Pflanzenschutzmittel werden im Ackerbau versprüht – oder gebeizt als Hülle eines Samenkorns eingesetzt. Foto: imago images/Jochen Tack

Der Erdmannhäuser Wolfgang Schiele kritisiert die Notfallzulassung des Nervengiftes Thiamethoxam beim Zuckerrübenanbau.

Erdmannhausen - Um Wolfgang Schiele ist es zuletzt etwas ruhig geworden. Doch der Tierschützer und Hobby-Imker aus Erdmannhausen setzt seinen Kampf für die Wildbienen fort. Vor zwei Jahren hatte er mehr als 560  Unterschriften gegen den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auf den 20  Hektar gesammelt, die von der Gemeinde an Landwirte verpachtetet werden. Jetzt prangert er die Verwendung des Pestizids Thiamethoxam in gebeizter Form als Samenhülle im Zuckerrübenanbau an.

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Eigentlich könnte Schiele zufrieden sein. Der Europäische Gerichtshof bestätigte im Mai 2021 in letzter Instanz das Verbot von 2018. Das Gericht wies die Einwände der Chemiekonzerne Bayer und Syngenta zurück. „Es ist durch Studien erwiesen, dass die Bienen durch die Nervengifte geschädigt werden – das haben auch die Richter erkannt“, sagt Schiele. Nur noch per Notzulassung dürften die Bayer-Insektizide Clothianidin und Imidacloprid sowie Thiamethoxam von Syngenta verwendet werden. Ein solcher Notfall liege vor, wenn gravierende Ernteausfälle drohten. Tatsächlich gab das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit dem Drängen von Landwirtschaft und Zuckerindustrie nach. Schiele spricht von einem „Einknicken gegenüber der agrochemischen Lobby“.

Landwirte wollen das Heft selbst in der Hand behalten

Weitere Notfallzulassungen will Schiele verhindern. Bereits mit seiner Unterschriftenaktion im Jahr 2019 eckte der Umweltaktivist vor allem bei den Landwirten im eigenen Ort an. Denn sie wollen im Kampf gegen Läuse und Viren auf den Feldern das Heft selbst in der Hand behalten und nicht in der Existenz gefährdet werden.

Der Erdmannhäuser Gemeinderat zog sich im Dezember 20219 salomonisch aus der Affäre. Er beschloss, einen Ausschuss für Landschaftsschutz und Biodiversität zu gründen. Damit sollte vor allem auch die praktische Arbeit an Biotopen als Lebensräumen für Tiere wiederbelebt werden. Zu einem grundsätzlichen Verbot von Pflanzenschutzmitteln auf den verpachteten Gemeindeflächen rangen sich die Bürgervertreter jedoch nicht durch.

Wildbienen leisten einen wichtigen Beitrag beim Bestäuben

Eine Mitarbeit im Ausschuss der Gemeinde lehnt Wolfgang Schiele gleichwohl ab. „Ich möchte nicht mit Menschen an einem Tisch sitzen, die mich bei meiner Unterschriftensammlung angefeindet haben.“ Pflanzenschutzmittel wie die eigentlich verbotenen Neonicotinoide seien Nervengifte, durch die Bienen die Orientierung und die Fähigkeit zur Fortpflanzung verlören. „Bei uns gibt es Wildbienenarten, die aussterben“, sagt Schiele und weist auf die wichtige Funktion der Blütenbestäuber hin, die im Gegensatz zu Honigbienen nur wenige hundert Meter weit flögen. „Viele Wildbienen starten schon bei 6  Grad und leisten am Tag mehr als Honigbienen, die erst bei 12 Grad ausschwärmen“, sagt Schiele. Blumen an Feldern seien wichtig, aber Beikraut werde ja bewusst auf Äckern mit Thiamethoxam verboten – gerade weil solche Blütengewächse die Bienen anziehen und vergiften könnten.

Das Landratsamt überwacht die richtige Anwendung

Die Verwendung von Thiamethoxam sei nicht im Ausschuss thematisiert worden, berichtet der Erdmannhäuser Bürgermeister Marcus Kohler. „Ich verlasse mich auf die Institutionen, die Gesetze erlassen und die prüfen, ob sie eingehalten werden.“

Ein Auge auf agrochemische Mittel hat das Landratsamt Ludwigsburg. Es kontrolliert, ob Sägeräte richtig eingesetzt und Blüten auf dem Feld entfernt werden, so Pressesprecher Andreas Fritz. Eine Notfallzulassung für 120 Tage sei nur dann möglich, „wenn das Mittel vorher zugelassen war, wenn es keine Alternativen gibt und wenn ein etwas vereinfachtes Notfallzulassungsverfahren durchlaufen wurde“.

Marbacher Landwirt ist heilfroh über die Möglichkeit

In Marbach war der Landwirt Florian Petschl heilfroh, dass die Behörden grünes Licht für eine Notfallzulassung der mit Thiamethoxam gebeizten Samenkörner der Marke Cruiser 600 FS gaben. „Ein Blattlausbefall kann eine Ernte zum Großteil ausfallen lassen.“ Vor dem Bienensterben im Rheintal seien Teile der Samenkörner beim Aussäen auf nahe Blühflächen verteilt worden. „Da ist nicht sauber gearbeitet worden.“ Die Geräte müssten den Samen in den Boden blasen.

Der Vorteil der gebeizten Samenkörner liege in ihrer Präzision, so Petschl. „Müssen wir ein Pflanzenschutzmittel versprühen, kann es durch den Wind abdriften.“ Die Aufwandmenge pro Hektar sei jetzt ungleich höher. Doch er hoffe, möglichst ohne Pflanzenschutzmittel auszukommen. „Wir führen ein Monitoring durch – entscheidend sind die Grenzwerte für die grüne Blattpfirsichlaus.“

Der BUND befürchtet Auswirkungen auf andere Lebewesen im Boden

Den Boden im Blick zu behalten, rät auch der BUND-Landesverband Baden-Württemberg. „Es ist wahrscheinlich, dass Neonicotinoide auch andere Lebewesen wie Regenwürmer oder andere Nützlinge, die für einen fruchtbaren Boden sorgen, vergiften“, sagt Lilith Stelzner, Referentin beim BUND.

Die Südzucker AG hält Neonicotinoide weiter für wichtig

Hohe Ernteausfälle
Seitdem der Einsatz von Neonicotinoiden im Freiland verboten ist, nimmt die Verbreitung von Vergilbungsviren auf Rübenfeldern in Deutschland erheblich zu, teilt die Südzucker AG auf Anfrage mit. „Einen wirksamen Schutz gibt es nicht mehr.“ Die Virus übertragenden Blattläuse weisen laut Südzucker AG gegen die verbliebenen Wirkstoffe bereits Resistenzen auf. „Selbst mehrmaliges Aufbringen vorhandener Wirkstoffe hilft nicht.“ Das kann zu Ertragsverlusten von 30  bis 50 Prozent führen, so wie im Jahr 2020 im Nachbarland Frankreich.

Suche nach Alternativen Die Zuckerindustrie und die Landwirte suchen bereits nach wirksamen Alternativen im Pflanzenschutz und in der Rübenzüchtung, teilt die Südzucker AG weiter mit. „Leider sind wir noch nicht soweit, den Viren damit Einhalt zu gebieten.“ Bis es eine Lösung gebe, sei eine temporäre Notfallzulassung für die gezielte Beizung mit Neonicotinoiden derzeit die einzige Lösung, „wenn wir den Rübenanbau und damit regional hergestellten Rübenzucker in Deutschland sichern wollen“.