Der 13-Jährige spielt auf der Sechserposition und bringt seine älteren Gegenspieler der U14 gerne zur Verzweiflung. Foto: Archiv (Ralf Poller)

Der Gronauer Tiago Poller gilt als wahres Ausnahme-Talent. Der 12-Jährige spielt nach Stationen bei den Stuttgarter Kickers und dem VfB Stuttgart jetzt bei der TSG Hoffenheim in der Nachwuchsakademie – mit zunehmendem Erfolg.

Oberstenfeld-Gronau - Es ist ein ganz normaler Freitagnachmittag, kurz vor 15 Uhr. Tiago Poller sitzt am Esstisch in seinem Elternhaus in Gronau und erzählt von seiner Leidenschaft, dem Fußballspielen. In einer kurzen Gesprächs-Pause steht er auf und holt sich eine Banane. Doch noch bevor er diese schält, greift er nach einem Zettel auf dem Tisch und schreibt etwas darauf. „Ich trage ein, was ich esse“, erklärt der 12-Jährige und schmunzelt. In dieser Woche steht das Thema Ernährung bei seinem Verein im Fokus. Sein Verein? Das ist die TSG Hoffenheim. Mit ihr spielt Tiago Poller in der Junioren-Oberliga, der höchsten C-Junioren-Klasse Baden-Württembergs. Damit dies auch so bleibt, beziehungsweise er und seine Teamkameraden weiter ihren Weg nach oben machen können, setzt der Verein auf verschiedene Bausteine. Das normale Fußballtraining ist nur einer davon. Die Ernährung ist ein anderer, ebenso wie die Schulbildung. Tiago Poller liebt alle diese Bausteine – einen davon aber ganz besonders. Das Training und das Spiel an sich. „Fußball ist für mich das Allerwichtigste. Ohne Ball fehlt mir was“, sagt der 12-Jährige, und je länger man mit ihm spricht, umso verständlicher wird diese Aussage. Papa Ralf lacht in diesem Moment nur. „Er war schon immer völlig verrückt nach einem Ball. Das stand selbst in seinen Adoptionsunterlagen“, erzählt er. Zusammen mit seiner Frau Antje hat er Tiago im Alter von drei Jahren in Kolumbien adoptiert. Seitdem dreht sich im Hause Poller alles ganz besonders um den Fußball. Denn: Tiago Poller gilt als Ausnahme-Talent, als Künstler am Ball.

Er selbst lächelt bei diesen Aussagen nur, zuckt mit den Schultern und isst lieber seine Banane. „Es ist mir eigentlich egal, was andere sagen“, sagt er. „Ich möchte einfach nur Fußball spielen. Mein Traum ist es, Fußballprofi zu werden. Ich will das unbedingt. Und dafür ist das Training enorm wichtig. Wenn man da nicht richtig Gas gibt, dann wird es nichts“, erklärt er, und man könnte in diesem Moment meinen, da redet ein 18-Jähriger. Das Erstaunliche: Immer wieder betont der Schüler vom Beilsteiner Herzog-Christoph-Gymnasium, wie sehr er das Training liebt. Papa Ralf kann da nur nicken. „Er hat einen enormen Antrieb. In all den Jahren hat er nicht ein einziges Mal gesagt, dass er keine Lust aufs Training hat oder gerne etwas anderes machen würde. Selbst in seiner freien Zeit spielt er mit seinem Bruder Juan im Garten Fußball“, erklärt er und schüttelt selbst etwas ungläubig den Kopf über die Ernsthaftigkeit, mit der sein Sohn seinen Traum verfolgt. Alles wird dem Fußball untergeordnet. Treffen mit Freunden? „Die gibt es nur selten“, sagt Tiago. Ausschweifende Popcorn- oder Chips-Abende? „Sind absolute Ausnahmen“, erklärt der 12-Jährige, der aber gesteht: „Sonntags gibt es Nutella, ansonsten ernähre ich mich gesund.“ Mittage, an denen einfach auf der faulen Haut rumgelegen wird? „Dafür ist gar nicht viel Zeit“, sagt er. Denn: Viermal in der Woche ist Training, an den Wochenenden und in den Ferien finden Spiele oder Turniere statt.

Zum Training nach Zuzenhausen geht es im Übrigen mit einem Shuttle der TSG. Mit diesem werden die Spieler aus der Region, die nicht im Internat sind, eingesammelt. Um 15.40 Uhr steht Tiago Poller dafür täglich an der vereinbarten Stelle, um 17.30 Uhr findet dann das Training statt. Gegen 21 Uhr ist er wieder daheim. Gevespert wird im Shuttle auf dem Heimweg, denn zu Hause wäre es schon zu spät. „Meine Mama macht mir täglich etwas“, berichtet Tiago, der seine Hausaufgaben direkt nach der Schule um 13.30 Uhr erledigt. Oder aber auch mal in der TSG-Akademie, in der Nachhilfelehrer zur Verfügung stehen. Denn die Schule und die Noten sollen bei all dem Sport nicht vernachlässigt werden. Das weiß auch Tiago, der in der Schule aber ebenso ehrgeizig ist wie auf dem Fußballplatz.

Auf eben diesem machte er schon früh auf sich aufmerksam. Wobei: Ganz zu Beginn hängte er das Spielen im Verein erstmal gleich wieder an den Nagel. Als er vier Jahre alt war, hat er bei den Bambinis des TGV Beilstein angefangen. „Da hat ein älterer Junge etwas Blödes gesagt und das war’s dann. Tiago ist ein halbes Jahr nicht mehr ins Training gegangen“, erinnert sich Papa Ralf zurück, und Vater und Sohn beginnen sofort zu lachen. Heute kann sich Tiago Poller so etwas gar nicht mehr vorstellen, denn inzwischen weiß er sich zu behaupten. Was auch daran liegt, dass er für sein Alter schon einige Vereinswechsel hinter sich hat. Von Beilstein ging es zum SGV Freiberg, wo er ein Jahr blieb, ehe er zu den Stuttgarter Kickers in die U8 wechselte. Zweieinhalb Jahre lang spielte er dort, wurde zum Kapitän der U10 benannt. 2016 kam dann eine Anfrage vom VfB Stuttgart, der er 2017 folgte. „Normalerweise muss man vorher in eine Sichtung, aber sie haben gesagt, das brauche ich nicht“, erinnert sich Tiago zurück. Als U10-Spieler startete er sofort in der U11 – und zog weiteres Interesse auf sich.

Neben der TSG Hoffenheim fragte auch der FC Bayern München bei Pollers an – zuletzt im Oktober. Anrufe von Spielerberatern? „Die gibt es, blocken wir aber ab“, sagt er. Vertrags-Angebote von namhaften Sportartikel-Herstellern? Liegen ebenfalls vor. Eines davon haben Pollers angenommen. Nun flattern viermal im Jahr Fußballschuhe ins Haus, zudem bekommt Tiago Poller jährlich Lauf- und Straßenschuhe sowie ein Budget für Kleidung gestellt. Ganz ungewöhnlich ist ein solches Sponsoring in diesem Alter nicht. „Der ein oder andere Teamkamerad hat das auch, aber im Großen und Ganzen ist es die Ausnahme“, erklärt der Schüler, der nun seit dem 1. Juli bei der TSG Hoffenheim spielt und sich von diesem Wechsel selbst vom VfB-Vorstandsvorsitzenden Thomas Hitzlsperger nicht hat abbringen lassen.

„Es gab ein langes Gespräch mit Thomas Hitzlsperger, der ihn davon überzeugen wollte, beim VfB Stuttgart zu bleiben. Da schaut man schon kurz, wie sich der Sohn entscheidet. Aber Tiago hat sich davon nicht beeinflussen lassen“, ist Ralf Poller selbst heute noch baff ob der Standhaftigkeit seines Sprösslings. Dieser trifft bereits seit Beginn an die Entscheidungen selbst. „Wir können ihn beraten. Aber letztlich sagt Tiago, was er machen will. Wir reden ihm da nicht rein. Und bislang hat er auch jede seiner Entscheidungen getragen und durchgezogen“, sagt Ralf Poller.

Im Entscheidungen treffen scheint der 12-Jährige eh gut zu sein – vor allem auf dem Platz. Ihm werden ein gutes Spielverständnis und Handlungsschnelligkeit nachgesagt. „Er kann die Bälle gut und schnell verarbeiten und weiterspielen – in die Tiefe, aber oftmals auch ganz überraschend“, sagt der Vater des 12-Jährigen, der seine Mitspieler zudem gut pushen kann. Da verwundert es nicht, dass er zum Kapitän der U13 ernannt worden ist. Weitere Stärken von ihm sind seine Robustheit und seine Beidfüßigkeit. „Rechts ist mein stärkerer Fuß, aber komischerweise treffe ich meistens mit links“, erzählt er schmunzelnd. Arbeiten muss er noch an seiner Emotionalität auf dem Feld, erklärt er selbst. Denn zu Hause am Esstisch wirkt er zwar ganz still und ruhig, auf dem Platz kann er aber auch mal explodieren. Zulegen kann er zudem beim Tempo – „wobei ich mich da im letzten Jahr schon enorm verbessert habe“, sagt er. Das hat man auch in Hoffenheim zur Kenntnis genommen. Vor ein paar Wochen wurde er als U13-Spieler in die U14 hochgezogen, hat dort von acht Spielen sechs durchgespielt und wurde bei den zwei anderen erst kurz vor Ende ausgewechselt. Darauf etwas einbilden tut sich Tiago Poller nicht. „Er ist ein Typ, der völlig bodenständig ist und dem nichts zu Kopf steigt. Er ist keiner, der groß etwas rumerzählt oder ein Ding aus etwas macht. Deshalb mache ich mir auch keine Gedanken darüber, dass er mal abheben könnte“, so Ralf Poller. Sein Sohn nimmt die Aussagen zur Kenntnis, sagt: „Ich bin schon stolz darauf, was ich bislang erreicht habe. Aber ich bin noch lange nicht an meinem Ziel.“ Denn das ist: mit seiner großen Leidenschaft einmal Geld zu verdienen. In der Bundesliga oder aber in der Premier League, von der er ein großer Fan ist. Dass es bis dahin noch ein weiter Weg ist, auf dem auch viel passieren kann, weiß er. Dennoch freut er sich auf jeden einzelnen Schritt – auf jedes Training, jedes Spiel, einfach jeden Moment, in dem er sich ganz dem Ball verschreiben kann. Momente, in denen nur noch der Fußball zählt. Denn diese Augenblicke liebt er.