An der Pinnwand neben Sandra Brocks Schreibtisch hängt ein Hochzeitsfoto der Döhners, das Hedi Döhner ihr bei ihrem Gespräch über die große Liebe geschenkt hat. Foto: Oliver von Schaewen

Als Lokaljournalist wird einem Vertrauen geschenkt – nicht von allen, aber von vielen. Und manchmal ist es sehr großes Vertrauen – wie bei Hedi Döhner, die ihre ganze Lebens- und Liebesgeschichte erzählt hat.

Marbach - Der Ton ist rauer geworden, das Vertrauen schwindet – auch das in die Medien. Man muss sich ja nur mal bei Facebook und Co. umschauen. Fake-News, Lügenpresse . . . Das sind wir nun in den Augen mancher Menschen. Das macht traurig.

Dennoch habe ich den vergangenen gut 20 Jahren im Lokaljournalismus immer wieder das Gegenteil erleben dürfen. Nämlich, dass mir sehr großes Vertrauen entgegengebracht wird. Und das hat mich oft auch überrascht. Immerhin bin ich „nur“ die Frau von der Zeitung. Eine Fremde. Trotzdem laden mich Menschen in ihr Zuhause ein, erzählen mir persönlichste Geschichten, haben Vertrauen, dass ich sie richtig formuliere, nichts Wichtiges weglasse oder gar etwas dazudichte.

Viele Menschen haben mir dieses Vertrauen entgegengebracht, eine Geschichte hat mich besonders berührt. Die von Hedi Döhner. Eines Tages, vor vielen Jahren, rief sie mich an. Ich sollte doch mal vorbeikommen und ein Foto von ihren schönen Blumen auf der Terrasse machen, die habe sie für ihren Georg gepflanzt. Ich wusste zwar nicht so recht, was ich damit anfangen sollte, aber – nun gut, ich tat ihr den Gefallen. Letztlich entstand ein kleiner Beitrag über die hübsch gestaltete Gartenfläche an der Wohnung des alten Ehepaars.

Hedi Döhner hatte mir aber noch etwas mit auf den Weg gegeben. Damals schon, bei unserer allerersten Begegnung, erzählte sie mir ein Stück ihrer bewegenden Lebens- und Liebesgeschichte. Vertraute sie mir an. Einfach so. Erst einige Jahre später würde ich die Geschichte aufschreiben, das wusste ich aber damals noch nicht.

Hedi Döhner war an diesem Tag einfach glücklich, ihre schwere Erkrankung überstanden zu haben und wieder mit ihrem Mann Georg auf dem Bänkle auf der Terrasse sitzen zu können – mit Blick auf die schönen Blumen, die sie gepflanzt hatte. Überhaupt war ihr Leben von einigem an Leid geprägt. Aber sie hat auch das ganz große Glück erfahren. Denn im Sommer 1983 lernte sie – damals 51 Jahre alt – die Liebe ihres Lebens kennen. Beim Lichterfest auf dem Stuttgarter Killesberg. Georg Döhner war 67, die beiden heirateten schnell, und es waren ihnen 31 glückliche Ehejahre vergönnt, ehe Georg im Mai 2014 im Alter von 98 Jahren verstarb.

Wir hatten uns in der Zeit davor und auch danach immer wieder gesehen und gehört; Hedi Döhner erzählte mir gern von ihren Blumen und natürlich von ihrem Georg. Ein halbes Jahr nach seinem Tod sollte es in unserer Weihnachtsserie um das Thema „Liebe“ gehen. Ich rief Hedi Döhner an und fragte sie, ob sie mir ihre Liebesgeschichte für die Zeitung erzählen würde. Natürlich würde sie, erklärte sie mir.

Sie lud mich zum Kaffee ein. Der Tisch war hübsch gedeckt, ihre Gedanken, ihre ganze Geschichte hatte sie mir in ihrer schönen Schrift auf Papier mit Blumenrand aufgeschrieben. Hedi Döhner hielt die Blätter fest und berichtete mir von Anfang an: Von ihrem Kennenlernen, als Georg zu ihr sagte: „Du bist ein richtiges Schätzchen“ – ein Kosename, den sie all die Jahre behielt. Sie berichtete auch von der Hochzeit, die im Dezember 1983 stattfand. „Einer trage des anderen Last. Bis der Tod euch scheidet“, lautete der Trauspruch. „Und das haben wir dann 31 Jahre gehalten“, sagte mir Hedi Döhner. „Unsere Liebe ist von Jahr zu Jahr größer und tiefer geworden.“

Ich weiß es nicht mehr ganz genau, aber spätestens an dieser Stelle liefen die Tränen – bei uns beiden. Und ich bin eigentlich nicht so nah am Wasser gebaut, wie man so schön sagt. Und wir weinten weiter, als Hedi Döhner vom Tod ihres geliebten Georg, ihrem Guterle, berichtete: Jeden Tag hatte sie ihn im Krankenhaus besucht. Eines Nachts bekam er einen Herzinfarkt. „Der Arzt meinte, er soll in Frieden sterben, doch viele Stunden vergingen und er kämpfte mit dem Tod“, erinnerte sich Hedi Döhner. Als sie am Mittag zu ihm kam, nahm sie sein Gesicht in ihre Hände und sagte: „Mein Guterle, dein Schätzchen ist da, jetzt wird alles gut.“ Georg Döhner öffnete die Augen, sah seine Hedi an und schloss sie wieder. „Dann kam der Pfleger herein und sagte mir, dass mein Mann soeben verstorben sei.“ Hedi Döhner sah mich an: „Gibt es einen schöneren Liebesbeweis? Einen schöneren, als dass mein Georg ohne sein Schätzchen nicht sterben konnte und ich in seinem letzten Augenblick bei ihm war und ihm zeigte, dass selbst der Tod uns nicht trennen kann?“

Hedi Döhner selbst starb im Frühjahr 2019. Und woran man nun glaubt oder auch nicht – ich finde den Gedanken schön, dass die beiden „da oben“ nun wieder zusammen sind. Und ich bin dankbar dafür, dass Hedi Döhner mir dieses Vertrauen geschenkt und mir ihre Geschichte anvertraut hat.

Zur Person
Sandra Brock ist gebürtig aus dem schönen Allgäu. Sie kam vor etwas mehr als 20 Jahren ins Ländle, um ein Praktikum bei einer Zeitung zu machen – und blieb. Nach Stationen in Stuttgart arbeitet sie seit 14 Jahren bei der Marbacher Zeitung.