Biomüll-Scout Tim Krawczyk durchforstet unter den Augen von Projektleiterin Katja Heine die braunen Tonnen. Foto: KS-Images

Mit einem Biomüll-Scout in fremde Tonnen zu schauen, birgt so manche Überraschungen.

Marbach - Ehrlich gesagt hatte ich mir die Sache weitaus „anrüchiger“ vorgestellt. Mit einem der drei Biomüll-Scouts der Abfallverwertungsgesellschaft Ludwigsburg, kurz AVL, auf Tour zu gehen und die Nase zwar nicht in fremde Biomülltonnen zu stecken, aber doch drüber zu halten, ist vor allem morgens kurz nach dem Frühstück kein allzu verlockender Gedanke.

Doch an diesem Septembermorgen ist es noch kühl, was sowohl Gerüche als auch Fliegen in Schach hält. Und Überraschung: Viele Marbacher sind offenbar sehr großzügig, was das Rausstellen der Tonnen betrifft. Die meisten der braunen Behälter sind gerade mal halb voll, bei manchen ist kaum mehr als der Boden bedeckt. „Da fragt man sich auch: Warum rausstellen?“, meint Tim Krawczyk, der an diesem Tag – mit signalgelber AVL-Weste, Handschuhen, Scanner, Rucksack mit bunten Banderolen und für Härtefälle auch mit Maske ausgerüstet – auf Tour entlang der Schwabstraße geht.

Der Anlass für die Frage: eine große, blitzsaubere braune Tonne, in der sich ein wenig Biomüll – Gemüse- und Salatreste sowie altes Brot – geradezu verliert. Doch Katja Heine, die als Projektleiterin an diesem Tag mitgekommen ist, hat eine Erklärung parat: „Gerade im Sommer stellen die Leute die Biotonne lieber öfter raus, damit der Inhalt nicht vor sich hin gammelt und keine Fliegen anzieht.“ Was sie meint, wird deutlich an einer Tonne, die bis zum Rand hin gefüllt ist: Hier kriechen massenweise Maden am oberen Rand und auf der Innenseite des Deckels, auch ein paar Ameisen sind auf Erkundungstour. Ein Anblick, den Krawczyk aber eher positiv findet: „Die zeigt, dass es in der Tonne verwertbare Stoffe gibt“, meint er, und Landratsamtssprecher Frank Wittmer, der ebenfalls kurz mit von der Schnüffelpartie ist, grinst: „Maden geben gutes Biogas.“

Wer die Begeisterung für den Fliegennachwuchs in der eigenen Biotonne nicht teilt, für den hat Krawczyk einen Tipp parat: „Gartenkalk hilft.“ Sinnvoll sei es auch, die Bioabfälle vorher in Zeitungspapier einzuwickeln und sie nicht offen in der Küche liegen zu lassen, wo sich vorher schon Fliegen daran gütlich tun und Eier ablegen können. Eine Lage aus Eierkartons als unterste Schicht sauge Feuchtigkeit oder Nässe auf und verhindere, dass im Winter alles festfriere und nicht geleert werden könne, erklärt der Biomüll-Scout. Nicht erlaubt sind, auch wenn etliche Leute das nicht wissen, kompostierbare Biomüllbeutel. Die zersetzen sich zwar tatsächlich, aber zu langsam für die Vergärungsanlage, weiß Katja Heine: „Das dauert etwa 12 Wochen, die Zeit in der Vergärungsanlage beträgt aber nur etwa fünf bis sechs Wochen; das reicht also nicht aus.“ Hinzu komme, dass man die Tüten oft nicht von normalen Plastiktüten unterscheiden könne, und die letzteren haben im Biomüll definitiv nichts zu suchen, weil sie den Kompost verunreinigen und schlimmstenfalls, wenn sie beim Sortieren übersehen werden, als Schadstoffe auf dem Acker landen.

An die Tonnen, in denen er einen solchen Biomüllbeutel entdeckt, hängt Krawczyk eine gelbe Banderole. Das heißt: Die Tonne wird zwar geleert, aber bitte beim nächsten Mal besser machen. Darüber, was man konkret verbessern kann, werden die Bürger schriftlich informiert. Denn dank mobilem Scanner und Barcode oder Chip an den Tonnen kann der Nutzer der Biotonne genau identifiziert werden. Das hilft auch, hartnäckige Wiederholungstäter zu entlarven, die Biomüll in Plastik verpacken oder die braune Tonne gleich für Restmüll nutzen, weil der mehr Leerungsgebühren kosten würde. An deren Tonnen wird eine dunkelrote Banderole geklebt, geleert wird nicht.

Bei der Vorstufe Orange gibt es noch eine Wahlmöglichkeit, erklärt Katja Heine: Man könne das, was nicht reingehört, selber aussortieren und in die Restmülltonne werfen oder eine kostenpflichtige Sonderleerung beantragen, die je nach Behältergröße mindestens 30 Euro kostet. Bei Rot ist auch diese Wahlmöglichkeit verwirkt. Da führt an der teuren Sonderleerung kein Weg mehr vorbei. Das Ganze funktioniert übrigens in Echtzeit: Vor Ort eingescannt, landet die Information direkt im System und auch bei den Müllwerkern in ihren Fahrzeugen. Kontrolliert werden stichprobenartig auch die Behälter, die noch auf Privatgrund stehen, also nicht geleert werden sollen. „Wir dürfen die Grundstücke betreten und können uns auch ausweisen“, betont der Biomüll-Scout.

Die Marbacher sind zumindest an diesem Tag und in dieser Ecke der Stadt jedoch die reinsten Musterschüler. Nur einmal muss Tim Krawczyk die gelbe Banderole „ausreichend“ zücken, zweimal zieht er eine Plastiktüte – einmal mit Vesperbrot, einmal mit Radieschen gefüllt - aus dem Biomüllverkehr und verteilt dennoch ein Lob in Form der grünen Banderole, weil sonst alles bestens aussieht. In diesem Fall sortiert der Scout flink selber: Brot und Radieschen zurück in die braune, Plastikbeutel in die schwarze Tonne daneben. Eine ältere Frau, die einige Häuser weiter gerade vor der Tür steht, als der Kontrolleur in ihre Biomülltonne schauen will, verkündet nicht ohne Stolz: „Bis ondenei lauter Bio! I pack’s au ei!“

Überhaupt scheinen die grünen Banderolen das Zeug zu einem gewissen Statussymbol zu haben, zumindest ließen viele die gerne dran, verrät Katja Heine. Nach dem Motto: Sieh her, lieber Nachbar, bei mir ist alles tipptopp! In aller Öffentlichkeit mit der roten Karte oder vielmehr Banderole als Umweltsünder entlarvt zu werden, dürfte den meisten dagegen eher peinlich sein . . .

Die Umwelt war übrigens auch einer der Gründe, warum Krawczyk, der vorher auf dem Wertstoffhof gearbeitet hat, sich als Biomüll-Scout beworben hat. Denn auch wenn eine Plastiktüte im großen braunen Behälter nicht viel zu sein scheint und bei der letzten Analyse 2017 nur knapp drei Prozent sogenannter „Störstoffe“ gefunden wurden – das sind immerhin knapp 900 Tonnen pro Jahr. Ziel ist maximal ein Prozent.

Und was darf jetzt alles in die Biomülltonne, damit daraus Kompost und Biogas wird? Obst- und Gemüseabfälle, vertrocknete Zimmerpflanzen, auch Papiertaschentücher oder Küchenpapier in kleinen Mengen und – anders beim Kompost im eigenen Garten – gekochte Speisereste. Das dürfen auch kleine Mengen von Fleisch oder Fisch sein. Allerdings: Einige der Tonnen weisen deutliche Spuren kräftiger Nagezähne auf. Ein Einbruchsversuch von Ratten, um an den begehrten Inhalt zu gelangen. Vielleicht ist das mit dem Fleisch also doch keine so gute Idee. Und der Stein zwischen Deckel und Behälter zur „Belüftung“ , der mancherorts zu sehen ist, übrigens auch nicht.