Wenn ein Mensch an Demenz erkrankt, ist das nicht nur für den Betroffenen sondern auch für die Angehörigen eine Situation, die viel Kraft erfordert. Foto: dpa/Patrick Pleul)

Der Filmemacher Stefan Sick hat für sein Werk „Das innere Leuchten“ mehrere demenzkranke Menschen im Stuttgarter Gradmann-Haus ein Jahr mit der Kamera begleitet.

Marbach - Gut ein Jahrzehnt ist es nun her, seit es ihr besonders aufgefallen ist, dass ihr Mann zunehmend Dinge vergaß oder sich an wichtige Details nicht mehr erinnern konnte. Anfänglich bagatellisiere man das noch, schiebe die bittere Realität vor sich her. Die Ehefrau, die das schildert, ist eine attraktive Dame mit gepflegter Erscheinung, die gerne ihre Anonymität gewahrt wissen möchte. Die Demenz eines Angehörigen sei nach wie vor schwierig vermittelbar – sowohl im entfernteren wie im engeren Umfeld. Die Krankheit raube nicht nur die Erinnerung, sondern oft auch Freunde und Bekannte.

Vier Jahre später wurde dann schließlich aus der ersten Ahnung traurige Gewissheit: Diagnose Demenz. Zwar traf die Nachricht sie nun nicht gänzlich unvorbereitet, doch mit der ganzen Härte des Schicksals. Ihr Partner würde sich Stück für Stück aus ihrem Leben verabschieden, sich an gemeinsame Erlebnisse oder die Namen guter Freunde nicht mehr erinnern. Und mit jeder verloren gegangenen Erinnerung würde auch ihr Ehemann selbst ein Stück weiter aus ihrem Leben herausgerissen. Das fühle sich an, „wie wenn einem Sand unwiederbringlich durch die Hände zurück in einen unendlichen Ozean rieseln würde“ – und für immer verloren ginge. Ein Bild, das viele Angehörige von dementen Menschen so zeichnen. Und die größte Angst: wenn sich der eigene Partner irgendwann einmal nicht mal mehr an die Namen der Kinder erinnern wird oder einen selbst nicht mehr erkennt.

Was, wenn mir das selbst passiert?

Es ist ein stiller, zum Teil bedrückender, an anderen Stellen ungewohnt grotesker oder stellenweise herzerfrischend lustiger Film. Die Rede ist von dem Werk „Das innere Leuchten“ des Filmemachers Stefan Sick aus Schwäbisch Hall, der am Dienstagabend im Katholischen Gemeindehaus in Marbach vorgeführt wurde. Zu dem Filmabend hatte die Projektgruppe „Demenzfreundliche Stadt“ eingeladen.

Für seinen neusten Dokumentarfilm hat Sick demente Menschen im Stuttgarter Gradmann-Haus über ein Jahr lang immer wieder mit der Kamera durch ihren Alltag begleitet. Die Szenen, die er dabei festhielt gehen unter die Haut. Und sie lösen in den Zuschauern Frage aus, auf die niemand eine Antwort geben kann: Was, wenn das mir selbst passiert? Was, wenn alles, was mir lieb und teuer ist, plötzlich anfängt nach und nach zu verschwinden? Wie Sand durch die Finger rinnt und für immer verloren ist? Nach dem Film hatte das Publikum noch die Gelegenheit mit Stefan Sick ins Gespräch zu kommen. Die gestellten Fragen können nur einen Hauch davon vermitteln, was nicht nur die erkrankten Menschen, sondern auch ihre engsten Angehörigen durchleiden.

Gewissensbisse führen oft zu Selbstausbeutung

Besagter Ehemann, von dem zu Beginn erzählt wurde, ist zwischenzeitlich in einem Heim in der Region sehr gut versorgt, schildert die Ehefrau. Aggressionen, wie sie von Angehörigen und Pflegekräften berichtet werden, gäbe es dort praktisch nicht. Und wenn, würden die Pflegekräfte sehr professionell darauf eingehen. Und es gäbe dunkle Momente. So wie bei jedem Abschied. Ihr Mann wirke ganz klar und will mit ihr nach Hause: „Das zerreißt mir jedes Mal erneut das Herz vor Schmerz.“ Tränen füllen ihre Augen, als sie das mit brechender Stimme erzählt. Gewissensbisse führen oft zur Selbstausbeutung. Das ist wohl auch einer der Gründe, warum Angehörige von Menschen mit Demenz ein höheres Risiko frühzeitiger Alterung für sich selbst haben, wie Untersuchungen zeigen.

Doch im Grundsatz unterstützt die Dame die Botschaft von Filmemacher Sick: „Das, was einen Menschen ausmacht, geht nicht verloren, sondern wird oftmals sogar noch verstärkt.“ Es ist eine tröstende Botschaft für alle Menschen, deren Lieben schon Jahre vor deren Tod Stück für Stück aus dem Leben gerissen werden. Was bleibt ist die Frage, ob wir für uns selbst und unseren Alterungsprozess daraus genügend Kraft und Vertrauen für die Zukunft schöpfen können . . .