Nestel liefert verschiedene Brote, Brötchen und süße Stückle an Aldi. Foto: Aldi Süd

Der Absatz über den Discounter erschließt neue Kundenkreise, die sonst nicht bei den regionalen Anbietern kaufen würden. Qualität und Gewinn leiden darunter nicht.

Oberstenfeld/Kleinbottwar - Bottwartäler Bauernbrot von der Bäckerei Nestel bei Aldi, Weißburgunder von der Burg Schaubeck bei Lidl – was unwahrscheinlich klingt, ist Realität. Die Discounter rüsten mit regionalen Produkten auf, weil sie erkannt haben, dass das bei der zunehmend anspruchsvollen Kundschaft gut ankommt. Und die regionalen Lebensmittelerzeuger entdecken neue Vertriebswege.

Ein Risiko, damit in einen ruinösen Preiskampf und Wettbewerb zu geraten, sehen sie darin aber nicht. Stephanie Tadday, eine von drei Geschäftsführern des Oberstenfelder Handwerksbäckers, erklärt zur Zusammenarbeit mit Aldi: „Wir sind immer fair behandelt worden.“ Und ein Vorteil sei, dass man so eine andere Käuferschicht anspreche. Zudem gebe es, verstärkt durch Corona, die Tendenz, dass manche Menschen eher die großen Läden ansteuerten, weil sie dort alles mit einem Einkauf bekämen.

Die Kooperation sei auch nicht neu, erklärt sie: „Vor etwa zehn Jahren haben wir angefangen, einige Filialen mit Brot zu beliefern. Die wurden in der Premiumbrotschiene zusammen mit Backwaren anderer Hersteller verkauft.“ Als Aldi dann seine Aufbackautomaten eingeführt habe, „sind wir rausgeflogen“. Aber Tortenböden habe man saisonal von Frühjahr bis Sommer immer geliefert. „Und darauf haben wir auch von unseren eigenen Kunden eine ganz tolle Resonanz bekommen; die haben schon immer gefragt, wann es wieder welche gibt“, betont Tadday.

Vor ein, zwei Jahren sei dann die Anfrage gekommen, ob man nicht wieder in größerem Umfang zusammenarbeiten könne. Das habe man aber wegen der beengten Räumlichkeiten und begrenzten Kapazitäten zunächst abgelehnt. „Brot kann man relativ problemlos in großen Mengen machen, bei süßen Stückle sieht das anders aus“, erklärt sie. Aldi habe jedoch mehrfach nachgefragt. Und als der Lieferumfang dann auf vier Filialen – in Beilstein, Abstatt, Lauffen und Brackenheim – beschränkt worden sei, habe man sich gesagt: „Das können wir stemmen.“ Hinzu komme: „Wenn man nicht mitzieht, kommt ein anderer Bäcker rein.“ Ein Vorteil der seit November werktäglich direkt von Nestel belieferten Filialen sei auch die nahe Anfahrt. Erhältlich sind dort nun etwa 20 verschiedene Backwaren – Brote, Körnerbrötchen, süße Stückle und ein kleines herzhaftes Snackangebot –, die hinter durchsichtigen Klappen unverpackt auf die Käufer warten.

Die Rezeptur sei bei den über Aldi verkauften Produkten dieselbe wie in den eigenen Filialen. „Anders könnten wir das gar nicht bewerkstelligen“, erläutert Stephanie Tadday. Im Übrigen sei die Kooperation von Nestel mit einem Großen des Lebensmittelhandels nicht neu. „Einige Kaufland-Filialen beliefern wir schon seit 40 Jahren mit Brot. Das hat schon der Großvater angefangen“, so Tadday.

Aldi Süd arbeitet aktuell mit 44 lokalen Handwerksbäckern zusammen, ist einer Pressemeldung des Konzerns zu entnehmen. Diese würden mehr als 1000 der insgesamt rund 1940 Filialen beliefern. Dabei würden Umfang und Zusammenstellung des regionalen Sortiments je nach Filialgröße und Vereinbarung mit den jeweiligen Bäckern variieren, so die Meldung. „Der regionale Bäcker hat für viele Menschen einen hohen Stellenwert“, sagt Svenja Özen, Corporate Buying Director bei Aldi Süd. „Hinzu kommt, dass unsere Kunden nicht erst seit der Corona-Pandemie mehr Wert auf eine gesunde, hochwertige und auch nachhaltige Ernährung legen. So gewinnen regionale Produkte an Bedeutung, die auf kurzen Wegen in unsere Filialen kommen. Diesen Trend unterstützen wir.“

Ganz anders als im Fall der Bäckerei Nestel ist die Situation beim Wein mit der Aufschrift „Burg Schaubeck“ gelagert, der deutschlandweit über Lidl vertrieben wird. „Da ist kein Tropfen aus den Graf-Adelmann-Weinbergen drin; das ginge schon von der Menge her gar nicht,“ betont Felix Graf Adelmann. Es handle sich dabei vielmehr um von ihm chargenweise aufgekauften Qualitätswein aus Württemberg, „alle trocken, alle mit Jahrgang, alle reinsortig“, erklärt er. Die abfüllende Firma namens MCCLXXII und mit Adresse der Burg Schaubeck wurde von ihm gegründet. Die römische Zahl entspricht der lateinischen Ziffer für 1272 – dem Datum, an dem die Burg erstmals urkundlich erwähnt wurde. Deren Adresse ist ebenfalls auf dem Etikett angegeben.

Entstanden sei das Projekt, das schon seit 2017 bestehe, durch die persönliche Bekanntschaft mit einer Lidl-Einkäuferin. „Sie fragte mich, ob es nicht möglich sei, einen qualitativ anständigen Wein zu einem vernünftigen Preis zu verkaufen, der auch von den Kunden des Discounters akzeptiert werde.“ Ihm selbst sei es auch wichtig, das Image der Württemberger Weine zu verbessern und auch mehr Menschen an gute Weine heranzuführen. „Wir sind, was den Weinkonsum angeht, das unzivilisierteste der zivilisierten Länder“, findet er und nennt Weine aus dem Tetrapack und einen Durchschnittspreis von 2,20 Euro brutto zur Verdeutlichung. „Wer wirklich VDP-Weine konsumiert, ist nur eine kleine Minderheit.“

Mit dem Projekt könne man nun „breiter angreifen – in Frankreich beispielsweise ist es üblicher als hier, Wein im Supermarkt oder im Discounter zu kaufen“, erklärt er. Die Chargen, die er aufkaufe, stelle er selber zusammen. Inzwischen spreche er auch mit einigen Lieferanten bereits im Vorfeld, damit die Weine seinen Vorstellungen entsprechend ausgebaut werden. Immerhin stehe er zwar nicht mit dem Weingut Graf Adelmann, aber mit seinem eigenen Namen dahinter.

Die Kooperation bezeichnet Felix Graf Adelmann als „für beide Seiten sehr befriedigende Angelegenheit“. Bei den meisten Weinen handle es sich um Aktionsware, die innerhalb 48 Stunden ausverkauft sei, lediglich ein Riesling und ein Spätburgunder seien ständig im Angebot. Und so gelinge es, einen breiteren Kundenkreis davon zu überzeugen, dass man auch mal doppelt soviel wie im Durchschnitt für einen Wein ausgeben könne und dafür dann auch etwas Anständiges bekomme.

Er selber sei froh, dass er das Ganze rechtzeitig angefangen habe. „Denn dem Lebensmittelhandel geht es auch in Zeiten von Corona noch gut.“