Das Queer-Café in Marbach Foto: Archiv (Phillip Weingand)

Auch Jugendliche interessieren sich nicht immer nur für das andere Geschlecht, sondern manchmal auch für das gleiche. Für viele Teenager ist das zunächst einmal ein Problem. Doch im Queer-Café im planet-x machen sie die Erfahrung, dass sie damit nicht allein und auch nicht „krank“ sind.

Marbach - Es ist ein Angebot, das zumindest im Raum Marbach-Bottwartal einmalig ist: das Queer-Café im Jugendhaus Marbach. Dort treffen sich junge Leute, deren geschlechtliche Orientierung und Identität nicht ins klassische Bild passen. Etwas Ähnliches gibt es sonst nur noch in Bietigheim. Ein Grund, warum auch Jugendliche aus Ludwigsburg oder Kornwestheim nach Marbach kommen.

„Queer“, dieser aus dem Englischen stammende Begriff bedeutete, bevor er zum Synonym für ‚homosexuell’ wurde, „seltsam, eigenartig, verrückt“ – doch genau das ist es nicht, betont Claudia Freude, die beim planet-x für das Queer-Café verantwortlich zeichnet und es auch ins Leben gerufen hat: „Man geht davon aus, dass pro Schulklasse ein bis zwei Jugendliche nicht in das binäre System passen.“ Sie selber befasse sich schon lange mit dem Thema; vor einiger Zeit hat sie dazu eine Sonderqualifikation erworben.

In Marbach Fahrt aufgenommen hat die Idee dann mit dem Stadtjugendforum im Oktober 2019. „Da gab es auch eine Queer AG“, weiß Georg Stenkamp, der Leiter des Jugendhauses. Er hält das Angebot gerade im Umfeld des großen Friedrich-Schiller-Gymnasiums und der anderen Schulen in unmittelbarer Nähe zum Jugendhaus für immens wichtig. „Und das Rathaus ist da zum Glück sehr offen“, sagt die stellvertretende Leiterin Claudia Freude und erklärt, warum das Thema gerade für Jugendliche eine solche Bedeutung hat: „Verliebtheit ist ein ganz tolles Gefühl“, meint sie. Doch wenn ein junger Mensch merke, dass er oder sie sich nicht zum anderen Geschlecht hingezogen fühle, „dann halten sie sich oft für nicht ‚normal’“.

Manche würden sich schnell outen, manche gingen auch offen und zum Teil sogar aggressiv mit dem Thema um, „aber bei vielen gibt es nie ein offenes Gespräch“. Die seelische Not könne sich in selbstverletzendem Verhalten wie Ritzen äußern oder bis hin zu Selbstmordversuchen führen. Oft gebe es auch Diskriminierung im familiären oder freundschaftlichen Umfeld, bis hin zum Versuch einer Gehirnwäsche. „Manchmal ist auch der religiöse Hintergrund so, dass das nicht sein darf.“ Im schlimmsten Fall könne es sein, dass der jeweilige Jugendliche in Obhut genommen werden müsse und „ganz aus der Familie rausgenommen wird.“

Eine 15-Jährige aus Marbach, die regelmäßig das Queer-Café besucht – persönlich, seit Corona auch virtuell –, hat nicht ganz so schlimme Erfahrungen mit ihrem Outing gemacht. „Am Anfang war es für meine Familie nicht leicht, vor allem mein Opa hat sich ziemlich homophob verhalten, aber jetzt ist es ganz okay“, sagt sie. Allerdings hat sie auch erlebt, dass einige ihrer muslimischen Freundinnen nichts mehr mit ihr zu tun haben wollten, was sie als Christin nicht versteht. Umso mehr weiß sie das Angebot des Queer Cafés zu schätzen: „Ich habe mich dort sofort am richtigen Platz gefühlt und erkannt: Ich bin nicht allein und ich bin nicht krank.“ Weil das auch anderen der Gruppe so gehe, seien auch die Freundschaften, die bei den Treffen entstünden, „ganz besonders“, findet die Jugendliche.

Positiv sei neben gemeinsamen Aktionen wie beispielsweise dem Besuch des Christopher Street Days oder Aktivitäten zum Weltfrauentag vor allem der „richtig offene“ Austausch untereinander, auch mit Älteren, die schon mehr Erfahrungen zu dem Thema und dem Umgang mit den Reaktionen der Mitmenschen gesammelt hätten.

Im Queer-Café treffen sich aber nicht nur homosexuelle junge Menschen, sondern auch andere aus der sogenannten LSBTTIQ-Community – wobei die Buchstaben für lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell, transgender, intersexuell und queer stehen. „Die Jugendlichen können unter sich bleiben, finden Rückhalt und steigern so ihr Selbstwertgefühl“, erklärt Claudia Freude. Freundinnen und Freunde mit heterogeschlechtlicher Orientierung seien aber auch willkommen bei den Treffen. Und zwischen den Jugendlichen und ihr gebe es einen Informationsaustausch. „Wenn Gesprächsbedarf besteht, bin ich da“, sagt sie. Auch Beratungsstellen kann sie vermitteln.

Viele der jungen Menschen seien sehr kreativ, betont die Erzieherin, und nutzten selbstgemalte Bilder als Ausdruck ohne Worte. Als nächstes plane man einen Facebook- oder Instagram-Auftritt. „Und dann hoffen wir, dass wir auch in diesem Jahr wieder gemeinsam zum Christopher Street Day gehen können – auch wenn das nur mit Einschränkungen möglich ist.“