Nicht immer ist das Leben eines Schäfers so idyllisch. Das liegt auch an den Mitmenschen, von denen nicht alle Verständnis für diese Arbeit haben. Foto: Werner Kuhnle

Als Schäfer gehört Gerhard Steinle aus Wüstenhausen bei Ilsfeld einer aussterbenden Zunft an. Eine kleine Reise durch das Schäferjahr lässt ahnen, dass es nicht nur Dumpingpreise für Fleisch und Wolle sind, die ihm und seinen Kollegen zu schaffen machen.

Mohr, komm her. Bleiben! Roy, hier!“ Scharf schallt der Schrei des Schäfers über die Wiese bei Hirrweiler in den Löwensteiner Bergen. Die beiden Hütehunde folgen aufs Wort. Gerhard Steinle ist in der Region einer der letzten Vertreter einer aussterbenden Zunft, die eigentlich Zukunft haben müsste: Die Weidewirtschaft sei aktive Landschaftspflege und diene auch dem Klimaschutz, sagt der Schäfer.

Für seine Herde geht es in einem langen Marsch auf die Sommerweide. Früher seien hier in jedem Weiler Kühe gehalten worden, erzählt Steinle. Eigentlich seien Schäfer ja Krisengewinner, führt er weiter aus. Denn mit dem Niedergang der kleinbäuerlichen Milchwirtschaft habe er plötzlich ganz neue, saftige Weideflächen hinzubekommen.

60 bis 80 Stunden Arbeit pro Woche sind normal

Dennoch ist der Schäferberuf ein hartes Brot. 60 bis 80 Stunden Arbeit pro Woche seien normal. „Und dann kommen Menschen aus der Fabrik, die 35 Stunden arbeiten und sich beschweren, dass Lammfleisch so viel kosten würde“, schildert er.

Es seien zunächst die türkischen Mitbürger gewesen, die in gewisser Weise die Schäferzunft gerettet hätten aufgrund ihrer Vorlieben beim Fleischkonsum, dann die afghanischen Flüchtlinge. „Jetzt tragen uns die Syrer“, sagt Steinle zum Umstand, dass nur wenige Deutsche inzwischen überhaupt noch Lammfleisch essen würden.

Und nicht nur die Nachfrage nach Fleisch generell und Lammfleisch im Besonderen habe nachgelassen. Auch die Preise für Schafwolle seien ins Bodenlose gestürzt. Mit Dünger aus Schafmist und Pellets aus Wolle versuche man, in einer Genossenschaft ein Stück Einkommen aufzufangen und so die Existenz der Schäfer und ihrer Schafherden zu sichern.

Schäfer brauchen mitunter ein dickes Fell

Ein paar Monate später, die Nächte hier oben auf der Sommerweide sind jetzt schon empfindlich kalt. „Da hinten ist heute Nacht ein Lamm geboren“, deutet der Schäfer Richtung Waldrand – und schon ist er auf dem Weg zu dem Jungtier und seiner Mutter. Noch ganz staksig versucht das Neugeborene, mit dem Mutterschaf Schritt zu halten.

Ortswechsel. Steinle ist mit seiner Herde am Ortsrand von Gronau. Nachts hat es Frost gegeben. Es ist empfindlich kalt, und die Schafherde sucht einen Kartoffelacker nach den letzten Knollen ab. Was die Menschen liegenlassen, ist für die genügsamen Tiere ein Leckerbissen und eine wichtige Energiequelle. Ein Hundehalter raunzt den Schäfer an, er solle seine Hunde an die Leine nehmen, damit er hier durchspazieren könne. Es kommt zum Wortwechsel. Obwohl Schäfer Steinle am Rande des Bottwartals und in den weniger dicht besiedelten Löwensteiner Bergen hütet, scheint selbst hier kein Plätzlein mehr für ein Stück archaische Weidewirtschaft zu sein. Hundehalter fordern schon mal freien Durchgang – am liebsten mitten durch die Herde. Schäfer brauchen heute ein dickes Fell.

Das zeigt sich an diesem Vormittag auch in dem Oberstenfelder Ortsteil. Die Schafe traben durch die enge Gronauer Ortsstraße, als spürten sie die Nervosität etlicher Autofahrer, die ungeduldig auf ihr Lenkrad trommelnd hinter ihnen auf freie Durchfahrt pochen. Das Bild vom guten Hirten – hat es keinen Platz mehr in unserer rastlosen Welt? „Kooooommmmm“ tönt des Schäfers lang gezogener Ruf wie aus einer anderen Zeit durch die eiskalte Luft. Sofort strömen die Schafe in seine Richtung, die Hunde dicht auf ihren Fersen. Wem so willig gefolgt wird, der muss wohl ein guter Hirte sein.

Ute Steinle kümmert sich um „ihre armen Seelen

Abermals Jahreszeit- und Szenenwechsel: Gegen Ende Februar kommt der lang ersehnte Tag der Schafschur – Ernte und Höhepunkt eines ganzen Schäferjahres. 140 Tiere warten heute im Pferch der Steinles und blöken aufgeregt. Noch ist der professionelle Trupp der Schafscherer nicht da. Hinten füttert Ehefrau Ute die Flaschenlämmer. Sie zieht die Waisen ohne Schafmütter auf. Mit Biestmilch werden sie aus der Flasche hochgepäppelt, fast wie Frühchen bei den Menschen. Die nährstoffreiche Milch, oft auch Kolostrum genannt, sichert den zu früh Geborenen oder Mutterlosen das Überleben. Rührend kümmert sich Ute Steinle um „ihre armen Seelen“, wie sie ihre schutzbedürftigen Zöglinge liebevoll nennt. Meist sind deren Mütter bei der Geburt ums Leben gekommen. Ohne die menschliche Hilfe und in freier Wildbahn wären diese Lämmer längst Beute von Füchsen oder Rabenkrähen geworden.

Jetzt treiben Gerhard Steinle und Schäfergehilfe André die Schafe in langen Gattern auf die Schafscherer zu. Im Minutentakt wird ihnen bei der Schur der dichte Pelz abrasiert. Ohne schützenden Wollpelz springen sie wie befreit zur Herde der bereits Geschorenen. Plötzlich ist ihre Silhouette nur noch halb so groß. Mit ihren dünnen Beinchen sehen sie ein bisschen aus wie mit Zahnstochern gefertigte Kastanientierchen, wie sie Kinder gerne basteln. In der Mitte der Scheune stopfen derweil Gerhard und André Unmengen von geschorener Wolle in Säcke. Mit dem Höhepunkt der Schafschur schließt sich der jährliche Kreislauf des Schäfers.