Mit ausgeprägtem Schmollmund – und doch irgendwie grimmig dreinschauend: Foto: Horst Rudel

Der Dettinger Künstler Jürgen Roesner hat sich in das Laugengebäck verguckt und verhilft ihm zu frappierenden Verwandlungen. Die Kreationen können menschliche Züge annehmen, in Fellmuster schlüpfen oder sich höchst geschickt tarnen.

Dettingen - Der thematische Einstieg liegt auf der Hand: Seine Brötchen verdient Jürgen Roesner bei der Post, doch seine Brezeln finden sich in allen Farben und Drapierungen, Verfremdungen und Verformungen im Rudel hinter Glas oder gut getarnt im Herbstlaub und in fossiler Steinhaufengesellschaft, oder aber als Unikat an der Wand. Und sollen die realen Wecken möglichst frisch aus der Backstube kommen, so ist das Laugengebäck für den Brezelkünstler erst so richtig interessant, wenn es das gehobene Stadium der Altbackenheit erreicht hat.

Eine vergessene verkohlte Brezel wird zum Schlüsselerlebnis

Mehr als altbacken war indes Roesners Ur-Brezel, die er nach wie vor in Ehren hält. Sie war vor 20 Jahren im Holzbackofen übersehen und vergessen worden – um dann geschrumpft und total verkohlt ans Licht zu kommen. Die Verwandlung des Banalen ins Besondere war für den Kunstfreund wie ein Schlüsselerlebnis und der Beginn eines Selbstläufers im Zeichen des „Brezelblicks“.

Der Boden für diese neue Spielart einer eh schon ausgeprägten Sammlerpassion war damals freilich längst bereitet: Der gebürtige Cannstatter und gelernte Landschaftsgärtner und Baubiologe, für den Kunst „stets was Durchgängiges war“ (und ist), hatte nämlich seinen Zeichnungen und Wachsmalereien collagenartige Arrangements zur Seite gestellt, die er „Wurzelgeschichten“ nennt – und die Rispen und Rinde, Federn und Tannenzapfen, Lauchwurzeln vom Garten und sogenannte Lösskindln vom Feld vereinen.

In einer früheren Tuchmanufaktur entstehen Fantasiewelten

Vom sprichwörtlichen Jäger und Sammler in einem Zug zu sprechen, verbietet sich indes im Fall Roesner. Denn nur einmal, so der Sechzigjährige, habe er sich zu einem Halali mit künstlerischen Mitteln herbeigelassen: Auf der Strecke blieb seinerzeit die „Gamsbretzn“, deren Ärmchen von Krucken genanntem Gamsgehörn gekrönt werden.

Im Wohnatelier und in der Werkstatt des Dettingers durchkreuzen sich denn auch vielerlei Wege und Spuren kreativen Tuns. Mal wähnt sich der Besucher in einem veritablen Naturalienkabinett mit gehäuften Sammeltrophäen, dann wieder fällt der Blick auf Materialcollagen, die menschliche Charaktertypen vom Melancholiker bis zum Choleriker zur Zielscheibe haben. Und auch das Domizil Roesners auf dem Bergerschen Areal (Stelle 21) kommt den Fantasiewelten des Künstlers entgegen. Hier meint man den Atem der einstigen Tuchmachermanufaktur zu verspüren, auch fehlt es nicht an künstlerischen Chiffren – vom Firmenlogo über dem Hauseingang bis zum diskreten Jugendstil-Dekor im Innern.

Die Kreationen haben Eingang ins Brezelmuseum gefunden

In einer Broschüre zu seinem kleinteiligen Brezelimperium schwärmt Jürgen Roesner von einer „wunderbaren Sinnhaftigkeit“, die durch die Veredelung des Gewohnten entstehen kann. Und so spannt sich der sinnhafte Bogen von der rustikalen Brezel im Tannenzapfenschuppenkleid bis zur schrundigen Vollmondversion im All. Kein Wunder also, dass sich Roesners Schöpfungen auch im frisch eröffneten Brezelmuseum von Karl Huober in Erdmannhausen finden lassen.