Jeder Fußball-Fan fiebert auf seine Weise mit. Foto: Archiv (dpa)

König Fußball vereint, aber er kann auch trennen. Das gemeinsame Fernsehen birgt zumindest Konflikte.

Marbach - Die Europameisterschaft bringt Menschen überall auf der Welt zusammen. In den Stadien und an den Bildschirmen wird gemeinsam gebangt, gelacht und geweint. Fußball verbindet. Seit Generationen.

König Fußball trennt aber auch – und das manchmal sogar innerhalb einer Familie. In die, die ihm huldigen, und die, die sehnsüchtig die Tage zählen, bis der ganze EM-Rummel vorbei ist und des Königs Regentschaft wieder verblassen lässt.

Zumindest ist es in meiner Familie so. Um in der Fußballsprache zu bleiben, haben wir uns auf ein Unentschieden eingeschossen. Mein Jüngster und ich verbringen die Abende seit dem Anstoß des Eröffnungsspiels mit Begeisterung vor dem Fernseher – und das nicht nur, wenn das deutsche Team gegen das Leder tritt – und hoffen zudem beide auf den Sieg beim Mama-Sohn-Tippspiel. Der Rest der Familie flüchtet, sobald auch nur ein Fußball auf dem Bildschirm zu sehen und Jubelgesänge von den Stadionrängen zu hören sind.

Kampf ums Regularium

Dennoch: Von trauter Zweisamkeit kann zur Zeit nicht die Rede sein. Allein schon das Festlegen der Regeln fürs Tippspiel gestaltete sich schwieriger als zunächst angenommen. Der Sohn dachte sich das Regularium aus, erkämpfte sich nach den ersten Ergebnissen mit großer Ausdauer und Raffinesse jedoch eine Neuauflage des internen Regelwerks.

Die kritischsten Momente durchleben wir allerdings seit jeher bei den Spielen der deutschen Mannschaft. Und zwar immer dann, wenn es besonders spannend wird. Im Grunde also so gut wie immer. Während der junge Mann mit stoischer Ruhe nahezu unbeweglich die 90 Minuten vom Sofa aus verfolgt, gleiche ich einem Tiger im Käfig. Wenn’s ganz schlimm wird, verschwinde ich sogar für einen Moment in die Küche, um von dort aus nur zu hören, nicht zu sehen. Oder ich tänzel vor dem Bildschirm von einem Bein auf das andere.

Schweigen ist (Schwarz-Rot-)Gold

Zum Ärger meines Nachwuchskickers, der nicht nachvollziehen kann, warum man ein Fußballspiel nicht einfach ruhig im Sitzen anschauen kann. Und zwar wortwörtlich ruhig. Ginge es nach ihm, ist Schweigen das Gebot der Stunde. Keine Kommentare, kein Aufspringen, kein in die Händeklatschen, kein lauter Jubel. Einzig und allein die 89-jährige Oma darf ihrer Leidenschaft Ausdruck verleihen. Eine Großzügigkeit, die vermutlich dem Respekt vor dem Alter geschuldet ist – red ich mir zumindest ein.

Also werde ich mich auch am Dienstag beim Achtelfinal-Spiel der Deutschen – so gut es geht – zusammenreißen, um potenzielle Konflikte schon vor ihrem Entstehen zu entschärfen. Und erfreue mich einfach weiter möglichst still und leise an der gemeinsamen Leidenschaft von Mutter und Sohn, die einfach nur unterschiedlich ausgelebt wird.