Die Hierarchie unter den Liebenden ist klar, aber nicht selbst gewählt: Paula Beer und Franz Rogowski in „Undine“ Foto: Verleih

Christian Petzolds mythisches Wassergeist-Drama „Undine“ ist eine wahrhaftige Romanze mit einer sehr eigenen, eigentümliche Stimmung. Paula Beer und Franz Rogowski geben darin eines einfühlsamsten Filmpaare seit langem.

Stuttgart - Wassergeister sind seltsame Wesen, besonders, wenn sie ihr Dasein überwiegend an Land fristen und einen alten Fluch mit sich herumschleppen. Die Sage von der Nymphe Undine, die nur durch einen Liebespartner zu einer Seele kommt und Untreuen den Tod bringt, stammt aus dem Elsaß. Der deutsche Autorenfilmer Christian Petzold hat das weibliche Gespensterwesen in einen amorphen Neubauteil der Berliner Mitte verfrachtet.

Paula Beer spielt die Stadthistorikerin Undine Wibeau, die einnehmende Vorträge zur Berliner Stadtkultur hält. Als ihr Freund Johannes (Jacob Matschenz), ein selbstgefälliger Arroganzling, sie verlassen will, erklärt sie dem Ungläubigen, sie müsse ihn dann umbringen. Doch Johannes hat Glück: Der Fluch wird durch einen unvorhersehbaren Vorfall aufgeschoben, zumindest vorerst – und die zugehörige, magische Schlaglicht-Szene ist ein Petzoldscher Kunstgriff, deren überraschenden Inhalt der Trailer zum Film unglücklicherweise verrät. Sie führt jedenfalls glaubhaft dazu, dass Undine sich Hals über Kopf in den Industrietaucher Christoph (Franz Rogoswski) verliebt und unverhofft eine heftige Romanze erlebt, wie sie Erdenwesen, vor allem verfluchten, nicht oft vergönnt ist.

Reibungswärme, die abstrahlt

Beer und Rogowski waren schon in Petzolds „Transit“ (2018) zu sehen als entwurzelte Flüchtlinge in Südfrankreich. Wie ein Echo auf den Rechtspopulismus wirkte Petzolds Adaption von Anna Seghers’ gleichnamigem Weltkriegsroman, den der Regisseur in die Gegenwart holte. Ein neues deutsches Mörderregime terrorisiert da Europa, die Entkommenen hängen in der Luft, während sie auf Passage in die USA hoffen. Mehr als eine flüchtige Romanze war in so einer Situation nicht drin – und Christian Petzold bekam den Wunsch, seinen beiden Darstellern einen Nachschlag anzubieten: Am Dreh-ende von „Transit“ habe er Beer und Rogowski die Idee vorgetragen, sagte Petzold bei der diesjährigen Berlinale, wo „Undine“ Weltpremiere feierte – und sie hätten spontan zugesagt. „Ich besetze immer zuerst“, sagte Petzold, „ich kann erst richtig schreiben, wenn ich weiß, wer das spielt. Dann kann ich nicht mehr alles mit denen machen, das gibt einen Widerstand, und den brauche ich.“

Das Ergebnis ist eine kleine Offenbarung: Ungemein behutsam gehen Paula Beer und Franz Rogowski miteinander um, zwischen ihnen entsteht eine Reibungswärme, die in den Kinosaal abstrahlt. Aus jedem Blick, jeder Geste, jedem Satz sprechen ungeheure Achtsamkeit und Aufmerksamkeit, das Paar hegt und pflegt sein kostbares Liebesgeschenk, während im Hintergrund als Menetekel der Fluch lauert. Besonders zauberhaft sind die Unterwasserszenen gelungen, für die Petzold eigens eine industrieromantisch zugewachsene Unterwasserlandschaft in einem Tank hat bauen lassen: Da umkreisen und umgarnen Beer und Rogowski einander auf sehr innige Weise – und lernen zugleich, dass sie etwas trennt.

Ambivalente Charaktere

Petzold liebt mystische Geschichten und versteht es wie kein zweiter, seine Bilder mit verwunschenen Stimmungen aufzuladen. In „Gespenster“ (2005) geisterten Julia Hummer und Sabine Timoteo als verlorene Seelen durch Berlin, in „Yella“ (2007) schickte Petzold seine langjährige Lieblingsschauspielerin Nina Hoss in eine Traumwelt zwischen Leben und Tod, in „Phoenix“ erlebt sie als KZ-Überlebende eine gruslige Wiederauferstehung in den Ruinen, wo alles nach menschlichem Verrat riecht und schmeckt.

Nun hat er in Paula Beer eine weitere Schauspielerin gefunden, die sich mit jeder Faser in ihre Rollen hineinwirft. Bravourös gibt sie in François Ozons Drama „Frantz“ (2016) die Trauernde, deren Verlobter im Ersten Weltkrieg gefallen ist und die es dennoch schafft, einem rätselhaften Besucher aus Frankreich ohne Vorbehalte zu begegnen. In der Serie „Bad Banks“ spielt sie die Investment-Bankerin Jana Liekam, eine eiskalte Karrieristin, die die Zuschauer trotzdem vollständig für sich einnimmt. Auch Franz Rogowski versteht es, ausgeprägte Feinfühligkeit mit Anflügen von Verhärtung so zu paaren, dass ambivalente Charaktere entstehen – die ja immer viel interessanter sind als eindimensionale.

Gefühl von Heimatlosigkeit

Klaviermusik von Johann Sebastian Bach umfließt- und strömt melancholisch die Protagonisten und gibt dem Film einen Rhythmus, zeitgenössische Berliner Unorte unterstreichen ein Gefühl von Heimatlosigkeit.

Paula Beer bekam in Berlin den Silbernen Bären als beste Darstellerin. Sie hat ihn ihrem Filmpartner Franz Rogowski gewidmet: „Man kann immer nur so gut sein wie sein Gegenüber, Franz ist der wundervollste Spielmann, den man sich wünschen kann“, sagte sie bei der Preisverleihung. „Ein Liebespaar zu spielen das Schönste und das Schwierigste.“