Eine kleine, aber wichtige Geste: Nicht die Hand des Kranken ergreifen, sondern die Hand unterschieben, sodass der Andere Helmut Brosi weiß, wie wichtig es ist, Nähe und Distanz zu schaffen. Foto: privat

Helmut Brosi leitet die Hospizgruppe Steinheim und begleitet Schwerstkranke in ihrer letzten Lebensphase. Das Ehrenamt ist ein Geschenk an andere, aber auch an sich selbst.

Steinheim - Zuhören, Ängste wahrnehmen, sie teilen, Schweigen aushalten, sich mit dem Gegenüber austauschen – mit Worten, Blicken und Gesten. Seit 1996 gibt es die Ökumenische Hospizinitiative im Landkreis Ludwigsburg. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, Menschen, die schwerstkrank sind oder sich in ihrem Sterbeprozess befinden, eine würdevolle Zeit an einem selbstbestimmten Ort zu ermöglichen, aber auch Angehörige zu entlasten. 18 ambulante Hospizgruppen gibt es zur Zeit im Landkreis. Im Raum Marbach & Bottwartal eine in Marbach, eine in Großbottwar und eine in Steinheim-Murr. Letztere wird von Helmut Brosi geleitet. Vor zwei Jahren hat der Murrer die Aufgabe von Rolf Hartmann übernommen. Zusammen mit zwei Frauen und vier Männern deckt er das Einzugsgebiet Steinheim, Murr und Erdmannhausen ab.

Als sich der Vermessungsbeamte auf seinen Ruhestand vorbereitete und überlegte, wie er die freie Zeit ausfüllen könnte, stolperte er über die Ankündigung eines Vorbereitungskurses für Hospizbegleiter in der Zeitung. „Wir hatten Krankheit und Todesfälle in der Familie und ich wusste nie so richtig, welches Verhalten angebracht ist“, erinnert er sich. Tod und Krankheit, das sind oftmals noch immer Tabuthemen in unserer Gesellschaft.

Im November 2012 nimmt Brosi am Vorbereitungskurs der Hospizinitiative teil, im Mai 2013 schließt er die Ausbildung ab. „Ich habe für mich darin eine Aufgabe gesehen, das zu machen“, erzählt der 71-Jährige. In 120 Unterrichtseinheiten zu je 45 Minuten macht er sich mit Themen vertraut, die ihn auch im eigenen Leben weiterbringen. Wie gehe ich mit Schmerzen um? Wie gehe ich mit meinen eigenen und mit fremden Gefühlen um? Was ist nonverbale Kommunikation? Wie halte ich Distanz und Nähe in Balance? Dazu kommen zwei Praktika – eines bei einem ambulanten Pflegedienst und eines in einem Pflegeheim.

Die Balance von Nähe und Distanz ist für die Arbeit eines ehrenamtlichen Hospizbegleiters wichtig. „Man muss zuerst auf sich selbst schauen, denn nur wenn es einem selbst gut geht, kann man anderen helfen und etwas geben“, sagt Brosi und zieht den Vergleich mit einer Schale heran. Nur wenn die voll gefüllt sei, könne man auch etwas weitergeben. „Wenn das nicht so ist, dann ist es wichtig, auch Nein zu sagen – und das kann man lernen“, weiß Brosi. Ebenso wie das Abgeben der Verantwortung. „Wenn man jemanden begleitet und wieder nachhause geht, dann muss man abschließen.“ Dazu gehört für Brosi auch, auf keine Beerdigung zu gehen – aus Selbstschutz.

An seine erste Begleitung – der 71-Jährige mag das Wort „Einsatz“ nicht – kann er sich noch gut erinnern. Nervös sei er gewesen, berichtet der Murrer. Die Frau, der er in ihrer letzten Lebensphase in einem Pflegeheim zur Seite stand, war noch nicht einmal 50. „Ich wurde von einem Arzt und der Pflegedienstleitung erwartet. Der Arzt sagte mir, dass sie bald sterben werde, ihre Mutter aber nicht wolle, dass man vom Tod spricht.“ 20-mal besuchte Brosi die schwerkranke Frau und durchlebte mit ihr verschiedene Sterbensphasen. „Beim Sterben selbst bin ich aber noch nie dabei gewesen.“

Die Hospizbegleiter, das ist Helmut Brosi wichtig, übernehmen keine Pflege der Kranken. „Wir sind auch nicht unbedingt seelsorgerisch tätig. Wir sind einfach nur da für den Kranken und machen uns mit ihm auf den Weg. Wir begleiten ihn und sind für Gespräche jeglicher Art da. Wir schenken aber auch den Angehörigen Zeit, in der sie selbst auftanken oder einfach nur etwas erledigen können.“

In manchen Orten sind es viele Ehrenamtliche und es gibt auch keine Sorgen über Nachwuchs, in anderen Orten im Landkreis schrumpfen die Gruppen. „In den vergangenen Jahren mussten immer wieder Hospizgruppen aufhören, weil sie keine einsatzbereiten Ehrenamtlichen mehr hatten“, sagt Sabine Horn, die Geschäftsstellenleiterin der Hospizinitiative im Kreis. Das nächste Informationsgespräch für alle, die sich vorstellen können Hospizbegleiter zu werden, findet am 17. November auf der Karlshöhe in Ludwigsburg statt. Der Kurs startet dann am 27. November und geht bis zum 23. April.

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Seine schwierigste Begleitung? Helmut Brosi muss nicht lange überlegen. „Der Mann war etwas jünger als ich und hatte Krebs. Seine Frau wollte mittags etwas erledigen. Als ich zu ihm kam, lag er mit Schweiß auf der Stirn da. Er hatte starke Schmerzen.“ Brosi nahm über Berührung Kontakt mit dem Kranken auf. Dabei ist es wichtig, erklärt der 71-Jährige, die Hand des Anderen nicht einfach zu ergreifen, sondern die Hand unter die des Kranken zu legen, sodass der sie selbst ergreifen kann, wenn er möchte. „Wenn jemand gehen muss und er wird festgehalten, dann wird alles noch schwerer. Sterbende wissen mehr als wir.“