Der Grenzübergang Dreilinden – einer der Hauptübergänge an der Berliner Grenze zur damaligen DDR. Foto: akg-images / Mick Leeming

Der Affalterbacher Olaf Heinrich erinnert sich anlässlich des 30. Tags der Deutschen Einheit an eine bewegte Zeit.

Affalterbach - Es war ein sonniger Tag im Juni 1965, als der Zollbeamte Olaf Heinrich bei seiner Streife entlang der Berliner Stadtgrenze eine Zufahrtsstraße am Teltowkanal in Richtung Grenzpunkt Dreilinden entlangging. Heinrich, heute 78 Jahre alt und längst im Ruhestand in seinem Häuschen in Affalterbach, lässt die Erinnerung an das, was dann geschah, immer noch nicht kalt. „Ich sah ein Motorboot mit einem Mann und einer Frau in Richtung Grenze fahren.“ West-Berlin endete etwa zehn Meter später an Stacheldrahtbarrieren, die von der DDR im Flussverlauf errichtet worden waren.

Was Heinrich nicht wusste, aber später erzählt bekam: Angler hatten den Freizeitkapitän vor der Weiterfahrt gewarnt, „aber der zeigte ihnen den Vogel – als vermutlich letzte Handlung in seinem Leben“. Das Boot verfing sich im Stacheldraht und richtete an den Grenzbefestigungen Schaden an. Die Besatzung eines DDR-Wachturms gab, so Heinrich, zunächst Warnschüsse ab, später nahm sie das Boot unter Dauerfeuer. „Der Freizeitkapitän wurde sofort getötet, seine Begleiterin schwerst verletzt.“ Heinrich sah Polizeistreifen, Rettungsdienste und amerikanische Militärfahrzeuge kommen – „ich glaube, die Turmbesatzung wurde vor etwa 15 Jahren zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen fahrlässiger Tötung verurteilt.“

Der Dienst an der Grenze zur DDR war nicht ungefährlich, denkt Olaf Heinrich auch heute noch. Die Berliner Mauer stand erst wenige Jahre, als der gelernte Bankkaufmann im Oktober 1963 seinen Dienst als Zollbeamter an der Grenze antrat und dort bis März 1966 blieb. „Die Kugeln hätten auch mich treffen können“, sagt er zu dem Vorfall. Dass sich an der Mauer manchmal Türen öffneten und Menschen von der Stasi entführt wurde, sei bekannt. Bei den Verhören der Stasi sei es alles andere als human zugegangen. „Ich habe später gehört, dass die Stasi Verdächtige im Bereich Schwerstkriminalität von 8  bis 12.30 Uhr und von 13.30  bis 18.30 Uhr durchgehend vernommen hat – die Stasi-Mitarbeiter wechselten sich nach zwei Stunden ab.“

An der Berliner Stadtgrenze ließen aber nicht nur Flüchtlinge oder leichtsinnige Zivilisten ihr Leben, auch DDR-Soldaten starben. „Im Jahr 1962 gab es die ersten Todesschüsse am Nordhafen“, erinnert sich Olaf Heinrich. Die Westberliner Polizei habe damals auf Grenzsoldaten geschossen, die das Feuer auf Flüchtlinge eröffneten. „Ein Major der DDR-Grenztruppe ist getroffen worden und starb.“

Unter diesen Umständen war es Olaf Heinrich nicht unrecht, dass er später versetzt wurde und letztlich im Ländle eine Heimat fand. Die Zeit in Berlin an der Grenze hatte jedoch auch humorvolle Momente, an die sich der 78-Jährige heute noch gerne erinnert. „In den Streifenpausen las ich öfter im Boulevardblatt BZ.“ In 60 Meter Entfernung lasen offenbar die Kollegen der NVA-Grenztruppen vom Wachturm aus mit ihren Ferngläsern die Schlagzeilen mit. „Nu blätter doch mal um!“, rief einer von ihnen einmal im breitem Sächsisch. Und als im Herbst 1964 die Olympischen Spiele in Tokio stattfanden und er mit seinen Kollegen die Sportsendungen von RIAS Berlin in Transistorradios hörten, die im Uniformkragen angebracht waren, rief jemand von der anderen Seite: „Nu macht doch mal ein bisschen lauter.“

Diese kleinen positiven Begebenheiten täuschten jedoch nicht darüber hinweg, dass die Mauer Familienschicksale auseinanderriss. Sichtbares Zeichen waren für Olaf Heinrich die Aussichtsplattformen auf West-Berliner Gebiet, die für die Bevölkerung installiert und auch zur Kontaktpflege benutzt wurden. „Wie geht es Tante Lisa?“, habe auf einer großen Tafel mit schwarzer Kreide gestanden – und in etwa 80 Meter Entfernung machten Zivilpersonen daraufhin Handzeichen. „Telefonische Verbindungen gab es zwischen den beiden Stadtteilen nicht.“

Auch die Heinrichs mussten die Trennung von Familienmitgliedern durch den Eisernen Vorhang erdulden. Gemeinsam mit seiner Frau und seiner acht Monate alten Tochter reiste er im September 1971 per Flug nach Berlin-Tempelhof und wollte weiter nach Fürstenwalde in die damalige DDR, wo die Familie von Olaf Heinrichs Frau wohnte. Die Einreisepapiere sollten erst am Reisetag um 14 Uhr am Kontrollpunkt Bahnhof Friedrichstraße ausgehändigt werden. „Ich begegnete auf dem Bahnsteig einem DDR-Grenzoffizier, den ich als Oberleutnant erkannte.“ Heinrich erklärte ihm den Sachverhalt und zeigte ihm das Telegramm, auf dem das Vorgehen stand. Letztlich wickelte der Offizier die Weiterbearbeitung ganz schnell und unbürokratisch ab, erzählt der Affalterbacher. Dass sich zwischendurch eine lange Schlange mit Rentnerreisenden aus der DDR gebildet hatte, ignorierte der Grenzer und marschierte mit den Papieren nach vorne: „Machen Sie mal fertig!“ Die Weiterreise ging also glatt und die Zollkontrolle war auch problemlos, obwohl, wie Heinrich später erfuhr, seine Ehefrau einen der ebenso begehrten wie verbotenen „Neckermann-Kataloge“ mit sich führte. Den Katalog hatte sie unter dem Kind versteckt.