prächtig blühenden Kakteen und Stauden oder das Jacinto-Gebirge, in dem wir mit Microspikes durch Schnee und Eis unterwegs sind.

Die Etappenplanung knüpfen wir an Resupply-Orte, die gut zu erreichen sind und sind so oft um die sieben bis acht Tage am Stück unterwegs.

Die Tagesplanung mit Pausen und Platz zum Schlafen hängt wiederum von den Wasserstellen ab und Flächen, die eben genug sind, um ein Zelt aufzubauen. Prinzipiell kann man überall sein Zelt aufbauen, natürlich auch Cowboy Camping machen, also ohne Zelt übernachten. Kälte und „Getier“ machen das aber nicht immer angenehm. Das aus Bächen unter anderem entnommene Wasser sollte zum Trinken gefiltert werden. Wenn lange keine Wasserstelle kommt, muss man sehr sparsam sein, da wir auf keinen Fall mehr als fünf Liter pro Person tragen können und wollen. Nähe zu Wasser ist natürlich auch „nice“, weil man sich dann auch besser waschen kann. Auch wir selber werden immer leichter. Die Körper haben viele ihrer Fettpolster verloren. Man muss jetzt mehr essen und anders einkaufen.

Nach einiger Zeit bekommt man aber ein komplett anderes Verhältnis zu Dreck, Ressourcen wie Wasser, Essen und Strom, aber auch zu seinem Körper. Klopft man Staub anfangs noch weg, ist einem das zunehmend egal. Man glaubt auch nicht, wie viele Abstufungen an Sauberkeit oder Schmutz man seinen Kleidern zuschreiben kann, um dann zu entscheiden, was noch geht, was man noch in seinen Schlafsack anzieht und was nicht. Wenn man jedes Gramm, das man essen möchte, selber schleppt, kauft man immer ökonomischer ein, weggeworfen wird sowieso nichts. Auch Müll und Verpackung schleppt man natürlich wieder bis in die nächste Stadt, das bezieht sich auch auf diverse Feuchttücher . . . Leave No Trace! Für die anderen Hinterlassenschaften gibt es eine kleine Blechschaufel, die viele am Rucksack baumeln haben.

Manchmal überrascht einen die eigene Kraft und manchmal, dass man recht plötzlich nicht mehr kann. Der Körper sagt dir genau, wann Schluss ist, wo’s lang geht und wie man für ihn sorgen muss, dass es gut vorwärts geht. Ab und zu den lieben Füßen und dem Rücken zu danken, ist nicht verkehrt.

Gesprächsthemen untereinander und mit anderen Hikern sind demnach vor allem Wasser und Wetter, Routenplanung, Pensum, Essen, anfangs auch die Ausrüstung und das Gewicht des Rucksacks.

Die Hiker, die wir treffen, haben die unterschiedlichsten Gründe loszuziehen: Wir hören von Abenteuerlust, der größtmöglich-vorstellbaren Challenge, dem Entkommen aus dem eigenen Alltag, vom Bewältigen erfahrenen Leids, aber natürlich auch von der Lust am Hiken und der Liebe zur Natur. Wir treffen unglaubliche Leute mit den unglaublichsten Lebensgeschichten, sowohl bei Hikern, als auch bei Trailangels und Supportern. Mel, ein 80-jähriger Kolumbianer, hat sich den Trail selber zum Geburtstag geschenkt und hat ebenfalls vor, bis Kanada zu laufen. Dagegen der 26-jährige Stephan aus Kopenhagen, der in Julian noch vor der 100. Meile beschlossen hat, aufzuhören. Er ist bei einem Abstieg dehydriert, außerdem auch mit der Einsamkeit nicht zurecht gekommen. War einfach nichts für ihn.