Gedenktage können helfen, den Fokus auf Bestimmtes zu richten. Foto: Archiv (/dpa)

Momente des Innehaltens sind wichtig, Taten im Alltag sind wichtiger.

Marbach - Der Monat November ist der Monat des Gedenkens. An Allerseelen besinnen sich Katholiken der Verstorbenen und ihrer Seelen. Und am heutigen Sonntag wird in den meisten Kommunen auf den Friedhöfen der Volkstrauertag mit Kranzniederlegungen und Reden begangen. Eine Woche später, am letzten Sonntag vor dem ersten Advent, steht für die evangelischen Christen der „stille Feiertag“, der Totensonntag, auf dem Jahresplan.

Nationale wie kirchliche Gedenktage können helfen, den Fokus auf das zu richten, was wichtig für uns als Gesellschaft ist. Versöhnung, Frieden, Brücken schlagen – das gilt im Großen wie im Kleinen. Zwischen Nationen, aber auch zwischen uns Menschen im Privaten. Und ja, für viele Menschen sind die Zeremonien an Gedenktagen im großen und kleinen Kreis wichtig. Für viele haben sie aber keine Bedeutung.

Wertschätzung und Erinnerung auch im Alltag

Ein großer Teil der jüngeren Generation, das weiß ich aus Gesprächen, kann mit ihnen nichts oder zumindest nicht viel anfangen. Ob das gut oder schlecht ist? Eine Bewertung scheint mir nicht nur mühsam, sondern auch sinnlos. Zumal auch ich schon immer Probleme hatte mit formal „angeordnetem“ Gedenken, Trauern oder auch Wertschätzen. Also mit Totensonntagen, Valentinstagen, Muttertagen.

Ich vermisse meinen Vater seit bald zehn Jahren jeden Tag. Ich denke an ihn, ich trauere um ihn und bin doch unendlich dankbar für das, was er mir geschenkt hat und für das, was er mir für mein Leben an Rüstzeug mitgegeben hat. Einen Totensonntag zum Erinnern brauche ich nicht. Und ich freue mich über jede Wertschätzung, die mir andere entgegenbringen – im Alltag, nicht an einem kommerzialisierten Tag.

Ein Vorbild zu sein, ist wichtiger denn je

Gleichwohl hat das Gedenken an Opfer von Gewalt eine hohe Bedeutung, denn es birgt ein mahnendes Momentum, ermöglicht ein Innehalten, ein Reflektieren und ein Mitnehmen der Impulse und Wegweisungen in unseren Alltag. Bundespräsident Steinmeier hat in seiner Rede zum Volkstrauertag vergangenes Jahr erstmals der Opfer von Terrorismus und Extremismus, Antisemitismus und Rassismus gedacht und damit zurecht den Blick auf die jüngere Geschichte und die Gegenwart gelenkt.

Wir leben seit mehr als 76 Jahren in Frieden, doch auch unsere Gesellschaft ist alles andere als frei von körperlicher und verbaler Gewalt. Hass im Netz, der in Verbrechen mündet, Mobbing, Rassismus, sexuelle Belästigung und Übergriffe... die Liste ließe sich fortsetzen. Sich dessen bewusst zu werden, im Alltag durch Taten Zeichen dagegen zu setzen und Vorbild zu sein, ist wichtiger denn je.