Die Faust am Herz – die Mädchen und Jungen werden eingeschworen, um möglicherweise einmal später für ihr Vaterland, die Ukraine, zu kämpfen. Foto: Christoph Bockisch

Der Film „Sommerkrieg“ wird für Festivalpreise nominiert. Louis Wick aus Erdmannhausen hat mitgearbeitet.

Erdmannhausen - Dokumentarfilmer gehen dorthin, wo das Leben spielt. Der Erdmannhäuser Filmstudent Louis Wick reiste im August 2018 mit einem kleinen Team in die Ukraine. Entstanden ist der 78-minütige Dokufilm „Sommerkrieg“. Er zeigt, wie Kinder im Ferienlager zwei Wochen lang Militärdrill erleben – wie sie zum Appell antreten, durch Sand robben und mit Holzgewehren ans Schießen herangeführt werden. Es ist ein Film, der bewegt – und inzwischen bei mehreren nationalen und internationalen Festivals für die Preisvergabe nominiert worden ist.

Eigentlich rechnete Louis Wick nicht damit, in das Lager der ukrainischen Organisation Asow kommen zu dürfen. Ein Studienkollege an der Ludwigsburger Filmakademie, Moritz Schulz, hatte das Thema entdeckt. „Es gab noch kaum Berichte über diese Camps, so nahmen wir über soziale Medien Kontakt auf“, erinnert sich der 24-jährige Wick, der seit einigen Jahren im Wohnort Edmannhausen die Grünen im Gemeinderat vertritt und überrascht war, dass man sich schon sechs Wochen später zum ersten Kennenlernen gegenübersaß. „Wir haben gleich deutlich gemacht, dass wir politisch nicht auf Linie sind und vor allem das Lager aus Sicht der Kinder filmen wollen“, erklärt Louis Wick, der einräumt, dass es ein Bonus gewesen sei, aus dem befreundeten Deutschland zu kommen.

Der Film erzählt die Geschichte der beiden Zwölfjährigen Jasmin und Jastrip. Beide stammen aus der Millionenmetropole Kiew – ihre Eltern sind froh, dass die Kinder zwei Wochen lang rauskommen. Jasmin besucht das Sommerlager Azovez seit 2016. In der Schule gilt sie als Streberin und findet kaum Freunde – im Camp blüht sie auf. Ihr Wille, besser zu sein als die anderen, wird gefördert, sie erlebt Kameradschaft und Zusammenhalt. Im Film ist zu sehen, wie sie stolz die ukrainische Fahne vor den rund 100 Lagerteilnehmern hissen darf und zur Zugführerin ernannt wird.

Auch Jastrip findet eine Art Heimat. Der Junge musste erleben, wie er nach dem Tod seiner Mutter nicht mehr wirklich zur Familie seines Vaters gehörte, der mit einer neuen Frau drei Kinder hatte. Jastrip steckt voller innerer Einsamkeit, Unsicherheit und Wut. Auch er erlebt in Azovez das Gefühl von Zusammenhalt. Dass dies letztlich alles dazu dient, die Kinder eines Tages in den Krieg zu schicken, hinterlässt einen schalen Beigeschmack, der den Betrachter mit Fortlaufen des Films immer stärker beschleicht. Sätze wie „den Tod der Helden rächen wir mit unserem eigenen Blut“ beim Gebet der Asows aus dem Mund von Sieben- bis 17-Jährigen zu hören, wirken verstörend. „Wir wollen die gefährliche Veränderung der Gesellschaft sichtbar machen“, sagt der Regisseur Moritz Schulz. „Wir können daraus lernen, welch zerstörerische Wirkung Angst und Wut schon unter Kindern haben kann.“ Inzwischen zeichneten sich selbst in der EU ähnliche Radikalisierungsprozesse ab und auch Deutschland sei davor keineswegs gefeit.

Bei den Dreharbeiten gelingt es dem Team, den Kindern nahe zu kommen, ohne dass sie die Kamera in ihrem Handeln stört. „Vielleicht lag es daran, dass unser Kameramann kein Russisch verstand“, vermutet Louis Wick, der mit Kollege Nils Gustenhofen selbst in Ludwigsburg bleiben musste, weil nur drei Personen ins Lager fahren durften. Vor Ort unbedingt gebraucht wurde die Autorin Tetiana Trofuscha, die an der Filmakademie Drehbuch studiert und dank ihrer ukrainischen Wurzeln als Dolmetscherin vermitteln konnte. Wick fungierte als Produzent, das heißt, er kümmerte sich um alles rund um den Dreh: Kontakte, Finanzierungen, Drehplan, Logistik, er überwachte die Postproduktion mit dem Filmschnitt, und er entwickelte eine Festivalstrategie.

Über den Erfolg bei den Filmfestivals freut sich Louis Wick sehr. Immerhin sei man mit „Sommerkrieg“ beim renommierten Max-Ophüls-Festival in Saarbrücken im Januar unter den besten Dokumentarfilmen gewesen. Auch die Nominierung zum Deutschen Dokumentarfilmpreis des SWR in Stuttgart und bei Festivals in München, Amsterdam und Toronto sei selbst für Produktionen der Filmakademie Ludwigsburg etwas Ungewöhnliches.

Erfreulich sei zudem, dass Doku-Fernsehsender und Streaming-Dienste Interesse am Film bekundet haben. „Wir haben ihn erst kürzlich einem Sender in Norwegen verkauft.“

Info: Der Dokumentarfilm „Sommerkrieg“ wird vom 1. bis 3. Juli  über die Mediathek des SWR frei zu sehen sein. Wer sich also das Werk, an dem der Erdmannhäuser Louis Wick mitgewirkt hat, anschauen möchte, sollte sich diese Tage im Kalender ankreuzen.