Die wortgewaltige Tragikkomödie fordert die Zuschauer. Foto: avanti

Der Verein „Südlich vom Ochsen“ hat das Stuttgarter Theater 360 Grad nach Marbach geholt.

Marbach - Das abgewandelte Brecht-Zitat: „Und so sehen wir betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen“, das der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki gerne am Ende seiner Sendung benutzte, könnte auch auf die Darbietung des Theaters 360 Grad aus Stuttgart passen. Regisseur Alexander Ilic und seine fünf Schauspieler haben nämlich auch mit ihrem Stück „Bubble Studies – Realität ist relativ“ existenzielle Fragen aufgeworfen und diese unbeantwortet gelassen.

Intellektuell gefordert dürften die Besucher von der wortgewaltigen Tragikkomödie, das sich zwischen Brechtschem Lehrstück, existentialistischem Drama und absurdem Theater ansiedelt, gewesen sein. Gar übermächtig aber steht am Schluss die Frage im Raum, ob ein Leben ohne Blase überhaupt möglich ist.

Ein großer Müllberg türmt sich auf der Bühne des Schlosskellers auf. Es gibt Besucher, die sich dabei an das Musical Cats erinnert fühlen. Doch statt Katzen kommen fünf „Gammler – die im System Untergetauchten“ auf die Bühne. In schäbig-rote Overalls gekleidet entlarven sie die fragwürdige Wirkung von Statussymbolen, demaskieren kollektives Rollenverhalten, das zur Unfreiheit führt. Sie skandieren lautstark all das, was sie sein wollen und längst nicht mehr sind: „Kein Rädchen im Getriebe etwa, aber auch kein Sand“. Sind „Demokratieverweser“, die nicht wählen und die in keine Sozialversicherung einzahlen. „Fernab der sozialen Netzwerke“ nehmen sie sich als „die auferstandenen Untergegangenen“ das Eigentum, „das entbehrlich ist“. Sie suggerieren Freiheit, weil der „Ballast des Lebensmülls abgeworfen scheint“.

Rasch aber wird deutlich: auch sie leben in einer Blase. Blasen über Blasen sprudeln im düster erscheinenden Raum. Der Zuschauer fühlt sich fast erdrückt von ihnen. Schließlich beamt ihn das turbulente Bühnenstück zurück in eine Welt „davor“; vor dem Ausstieg aus dem uniformiert erscheinenden Leben, heraus aus der Technikfalle. Mit eindrucksvollen Mitteln zeigen die Spieler auf, „was so fürchterlich subtil“ ist, am scheinbar normalen Alltag. Sie benennen die Einschränkungen des selbstdefinierten Gefängnisses, die zwanghaften Neigungen und die krank machende Erwartung, sich und das Leben ständig optimieren zu müssen. Die Spieler verirren sich in die Welt der Digitalen Revolution und ziehen ihr Publikum tief mit hinein, bevor auch hier Fragen beginnen wie: „Was war davor? Wie haben die Menschen sich unterhalten? Wie eine Straße gefunden?“ Und weil auch die Liebe zum Leben gehört, bekommt auch sie ihr Fett ab, erhält den Stempel des ewig ausweglosen Bemühens und schlussendlichen Scheiterns. Das Bombardement intelligenter Schlussfolgerungen und philosophischer Erkenntnisse hilft aber nicht weiter. Die Drangsal steigt, eine Antwort auf so viele Fragen zu finden. Denn der angebotene Ausweg, sich in eine schizoide Scheinwelt zu flüchten und „den traurigen Seelen etwas Passendes vorzugaukeln“, aktiviert durch sein pointiertes Spiel zwar das Humorzentrum im Gehirn, verspricht aber keine Lösung für ein Leben in relativer Zufriedenheit.