Mit Kris wird in South Lake Tahoe das Oktoberfest gefeiert. Zuvor wurde die Sierra durchquert – hier am Sonora Pass, Trailhea zum Kennedy Meadows Resort. Foto:  

Die Filmemacherin Sabine Willmann und ihr Mann Oliver Heise wandern seit dem 31. März auf dem Pacific Crest Trail in Nordamerika. 3547 Kilometer Wanderung haben sie in ihren Knochen.

Marbach - Wir sind in Quincy, einer kleinen Stadt in Nordkalifornien, rund 21 Kilometer vom Bucks Lake Road Trailhead entfernt. Es sind noch 724  Kilometer bis Ashland, unserem persönlichen Ort fürs Beenden des Pacific Crest Trails. Am PCT-Terminal an der amerikanisch-kanadischen Grenze waren wir bereits Ende August. Hinter uns liegen fast sieben Monate. Nach dem Start in Südkalifornien in Campo an der Grenze zu Mexiko sind wir 1049 Kilometer durch die Wüste bis Walker Pass gelaufen, dann mit dem Bus 18 Stunden nach Ashland an die Grenze von Kalifornien und Oregon gefahren und von dort weiter nordwärts 692 Kilometer durch Oregon und noch mal 814 Kilometer durch Washington bis zum PCT-Terminal gelaufen. In Kanada angekommen blieben wir drei Tage in Vancouver bevor es per Flugzeug wieder in die USA ging. Vom Walker Pass aus sind wir den übersprungenen Teil ebenfalls nordwärts gelaufen, also durch die Sierra Nevada mit all ihren Pässen weiter nach und durch Nordkalifornien. Nun müssen wir uns jedoch vor einem gemeinsamen Abschluss und weiteren 991 Kilometern Sierra und Nordkalifornien trennen.

3547 Kilometer haben wir zusammen gestemmt, aber nun muss Olli zurück zur Arbeit. Wir haben Zeitmodelle rauf und runter diskutiert beim Laufen. Bald waren wir uns einig, dass es keinen Sinn macht, den Rest in Hetze zu gehen, um ziemlich sicher trotzdem nicht in Ollis Zeitfenster in Ashland anzukommen. Wir haben uns die Monate über Zeit gelassen, die Natur intensiv erlebt und sind unterwegs vielen außergewöhnlichen Menschen begegnet. Zudem die Filmerei. Das alles hat seinen Preis – kein gemeinsames Ende.

Sabine wird weiterlaufen bis sie in Ashland ist, auch wenn es inzwischen schon sehr kalt wird. Der Winter kann jeden Moment einbrechen. Oliver wird sich den fehlenden Teil 2020 vornehmen. In Quincy lassen wir die Korken aber trotzdem knallen. Die Übergabe einiger Geräte und des Zelts steht an, Sabine gibt wiederum Olli einiges mit – eine neue Packstruktur muss her. Auch in Quincy ist wieder Verlass auf den Zusammenhalt: In einem Café spricht Sharon uns an, ob wir eine Fahrt zurück zum Trail bräuchten. Die Verabschiedung ist nicht ohne. So lange Zeit zusammen und in einem Zelt . . .

Olli wollte den Bus nach Chester und über Sacramento dann nach San Francisco nehmen. Nicht mit Sharon – sie bietet Olli an, ihn direkt nach Chester zu fahren, und dann ihn sogar bis Reno zu bringen, da er von dort besser weg käme. Die Nacht kann er bei der Familie bleiben. Ausgeruht ging es am nächsten Morgen weiter. Das alles bekommt Sabine aber nicht mehr mit, die hinter einem Felsen verschwunden ist und sich dort das erste Mal ohne Olli in ein Trailregister einträgt. Der Rückflug verlief problemlos. Die Grenzbeamten hat das abgelaufene B2-Visum nicht gestört. Ob und wie Sabine nun die restliche Strecke alleine meistert, bleibt spannend. Andere Hiker sind kaum noch unterwegs.

Zu guter Letzt noch einige Worte zur Strecke durch die Sierra Nevada – für die meisten Hiker der Höhepunkt und schwierigste Teil des PCT. Wir haben die Sierra in drei Etappen durchlaufen: elf Tage und 280 Kilometer bis zum Vermilion Valley Resort, neun Tage und 221 Kilometer bis Kennedy Meadows Nord und fünf Tage und rund 125 Kilometer bis South Lake Tahoe.

Wir planten hier weniger Stopps für den Nachkauf von Lebensmitteln, was zu mehr Gepäck am Anfang eines Abschnitts beitrug. Mehrere Male waren wir am Ende des Abschnitts „Out of food“ und mussten rationieren – eine Herausforderung, bei den extremen Anstiegen. Sabine ist nun 19 Kilogramm leichter, Olli 15. Wir hatten viel Glück mit dem Wetter: blauer Himmel am Tag, dafür Werte unter Null in der Nacht. Da ist es sehr schwer, am nächsten Morgen aus dem Zelt zu kommen. Der Herbst ist da, der erste Schnee des Jahres folgt bald.

Der Weg durch die High Sierra ist vor allem durch schwere An- und Abstiege, bis zu 35 Kilometer lang, gekennzeichnet. Darunter der Forester Pass, der mit seinen 4000 Metern der höchste Punkt des PCTs ist. Die Landschaft ist beeindruckend: nichts als Steine, Felsen und Seen. Im nördlichen Teil der Sierra geht es langsam wieder abwärts, die An- und Abstiege sind jedoch nicht weniger anstrengend. Jeder Kilometer wird hart erkämpft. Es geht weiterhin steil hinauf und beim Absteigen kann man sich kaum ausruhen, da der Weg über Steinbrocken führt. Die Natur ist nach wie vor überwältigend, in den Tälern läuft man durch endlose gelb-grüne Meadows und lichte Wälder, oben zeigt sich die Bergwelt weiterhin imposant.

Während unseres Aufenthaltes im Kennedy Meadows Nord Resort fegte ein Schneesturm über ganz Kalifornien hinweg. Die Straße zum Trailhead ist zwei Tage wegen Schnees gesperrt. Am 30. September wird sie gegen Mittag wieder freigegeben. Der Sturm hatte das Gebirge in eine weiße Landschaft verwandelt. Schon komisch: Wir haben die Sierra ja ursprünglich wegen Schnee übersprungen und mussten die letzten 125  Kilometer doch durch Schnee! Alles in allem war es machbar. Die Nächte waren aber hart Bei -12 Grad gefror sogar das Wasser im Zelt. Zum Glück wurde es von Tag zu Tag wieder wärmer. Die Pässe waren nun nicht mehr ganz so lang und so hoch, es blieb aber super anstrengend. Es wurde auch zunehmend einsamer auf dem Trail, wir trafen auch immer weniger Hiker, da die deckungsgleiche teilweise Streckenführung von PCT und John Muir Trail hier ein Ende hatte und uns keine JMT-Hiker mehr begegneten und noch weniger PCT-Hiker.

Am 5. Oktober erreichten wir South Lake Tahoe und feierten stolz das Ende der Sierra. Am Highway streckten wir die Daumen raus, um schnellstmöglich am Lake Tahoe die müden Knochen am Strand ausstrecken zu können. Der See ist der zweittiefste und einer der höchstgelegenen der USA. Wir standen kaum fünf Minuten, als Gail anhielt. Sie ließ uns nicht ins Motel gehen, wir durften in ihrem Bett schlafen und ihr Haus war unser. Sie selbst fuhr dann ein paar Tage zum Fischen, nachdem sie uns noch einen Tipp für eine Weinbar gegeben hatte. Ihre extreme Gastfreundschaft werden wir nicht vergessen. In der Bar trafen wir den Pianisten und Trompeter Kris, der schon mit Frank Sinatra gespielt hat. Er zeigte uns seine Lieblingsstellen. Und zum Abschluss gingen wir zum Oktoberfest, das zwei Tage lang in South Lake Tahoe stattfand. Lederhosen, Dirndl und Jodeln – diese Bandbreite macht den PCT aus.

Wenn wir zurück blicken, kommen uns viele Bilder in den Sinn: Wir sind bei großer Hitze durch die Wüste gelaufen, über Schneeabhänge und Gebirgsgrate. Haben aus Quellen, Flüssen und Seen Wasser geschöpft und gefiltert. Wir sind von Moskitos verfolgt worden, haben Feuer gemacht, wasserarme und von Essen reduzierte Strecken gemeistert, sind Schlangen, Skorpionen, Stinktieren, Pumas, Murmeltieren, einem Stachelschwein und einem Kojoten begegnet. Wir sind im Regen gelaufen und wurden vom Wind fast davon geblasen, haben Unmengen Eichhörnchen gesehen, neue Vogelarten kennen gelernt, Froschkonzerten gelauscht, Eulen rufen hören, Pilze über Nacht wachsen sehen den Sternenhimmel neu entdeckt. Wir fühlten uns in von Moos überwachsenen Urwäldern mit Riesenfarnen wie im Märchen, haben uns von Huckelberries und Thumbberries ernährt, hier und dort Waldbrände gesehen und sind unter uralten und riesigen Pinien, Cedern und anderen Bäumen gelaufen. Wir haben in Pools heißer Quellen gebadet und den ganzen Reichtum auf und um den Pacific Crest Trail bis zuletzt ausgekostet. Doch auch die angrenzende Zivilisation gehört dazu. Wir haben Highways und Bahngleise überquert, sind unter Interstates durchgelaufen, über Dämme gegangen, haben auf Parkplätzen übernachtet sowie historische Landmarks gesehen.