Mit einem Druckmessgerät prüft Oliver Haiber jedes Jahr die jeden einzelnen der rund 1000 Grabsteine auf dem Großbottwarer Friedhof auf ihre Standfestigkeit. Foto: KS-Images.de

Oliver Haiber prüft jedes Jahr im April die Grabsteine auf den Friedhöfen in Großbottwar auf ihre Standfestigkeit. Das sieht spielend leicht aus, erfordert aber gewaltige Kraftanstrengungen.

Großbottwar - Es passiert nicht oft, aber wenn es passiert, trifft es in der Regel die Schwächsten – Kleinkinder und Senioren. Wenn der Nachwuchs auf dem Friedhof unkontrolliert umherspringt oder betagte Menschen sich kurz an einem Grabstein abstützen wollen und dieser umkippt, kann das verheerende Folgen haben. „Ich lese ab und zu in der Zeitung davon, dass Menschen deswegen auf einem Friedhof zu Tode gekommen sind“, erzählt Oliver Haiber. Damit das in Großbottwar nicht passiert, prüft der ganz in braun gekleidete Mann, dessen Berufsbezeichnung „Fachkraft für Arbeitssicherheit“ lautet, regelmäßig einmal im Jahr die rund 1000 Grabsteine in der Storchenstadt auf ihre Standfestigkeit.

In der Regel passiert das im April: Da über den Herbst Regenwasser in die Erde sickert, kann sich im Winter schließlich Eis zwischen dem Grabstein und dem Mörtel des Fundaments bilden, wodurch der Grabstein mit den Jahren nach und nach seine Standfestigkeit einbüßen kann. Vorgeschrieben werden die Prüfungen von der „berufsgenossenschaftlichen Unfallverhütungsvorschrift“, genauer ausgeführt in der „Technischen Anleitung zur Standsicherheit von Grabmalanlagen“.

Die Prüfung ist waschechte Akkordarbeit

Es ist ein kühler und wolkiger Morgen, als Oliver Haiber auf dem Friedhof in Großbottwar also seine Arbeit aufnimmt. In der Hand hält er ein so genanntes Kraftmessgerät. Dieses legt er von hinten an der Oberkante jedes Grabsteins an und lehnt sich danach mit seinem gesamten Körpergewicht dagegen, bis die Skala des Geräts 300 Newtonmeter anzeigt. Wenn der Grabstein dies zwei Sekunden lang aushält, gilt er offiziell als standsicher. „Rüttelprobe“ nennt sich diese Standfestigkeitskontrolle in Fachkreisen auch – obwohl an dem Grabstein überhaupt nicht gerüttelt wird. Ausnahmen gibt es aber bei Grabsteinen, die kleiner als 50 Zentimeter und größer als 1,20 Meter sind sowie losen Grabaufbauten wie Kreuzen, Rosen oder Engeln. „Hier wird nur von Hand überprüft, dass nichts wackelt“, erklärt Haiber.

Im Zwei-Sekunden-Takt geht der 54-Jährige mit den angegrauten Haaren durch die Reihen, die Prüfung ist nämlich waschechte Akkordarbeit. Ein grauer Granit-Grabstein bewegt sich ein wenig, als Haiber dagegen drückt. Doch auch hier kann er Entwarnung geben: „So ein bisschen Spiel ist völlig in Ordnung, die Dübel im Fundament halten aber bombenfest“, erklärt er fachkundig. Insgesamt ist seine Beanstandungsquote doch erfreulich gering: „Im Schnitt ist etwa einer von 700  Grabsteinen nicht mehr standfest“, schätzt er. Einen solchen Fall hat er drei Tage zuvor auf dem Friedhof in Hessigheim gehabt, wo er ebenfalls prüft, weil dort der Sitz seiner Firma für Arbeitssicherheit ist.

Einfühlungsvermögen ist Pflicht

Wenn Haiber einen Grabstein als nicht standsicher einschätzt, muss er einen Prüfbericht anfertigen. „Darin wird der Grabstein genau bezeichnet, der Bericht geht dann an die Stadt Großbottwar“, erklärt der Fachmann, der außerdem auch Elektrogeräte, Gabelstapler, Leitern oder Rolltore prüft. Die Stadt informiere dann den jeweiligen Grabnutzungsberechtigten, der auf eigene Kosten einen Steinmetz beauftragen muss, um das Grab wieder standsicher zu machen.

Wenn Friedhofsbesucher Haiber bei seiner Arbeit entdecken, muss er diese oft erklären. „Viele denken, dass ich die Grabsteine beschädige. Aber wenn ich erläutere, dass ich eine vorgeschriebene Prüfung durchführe, treffe ich in der Regel auf Verständnis“, berichtet Haiber. Überhaupt gehören Einfühlungsvermögen und ein gewisses Maß an Pietät mit zu seinen Grundtugenden als Prüfer. „Ich würde nie mit einer Zigarette im Mund von Grabstein zu Grabstein gehen oder ein Lied dabei trällern“, erklärt er. Darüber hinaus ist es für ihn ein Tabu, Prüfungen während einer Beisetzung zu erledigen.

Und natürlich tritt er bei den Druckprüfungen auch niemals auf die Erde des Grabs. Für ihn sind Gräber und Grabsteine ohnehin viel mehr als nur Arbeitsmaterie: „Es trifft mich doch immer wieder, wenn ich Gräber von Kindern sehe, die so jung gestorben sind. Ich habe selber auch Kinder, das hätte mir auch passieren können“, gibt der 54-Jährige einen kleinen Einblick in seine Gefühls- und Gedankenwelt.

Es kommt auf die Technik an

Nach gut einer Stunde möchte ich selbst einmal einen Grabstein prüfen. Oliver Haiber drückt mir sein Prüfgerät in die Hand. Ich presse es mit beiden Händen gegen den Grabstein und komme ins Pusten, der Zeiger steht gerade einmal bei 20 Newtonmeter. Erst als ich meinen ganzen Körper mit dagegen lehne, steigt er auf 30. Was bei Oliver Haiber selbst im Akkordtempo leicht aussieht, ist in Wirklichkeit eine gewaltige Kraftanstrengung. „Mit der Zeit gewöhnt man sich eine gewisse Technik an“, verrät er und ergänzt schmunzelnd: „Aber ins Fitnessstudio muss ich nach der Arbeit hier nicht mehr.“