Die DLA-Direktorin Sandra Richter erzählt von literarischen Perlen zu Weihnachten und welche Einstellung sie zum Fest hat. Foto: DLA-Marbach/Chris Korner

Wie feiert eigentlich Sandra Richter Weihnachten? Die Direktorin des Deutschen Literaturarchivs Marbach erzählt von literarischen Perlen und ihren Gedanken zum Fest.

Marbach - Wie viel Glanz verträgt Weihnachten? Das Fest voller Kitsch und Kommerz, Konsum und privater Behaglichkeit. Allenfalls via TV-Großbildschirm verstörende Hinweise auf himmelschreiende Armut, wie sie in weiten Teilen der Welt regiert. Kriege, die Menschen in schreckliche Not bringen.

Im Wissen um all die Schattenseiten noch ein lichterfrohes Weihnachten zu feiern, ist schwer. Ist Weihnachten ein lang anerzogener Fluchtreflex in religiöse Fiktion? Oder geht es gerade darum, sich trotz alledem freuen zu können? Die Spurensuche auf dem Weg zu einem reflektierten Blick auf das christliche Fest führt zu Sandra Richter, Direktorin des Deutschen Literaturarchivs Marbach, die im Gespräch mit dieser Zeitung den Blick auf ihre persönlichen Schätze der weihnachtlichen Literatur freigibt.

Die Frage lautet also: „Welche literarischen Perlen begleiten mein Weihnachten?“ Und tatsächlich empfindet Sandra Richter die biblische Erzählung als grundlegend, als „frohe Botschaft“, die es zu bewahren gilt, „sonst wäre Weihnachten nicht, was es ist“. Gleichwohl steige ein „gewisses Aber“ auf, und das sei angesichts des ständigen möglichen Scheiterns von Liebe, Frieden und Gerechtigkeit in der Welt auch angemessen, denkt sie, hält aber trotz alledem der rettenden Botschaft der Geburt des Gottessohns die Treue. „Es ist ja nicht so, dass die frohe Botschaft etwas Beliebiges oder Unverbindliches in sich trägt – jemand ist für das Heil der Welt am Kreuz gestorben“, sagt die Geisteswissenschaftlerin, die in einem protestantischen Elternhaus groß geworden ist und sich nach wie vor als Christin sieht, wenn auch mit agnostischen Zügen.

Es sei diese „Brechung“, die von Gott selbst eingeleitete Versöhnung der Menschheit mit sich selbst, die für sie in Geburt und Tod Jesu mitschwingt. Der unverstellte Blick auf die Armseligkeit der Krippe nimmt den Anblick von Golgatha vorweg. Das obdachlose Paar freut sich aber einfach nur über die geglückte Geburt. Das intime Familienereignis geschieht in der obskuren Gesellschaft von Schäfern, Außenseitern der Gesellschaft, die ganz in der Nähe dabei sein dürfen, wenn Epochales geschieht.

Wie also die Balance halten zwischen Glanz und Elend der Botschaft, die der Friedensengel verkündet? Literarische Perlen, wie sie Sandra Richter ausgemacht hat, halten das aus, indem sie still und hymnisch eine Feierlichkeit verbreiten, die ganz schlicht und angemessen wirkt. Leuchtende Kinderaugen beschert die Erzählung „Nussknacker und Mäusekönig“ von E.T.A. Hoffmann, in der der hässliche Nussknacker die Erlösung durch die Liebe der kleinen Marie findet und zum Prinzen zurückverwandelt wird. Außerdem schätzt Sandra Richter Johann Wolfgang Goethes weihevolles Gedicht „Weihnachten“ und Theodor Fontanes schneeverzauberten „Verse zum Advent“. Ihr Fazit: Die Dichtergrößen vermögen mit ihren Worten den Zauber der Botschaft festzuhalten.

Ganz im Sinne eines besinnlichen, aber nicht gedankenlosen Weihnachtens will Sandra Richter das „ganz und gar nicht selbstverständliche Fest“ feiern. Es gelte, das „Wofür“ zu erklären und zu vermitteln, gerade in einem Umfeld, das durch das Miteinander verschiedener Kulturen geprägt sei.

So werden die weihnachtlichen Texte der Dichter Goethe, Fontane und Hoffmann auch unter Germanisten ganz unvoreingenommen diskutiert. „Ich spüre da eine Offenheit“, sagt sie, was ihr im Unterschied zu Lehrenden von früheren Studentengenerationen nicht mehr den Verdacht einbringt, sich an althergebrachte Herrschaftsstrukturen anzubiedern. Versöhnung um des Friedens willen, das ist eben auch heute eine zeitlos gültige Botschaft – inmitten einer schwieriger gewordenen Zeit.

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