Julia Spors ist oft dabei gewesen beim Theo-Lorch-Werkstättenlauf und hat darüber berichtet. Alleine die Bilder im Archiv zeigen die Freude der Teilnehmer.Lydia Schittek und Stefan Alscher sind seit Auflage eins dabei. Foto: Julia Amrhein

Der Theo-Lorch-Werkstättenlauf findet seit 2012 im Rahmen des Run & Fun Days beim Bottwartal-Marathon statt – und fördert seitdem die Integration und das Miteinander von Menschen mit und ohne Handicap auf eine ganz spezielle Art.

Steinheim - Es gibt einige Begegnungen und Momente, die mich in meiner Redakteurs-Laufbahn bewegt haben und die mir in Erinnerung geblieben sind. Doch es gibt nur ein Event, das es Jahr für Jahr immer wieder aufs Neue geschafft hat, mich zu berühren. Und zwar so sehr, dass mir regelmäßig die Tränen in die Augen geschossen sind. Und das, obwohl ich mich bereits mehrfach im Vorfeld auf die Emotionen, die diese Veranstaltung in mir auslöst, eingestellt habe. Ich muss aber einfach sagen: Der Theo-Lorch-Werkstättenlauf im Rahmen des Bottwartal-Marathons packt mich einfach – und wird es wahrscheinlich immer tun. Aus vielerlei Gründen. Einer davon passt wunderbar zu unserem „Wert der Woche“ im Rahmen unseres 175-Jahr-Jubiläums: der Wert lautet Verantwortung.

Mit dem Theo-Lorch-Werkstättenlauf haben die Veranstalter des Bottwartal-Marathons in meinen Augen nämlich genau die Verantwortung übernommen, die wir in meinen Augen alle haben. Wir alle sollten Menschen, die aus eigener Sicht „irgendwie anders sind“ als „ganz normale Menschen“ behandeln und sie in unsere Mitte aufnehmen. Ob es daran liegt, dass sie einer anderen Religion angehören, eine andere Sexualität oder ein körperliches oder geistiges Handicap haben, spielt dabei keine Rolle. „Jeder ist ein Mensch wie du und ich“, sagt Gerhard Petermann, der scheidende Organisationschef des Bottwartal-Marathons, unter dessen Regie im Jahr 2012 der erste Theo-Lorch-Werkstättenlauf über die Bühne ging. Und das kann ich nur unterschreiben.

„Dass die Menschen ein Handicap mit sich herumtragen, ist für sie schon ein Problem, dann müssen wir nicht auch noch eines daraus machen“, erklärt er mir weiter. Petermann selbst hat seit einem Arbeitsunfall ein Handicap, ihm fehlt der linke Daumen. In seinem Bekanntenkreis ist zudem jemand, der blind ist. „Das ganze Thema war für mich also nichts Neues, sondern es ist einfach ein Teil unserer Gesellschaft. Jedem von uns kann auch von heute auf morgen etwas passieren und man hat ein Handicap“, sagt er. Kein Wunder also, dass er Feuer und Flamme war, als die Theo-Lorch-Werkstätten 2011 mit der Idee des Laufes auf ihn und seinen Vorgänger Werner Neumann zukamen.

Die Theo-Lorch-Werkstätten hatten 2010 mit ihren Planungen zu ihrem neuen Standort in Großbottwar begonnen. „Ziel war, von Beginn an, in die Gemeinde reinzugehen und uns in der Region einzubringen. Wir wollten die Region mitnehmen und ganz offen auf die Leute zugehen“, berichtet Isabell Brando, die den Bereich Kommunikation bei den Theo-Lorch-Werkstätten leitet und damals ebenfalls der Projektsteuerungsgruppe angehörte. An die erste Auflage des Laufes erinnert sie sich noch genauso gut wie Gerhard Petermann und ich. Aufgrund der Emotionen, die bis heute die Besonderheit dieses Laufes für mich ausmachen. Nirgendwo sonst habe ich je diese pure Freude auf einer Ziellinie ausmachen können wie hier. Diese Ehrlichkeit. Diesen Spaß. Und diese Dankbarkeit. Ein Blick in die Gesichter der Sportler genügt jedes Mal und um mich ist es erneut geschehen. Erst recht, wenn man dann noch sieht, wie die Zuschauer reagieren, wie sie die Teilnehmer anfeuern, ihnen zujubeln und mit ihnen abklatschen. Sie dabei unterstützen, etwas Großartiges zu leisten. Denn genau das tun sie. Jeder geht über seine Grenzen und versucht das Beste aus sich herauszuholen. Die Genugtuung, die den Teilnehmern dann nach dem Erreichten ins Gesicht geschrieben steht, ist überwältigend und wundervoll anzusehen. Gerhard Petermann fasst die Einzigartigkeit dieses Wettbewerbs in meinem Augen ganz gut zusammen, indem er sagt: „Die Teilnehmer drücken so viel über ihre Gestik und Mimik aus. Sie haben mir während meiner Zeit beim Bottwartal-Marathon die meiste Wahrheit gegeben. Ich wusste stets: Wenn sie glücklich im Ziel sind, dann haben wir einen guten Job gemacht. Diesen Lauf einzuführen war eine der besten Entscheidungen der letzten zehn Jahre.“

Ich muss dazu sagen, dass mich Geschichten von Sportlern, die etwas entbehren mussten oder lange für etwas gekämpft haben und es dann schließlich erreichten, schon immer gepackt haben. Ich vergieße da gerne mal eine Träne. Sei es als Kind schon bei Filmen der „Mighty Ducks“ oder heute bei rührseligen Dokumentationen von Sportlern. Doch dieser Lauf setzt noch einmal einen obendrauf. Denn: Die Besonderheit beim Theo-Lorch-Werkstättenlauf ist ja gerade, dass hier keine Leistungssportler am Start stehen, sondern Menschen, die sonst wohl gar nicht bei einer Laufveranstaltung teilnehmen würden, eben weil sie eine Beeinträchtigung haben. Erst Recht nicht bei einer Laufveranstaltung, die nicht extra für sie auf die Beine gestellt wurde. Denn hier haben sie normalerweise keinen Platz. In Steinheim aber sind sie Teil des Ganzen – und das ist so enorm wichtig.

„Jeder Mensch muss gleich wertgeschätzt werden. Und jedes Mal, wenn ich sehe, wie die Zuschauer und die anderen Kinder reagieren, wie sie in der Spielstraße aufeinander zugehen, dann bekomme ich Gänsehaut. Das ist gelebte Integration“, sagt Gerhard Petermann, der aber findet: „Wir können noch viel tun beim Thema Inklusion und Integration.“ Der Lauf sei jedoch ein guter Anfang gewesen. Anfangs startete man den Run & Fun Day mit diesem Wettbewerb, später verlegte man ihn in die Mitte des Tages, um ihn noch zentraler einzubinden. Mit Erfolg. Er fand seinen festen Platz und ist heute nicht mehr wegzudenken. Nicht nur für die Teilnehmer, die hauptsächlich von den Theo-Lorch-Werkstätten sowie von der Kleinbottwarer Paul-Aldinger-Schule und der Diakonie Stetten kommen, sondern auch für die Mitarbeiter des Hauses. „Für uns ist das eines unserer Highlights im Jahr. Die Atmosphäre und die Energie, die da frei wird, ist Wahnsinn“, schwärmt Isabell Brando und fügt an: „Mit diesem Handicap-Lauf bewegen wir uns in einem Rahmen, der sonst eher unüblich ist und zwischen Leuten, mit denen man sonst keine Berührungspunkte hat. Das ist schön. Und für die Teilnehmer bedeutet die Veranstaltung sehr viel.“

Das zeigt sich auch im Lauf des Jahres. „Es gab zwar auch davor bereits Laufangebote innerhalb der Theo-Lorch-Werkstätten, aber durch den Bottwartal-Marathon ist noch einmal eine andere Qualität hineingekommen, da sich mehr Beschäftigte dafür interessieren und es oft Monate vorher schon Gesprächsthema ist“, erzählt Isabell Brando. Lydia Schittek ist eine von denen, die es Jahr für Jahr kaum erwarten kann, zu starten. „Ich finde die Veranstaltung sehr gut, da wir die Werkstätten so vorstellen können. Damit werden Vorurteile gegen Menschen mit Behinderung abgebaut“, sagt sie. Stefan Alscher vom Sozialdienst, der oftmals mit Lydia Schittek auf die Strecke geht, sagt: „Das Tolle ist die Begeisterung der Teilnehmer, die steckt an.“ Und genau dies kann ich nur bestätigen beziehungsweise wird wohl jeder bestätigen können, der schon einmal mit dabei war. Dieser Lauf ist etwas Besonderes, denn er bewegt Herzen und fördert Integration. Und das ist wichtiger denn je.

Zur Person
Julia Spors arbeitet seit September 2008 bei der Marbacher Zeitung. Angefangen hat die 37-Jährige als Sportredakteurin, ehe sie 2012 die Leitung der Sportredaktion übernahm. Seit 2016 ist sie nun stellvertretende Redaktionsleiterin und hauptsächlich im Lokalen zu Hause, wobei der Sport sie nie ganz losgelassen hat. Julia Spors lebt in Ilsfeld, ist bekennende Nicht-Läuferin, aber als Zuschauerin immer wieder gerne bei Laufveranstaltungen mit dabei. In den vergangenen zwölf Jahren hat sie zudem bis auf wenige Ausnahmen vom Bottwartal-Marathon berichtet.