Befürchtet verheerende Spätfolgen der Pandemie: der Dirigent Marek Janowski Foto: dpa/Sebastian Kahnert

Nach der Verlängerung des zweiten Kultur-Lockdowns mehren sich kritische Stimmen. Die Politik rechtfertigt sich und erhöht den Kulturhaushalt für 2021 um 170 Millionen Euro.

Berlin - Das Positive zuerst: Am Donnerstag hat der Haushaltsausschuss des Bundes für 2021 eine Erhöhung des Kulturhaushaltes um 170 Millionen Euro auf dann gut 2,1 Milliarden Euro beschlossen. Zu den mehr als 100 Projekten, bei denen der Bund weitere Finanzen zusichert, gehört etwa die Sanierung des Bayreuther Festspielhauses mit 84,7 Millionen Euro. In dem Haus auf dem Grünen Hügel, wo traditionell die Richard-Wagner-Festspiele stattfinden, stehen umfassende Arbeiten an. Für die Kulturstiftung Sachsen-Anhalt und die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten stellt der Bund jeweils 100 Millionen Euro bis 2027 zur Verfügung. Beide Länder müssen die gleiche Summe jeweils gegenfinanzieren. Gefördert wird mit 42 Millionen Euro die Urania in Berlin, die zu einem nationalen Bürgerforum für Demokratie und Vielfalt, Wissenschaft und Umwelt entwickelt werden soll. Das Bauhaus-Archiv bekommt 14 Millionen Euro zusätzlich. Die dritte Teilinstandsetzung am Haus der Kulturen der Welt wird mit mehr als zwei Millionen Euro unterstützt. Deutschlands größte Kulturinstitution, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, bekommt mit fünf Millionen Euro nun fast 160 Millionen Euro für den Erhalt der teils maroden Bauten. Und Chemnitz kann für sein Programm als Europäische Kulturhauptstadt 2025 auf 25 Millionen Euro vom Bund setzen, die gleiche Summe soll aus Sachsen kommen.

Einige Einrichtungen werden die Corona-Krise nicht überleben

Vorausgegangen war eine teils heftig geführte Debatte über die Verlängerung der Schließung von Kultureinrichtungen im Rahmen der Corona-Maßnahmen. Gefordert wurde auch eine rasche Wiedereröffnung im Neuen Jahr. Die Direktorin des Berliner Instituts für Museumsforschung, Patricia Rahemipour, sprach sich für die Wiederöffnung der Museen trotz Pandemie aus. Museen seien wichtige Orte der Bildung, böten soziale Räume für den Austausch, aber auch für besinnliche Momente. In den vergangenen Monaten hätten die Häuser sehr viel in Hygienekonzepte und in die Besucherlenkung investiert. „Es wurde alles getan, um die Gesundheit der Menschen zu schützen“, sagte Rahemipour. Zugleich warnte sie davor, dass einige Häuser und Einrichtungen die Pandemie nicht überleben werden. Die Mehrzahl der rund 7.000 Museen in Deutschland werde nicht staatlich finanziert.

Für die Kreativen sei es bitter, auch im Dezember ihre Kunst vielfach nicht ausüben zu können, bedauerte Kulturstaatsministerin Monika Grütters in Berlin. Die Kultureinrichtungen seien die Ersten gewesen, die wegen der Pandemie schließen mussten – „sie dürfen nicht die Letzten sein, die wieder öffnen dürfen“, mahnte Grütters. Die Kulturszene verhalte sich seit Beginn der Pandemie sehr solidarisch, obwohl sie in ihrem Lebensnerv getroffen sei und ein großes Opfer bringe. Viele Kultureinrichtungen hätten in den vergangenen Monaten auch mit Unterstützung des Bundes vorbildliche Hygienekonzepte und Abstandsregelungen entwickelt. Grütters nannte es aber auch ein wichtiges neues Signal im Bund-Länder-Beschluss vom Mittwochabend, dass die Einrichtungen wegen des Rangs der Kunstfreiheit öffnen dürfen, sobald dies unter Beachtung der Infektionslage wieder möglich sein werde.

Grütters: Die Ersten sollen nicht die Letzten sein

Der Deutsche Kulturrat bedauerte die weiteren Schließungen. „Aber wir sehen auch, dass das Infektionsgeschehen es noch nicht zulässt, den Lockdown zu beenden“, sagte Geschäftsführer Olaf Zimmermann. Der Kulturbereich sei fast durchgängig seit März im Lockdown. „Es muss jetzt geklärt werden, wie lange wir noch diese Sonderlasten tragen müssen, oder ob nicht auch andere Bereiche, wie zum Beispiel der Handel, einen Teil der notwendigen Beschränkungen übernehmen sollten“, sagte Zimmermann. Der Kulturbereich müsse so schnell wie möglich wieder geöffnet werden.

Die Deutsche Orchestervereinigung (DOV), also die Gewerkschaft der Berufsmusiker, forderte eine stärkere Differenzierung und Prüfung der Verhältnismäßigkeit bei der Beschneidung der Freiheit von Kunst. Einen Konzert- oder Theaterbetrieb könne man nicht von einem auf den anderen Tag wieder hochfahren, sondern benötigte einen Vorlauf von mehreren Wochen. Daher sei es legitim, jetzt verlässliche Perspektiven und Lockerungsszenarien für die ersten Monate des neuen Jahres einzufordern. „Bund und Länder müssen jetzt eine klare Perspektive mitteilen, wann wieder gespielt werden soll“, sagte der Geschäftsführer Gerald Mertens – und verwies auf die Schweiz, wo schon jetzt klar sei, dass die Veranstaltungshäuser ab 11. Januar - wenn auch eingeschränkt - wieder spielen könnten.

Bis zur einer Wiederaufnahme des normalen Betriebs sieht die DOV allerdings auch die Kulturinstitutionen in der Pflicht. „Wenn die Kultur von sich behauptet, dass sie systemrelevant ist, muss sie das auch viel stärker unter Beweis stellen“, sagte Mertens. Bei Konzerthäusern und Theatern gebe es hier noch ein großes Defizit. „Gerade jetzt zu Weihnachten hätten sie eine Chance, sich noch stärker zu profilieren.“ Als Beispiel nannte Mertens Auftritte von Kammermusikensembles in den Innenstädten, digitale Formate und Außenübertragungen zum Advent.

Nach der Pandemie, befürchtet Marek Janowski, werden die Kassen leer sein

Der Dirigent Marek Janowski befürchtet harte Einschnitte für die Kultur auch nach Abflauen der Corona-Krise. Es sei gut, wenn ein Mann wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Kunst und Kultur als Lebensmittel bezeichne, sagte der 81 Jahre alte Chefdirigent der Dresdner Philharmonie am Mittwoch. Die Realität sei aber eine ganz andere, wenn man in ein paar Monaten „in die Stadtsäckel schauen muss“. Er sei sich sicher, dass sich alle Parteien nach dem Ende der Pandemie die Prioritätenfrage stellen. Es gehe um die Frage, was man sich noch leisten könne im Musikbetrieb, wenn viele pleite sind. Eine Musikstadt wie Dresden könne sich einen solchen Verzicht eigentlich nicht erlauben: „Ich befürchte aber, dass da in Deutschland einiges passieren wird.“

Auch wenn es im neuen Jahr einen Impfstoff geben sollte - weg sei das Virus damit nicht, sagte Janowski: „Aber eines ist sicher. Alle Kassen sind leer.“ Daran komme keiner vorbei. Beim Lockdown wünsche er sich mehr länderspezifische Regelungen. Man sollte da flexibler sein: „Ich würde es verdammt schön finden, wenn in ein paar Wochen hier wieder 300 oder 400 Leute überall verstreut sitzen könnten.“

Thalia-Intendant Lux befürchtet ein Ende des Solidarprinzips

Der Intendant des Hamburger Thalia-Theaters, Joachim Lux, sieht durch eine verlängerte Zwangspause für Theater, Opern und Konzertsäle das Solidarprinzip in Gefahr. „Wenn es tatsächlich so ist, dass die Gesellschaft als Ganze Solidarität übt und für die Bewahrung höchster Güter, nämlich Leben und Gesundheit, tief greifende Einschnitte vollzieht, dann respektieren selbstverständlich auch Kunst und Kultur die Maßnahmen“, sagte Lux.

„Sollte es aber so sein, dass einzelne Branchen mit Egoismus und Lobbyismus nach den haarsträubenden Fehlern im Sommer (voll besetzte Ferienbomber) abermals auszuscheren versuchen und sich damit wiederholt durchsetzen, dann zerstört dies das Solidarprinzip in Gesellschaft wie Kultur endgültig“, sagte der Intendant. Es sei schwer erträglich, dem Kampf um Silvesterfeuerwerke oder die Öffnung von Skigebieten zuzusehen, während sich im Rest der Gesellschaft nur bis zu fünf Personen treffen und die Betrachtung eines Bildes im Museum oder das Hören des Weihnachtsoratoriums im Konzertsaal verboten ist. „Das wäre eine sehr, sehr hässliche Fratze unseres Systems. Sie bringt das Band, das uns alle verbindet, zum zerreißen - nicht nur in der Kultur“, sagte Lux.