Mona „schleppt“ die „bewusstlos“ spielende Ina und hält dabei ihren Kopf über Wasser. Foto: Werner Kuhnle

Tag für Tag sorgen viele Menschen im Freibad, am See oder der Küste für unsere Sicherheit. Was motiviert solche Lebensretter und wie schwer ist ihre Ausbildung? Autor Ingo Nicolay will das wissen und lässt sich selbst zum Rettungsschwimmer ausbilden.

Oberstenfeld - Es ist grau, kalt und Regen setzt ein. Und ich bin nicht mehr sicher, ob ich eine gute Entscheidung getroffen habe. Offenbar bin ich nicht der einzige Aspirant zum Rettungsschwimmer, der sich das fragt. Wir treffen uns vor dem Eingang des Mineralfreibads im Bottwartal. Ganz vorne wartet unübersehbar unser Trainer Björn Bender in seinem DLRG-Dress. Er ist stellvertretender Leiter der Technik, Ausbilder und nimmt unser eher trist dreinblickendes Grüppchen in Empfang.

„Fisch schwimmt, Vogel fliegt, Mensch läuft“

Nach dem Umkleiden treffen wir uns wieder vor den Räumen der DLRG im Schwimmbad. Die kalte Dusche holt uns knallhart in die Realität und spült direkt jede Illusion weg, hier würde uns etwas geschenkt. „Zuerst einmal sechs Bahnen zum Einschwimmen“, fordert Björn. Moment mal, sechs Bahnen zum Einschwimmen? Ich fühle mich wie eine Ente mit Blei im Hintern. Der einzige Trost: Selbst für Björn und all die anderen Lebensretter ist dies quasi die Stunde Null nach der Corona-Zwangspause. „Fisch schwimmt, Vogel fliegt, Mensch läuft“, denke ich mir im Wasser nach den ersten Metern und japse nach Luft. Auf was haben wir uns da eingelassen? Mit dabei ist Lea, „schon fast 18 Jahre“, wie sie betont. Offenbar schützt auch nahende Volljährigkeit nicht vor Unterkühlung. Lea hat schon jetzt blaue Lippen.

Ungefähr ein halbes Dutzend Schwimmtrainings später tauchen wir. Wir sollen dabei fünf Kilo schwere Ringe aus drei Metern Tiefe holen. Björn macht das elegant vor. Kann ja nicht so schwer sein, denke ich mir. Der Eindruck hält nur bis zu meinem ersten Versuch – ich kann nicht einmal mit der richtigen Körperspannung bis auf den Grund abtauchen. Wie ein Laie halte ich den Ring in der Hand. Doch wie kann man mit einem so schweren Ding in der Hand auch noch Schwimmbewegungen machen? Japsend und prustend komme ich nach oben.

Ein Ertrinkender kennt kein Fair-Play

Beim nächsten Versuch stürzt sich Björn nach meinem Auftauchen auf mich wie ein Ertrinkender und klammert sich an mich. Mir geht die Luft aus. Ich verschlucke mich und Panik steigt in mir auf. Nicht einmal an die mühsam erlernten Befreiungsgriffe erinnere ich mich. Sie meinen, das hört sich brutal an? Im Rettungseinsatz ist es Alltag. Ein ertrinkender Mensch kennt keine Scham oder Fair-Play-Regeln. Er will einfach überleben und instinktiv über Wasser bleiben. An seinen Retter denkt er nicht. Später erlebe ich dieses Gefühl aufsteigender Panik noch einmal, als ich drei Ringe vom Grund des Beckens nach oben holen soll. Sie sind so schwer, dass ich nur mit viel Mühe und nach Luft ringend, den Beckenrand erreiche. Auf dem Weg nach oben schlucke ich Wasser. Zurück an der Wasseroberfläche pruste ich daraufhin wie ein alter Wal. Doch Trainer Björn kennt das, korrigiert viele unserer Fehler und gibt uns Zuversicht.

In den Trainings dazwischen erlebe ich mein persönliches Waterloo. Wir üben den Kraulbeinschlag. Ein Schaumstoffbrettchen gibt uns, auf dem Bauch liegend, dazu den notwendigen Auftrieb. Lisa und Björn ziehen mir direkt vor meinen Augen davon. Lisa ruft dazu noch: „Jungs, ganz locker aus der Hüfte heraus!“ Ich tröste mich, dass ich es als Mann zum Glück nicht so mit Hüftbewegung habe – und Lisa ist früher ja auch leistungsmäßig geschwommen ist. Doch wenn ich ehrlich bin steckt der Stachel tief in meinem Fleisch.

Die Horror-Disziplin steht bevor

Die Theorieprüfung überstehen wir dann alle nach dem Minimax-Prinzip – mit den minimalsten Mitteln ein vorgegebenes Ziel erreichen. Entscheidend ist aber: Alle haben bestanden! Anschließend geht es zum Streckentauchen, für viele Aspiranten die Horror-Disziplin schlechthin. Zum Glück schaffen wir alle die geforderte 25-Meter-Marke unter Wasser. Unsere Zuversicht wächst. Etwas Kondition, kombiniert mit Routine, macht vieles mit der Zeit leichter. Zwischenzeitlich gewinnen wir auch mehr Vertrauen zum Wasser. Vielleicht überdenke ich den Satz „Mensch läuft, Fisch schwimmt“ doch noch einmal. Dennoch kennen wir unsere Grenzen alle nur zu gut. Björn steht derweil am Beckenrand und macht sich Notizen. In seiner ruhigen und souverän wirkenden Art muntert er uns immer wieder auf. Wir verdanken ihm enorm viel. Er hat unsere früheren Technikfehler Schritt für Schritt ausgemerzt und bringt uns wichtige Techniken bei.

Kloß im Hals und Steine im Bauch

Dann wird es ernst – der Prüfungstag ist gekommen. Vermutlich habe nicht nur ich einen Kloß im Hals und Steine im Bauch. Der Prüfer notiert unsere vielen Fehler. Doch er honoriert auch unsere Anstrengungen. Nach meinem Auftauchen aus drei Metern Tiefe stürzt er sich wieder auf mich. Doch diesmal bin ich nicht mehr so überrascht, technisch zwar nicht brillant, doch psychisch deutlich robuster. Ohne Luft unter Wasser gedrückt zu werden, versetzt uns alle nicht mehr in Panik. Kurze Zeit später blicke ich in lauter strahlende Gesichter. Wir haben alle bestanden – und manche bekommen obendrein sogar das Rettungsschwimmerabzeichen in Silber.

Später nimmt mich Michael Meyer, der Betriebsleiter des Mineralfreibads zur Seite und schlägt vor: „Du kommst ein Wochenende zum Praktikum, sonst ist das alles nur blanke Theorie!“ Prompt verpflichte ich mich. Doch eines steht für mich auch jetzt schon fest: Ich habe enormen Respekt, was diese Lebensretter tagtäglich leisten.

Im nächsten Teil berichtet Ingo Nicolay von seinem Praktikum als Rettungsschwimmer.