Die Pflege ist eine verantwortungsvolle Arbeit – doch oftmals fehlen die Wertschätzung und attraktive Bedingungen. Foto: /)

Die Diakoniestation Marbach ist am Limit. Es fehlt Personal, weshalb seit zwei Wochen alle Patienten abgewiesen werden müssen. Die Enttäuschung bei den Leidtragenden ist riesig. Pflegedienstleiterin Martina Herbrich schlägt Alarm.

Marbach - Die Lage ist dramatisch und wird von Tag zu Tag schlimmer, sagt Martina Herbrich, die Pflegedienstleiterin der Diakoniestation Marbach. Denn: Für sie und ihr Team geht es aktuell nur noch darum, zu schauen, wie man den nächsten Tag gestemmt bekommt. Ab Juli droht die Lage sogar noch einmal ernster zu werden, wie sie im Interview erzählt.

Frau Herbrich, was treibt Sie aktuell um? Wie ist die Situation?

Mich treibt ganz arg um, dass wir zur Zeit keine Patienten mehr aufnehmen können, da wir kein Personal mehr dafür haben. Da blutet mir das Herz. Unser Problem ist, dass es auf dem gesamten Arbeitsmarkt kein Personal gibt. Wir können uns also auch nicht mit Zeitarbeitsfirmen aushelfen. Und wir sind ja nicht der einzige ambulante Dienst, der kaum mehr Personal hat. Anderen Pflegediensten geht es genauso. Das Allerschlimmste ist aktuell, dass wir im Mitarbeiterteam Langzeitkranke haben.

Seit wann ist die Lage so ernst?

Im Grunde seit Anfang Mai etwa, aber seit 14 Tagen nehmen wir nun keine Patienten mehr auf.

Was hat sich im Mai verändert?

Es kamen leider Krankheitsfälle hinzu und ab 1. Juli wird es noch schlimmer, weil zwei Mitarbeiter ihren Dienst bei uns beenden.

Wie wird sich das auswirken?

Wir haben normalerweise morgens elf Touren und abends vier. Das heißt: Ich brauche täglich 15 Mitarbeiter in der Pflege. Ich bin gezwungen, morgens von elf auf neun Touren zu reduzieren, damit der Sommerplan klappt. Das bedeutet aber auch, dass die Touren für die Mitarbeiter länger werden, doch mehr als 25 Patienten am Tag gehen einfach nicht pro Mitarbeiter. Das ist Schwerstarbeit. Sonst kommen sie am Ende total erschöpft hier wieder an. Der Dienst der Mitarbeiter beginnt täglich 6 Uhr. Wir haben zwar auch Teildienst, aber das kann ich den 100-Prozent-Kräften nicht ständig zumuten. Da geht es von 6 bis 12 Uhr und von 16 Uhr bis 20 Uhr. Das können die 100-Prozent-Kräfte höchstens sechs bis achtmal im Monat leisten, sonst laufe ich Gefahr, dass die Gesunden, die jetzt noch arbeiten, auch noch ausfallen. Das kann ich nicht verantworten.

Was haben Sie für Patienten?

Unsere Patienten kommen auch teilweise aus dem Krankenhaus, sie werden dort nach ambulanten OPs wieder schnell entlassen. Dann rufen sie an, weil sie zum Beispiel Thrombose-Spritzen oder Verbandswechsel benötigen und ich muss sagen: Nein, es geht nicht. Ich merke richtig, wie ich inzwischen unruhig bin. Ich arbeite jetzt hier schon 28 Jahre, aber so einen Zustand hatten wir noch nie. Es gab immer mal eine Zeit, in der wir personell unterbesetzt waren, aber das haben wir immer irgendwie hinbekommen. Wenn sie aktuell den Wochenenddienst planen und es fehlen ihnen drei Leute und sie müssen drei Touren noch auf andere verteilen – das ist sehr schwierig. Jeden Tag überlegen wir, wie können wir den nächsten Tag überstehen. Ich habe einfach nicht so viele Pflegefachkräfte, die für die Touren erforderlich wären.

Und Sie finden einfach keinen Weg, um die Situation zu verbessern?

Wir haben alles getan, verschiedene Zeitfirmen angerufen – aber nichts. Es gibt niemand auf dem Markt. Das wird im Sommer jetzt sicher nicht besser, wenn die Urlaubszeit beginnt. Denn jedem Mitarbeiter stehen eine gewisse Anzahl an Urlaubstagen zu. Damit sich ein Mitarbeiter richtig erholt, müsste er mindestens drei Wochen in den Urlaub gehen. Wir sind immer auf der Suche nach neuen Mitarbeitern. Es gab eigentlich noch nie eine Zeit, in der wir nicht jemanden genommen hätten. Aber über die Stellenausschreibungen kommt keinerlei Rücklauf.

Was glauben Sie, woran das liegt?

Der Beruf muss deutlich attraktiver gemacht werden.

Wie könnte man?

Die Arbeitszeiten sind nicht attraktiv – gerade was den Teildienst angeht. Dazu kommen die Feiertage und Wochenenden. Außerdem kann man als Alleinverdiener in diesem Beruf nur schlecht eine Familie ernähren. Aber das ist ja in allen sozialen Berufen so. Ich habe Mitarbeiter, die nebenher einen Zweitjob haben. Auch gibt es Mitarbeiter, die im Krankenhaus arbeiten und bei uns noch auf geringfügiger Basis angestellt sind. Es fehlt aber auch die Anerkennung. Es ist gerade wieder wie vor Corona: Es interessiert sich keiner für die Pflege. Viele Mitarbeiter haben glaube ich das Gefühl: Der Job, der zum Wohle aller ist, ist nicht anerkannt.

Da kann wohl nur die Politik helfen.

Ja, aber die Politiker scheinen gar nicht zu wissen, wie die Lage ist. Die Gemeindeverantwortlichen sollten einen Brief nach Berlin schreiben und aufzeigen, wie die Situation hier in Marbach ist. Es wird ja auch immer mehr ältere Menschen geben, dadurch wird der pflegerische Notstand immer dramatischer. Die Patienten werden früher aus dem Krankenhaus entlassen, der Aufenthalt verkürzt sich und sie sind auf unserer Hilfe angewiesen. Wenn wir dann auch noch absagen müssen, ist die Enttäuschung riesig .

Wie oft müssen Sie Leuten momentan absagen?

Drei, vier Anrufe kommen am Tag. Das tut jedes Mal richtig weh. Aber eines möchte ich ganz deutlich sagen: Sobald wir wieder genügend Personal haben, nehmen wir sofort wieder Patienten auf. Und wichtig ist auch zu wissen, dass wir Patienten weiter versorgen, die ins Krankenhaus müssen. Dazu kommen immer wieder Fragen. Nur neue Patienten können wir zur Zeit nicht aufnehmen. Bislang haben wir zum Glück auch noch keinen Palliativfall absagen müssen, aber das wird kommen. Patienten, die im Sterben liegen, brauchen einfach etwas mehr Zeit. Denn gerade die letzten Tage sind aufwendig – aber was soll ich tun, wenn ich niemanden zur Versorgung habe. Ich kann nur sagen: Wir würden uns freuen, wenn sich examiniertes Pflegepersonal bei uns bewirbt.

Martina Herbrich ist gelernte Krankenschwester und hat früher unter anderem im Krankenhaus gearbeitet. Seit 1994 ist sie bei der Diakoniestation Marbach angestellt. Im Jahr 2000 absolvierte sie ihre Ausbildung zur Pflegedienstleiterin, seit 2003 hat sie diese Stelle inne.

Die Diakoniestation Marbach wurde 1974 gegründet. Das Team besteht aus 62 Mitarbeitern, dies entspricht rund 30 Vollzeitkräften. Die Diakoniestation ist für Marbach mit den Stadtteilen Hörnle, Rielingshausen und Siegelhausen sowie Affalterbach mit den Ortsteilen Birkhau, Steinächle und Wolfsölden und Benningen zuständig. Die Mitarbeiter helfen bei der Pflege kranker und alter Menschen. Außerdem bietet die Diakoniestation hauswirtschaftliche Versorgung, Betreuung für demenzerkrankter Patienten sowie Essen auf Rädern an. „Darunter verstehen wir die ganzheitliche Pflege, die wir individuell nach den Bedürfnissen und Problemen jedes einzelnen ausrichten“, heißt es auf der Homepage.