Gastronomen haben in den vergangenen Monaten viel Aufwand in ihre Konzepte gesteckt. Foto: Archiv (dpa)

Der zweite Lockdown vergrößert das Glaubwürdigkeits- und Akzeptanzproblem.

Bottwartal - Um es gleich vorwegzunehmen: Ich habe die Maßnahmen der Bundes- und Landesregierung seit Beginn der Pandemie nicht nur mitgetragen, sondern auch befürwortet. Und auch heute stehe ich noch hinter der AHA-Regel, dem Tragen von Masken und dem Reduzieren der Kontakte auf ein Minimum. Die jüngsten Entscheidungen von Bund und Land bringen mich jedoch ins Straucheln. Der Lockdown sei eine „reflexartige Konsequenz von steigenden Infektionszahlen“, so drückt es die Kassenärztliche Bundesvereinigung in einem mit Vertretern der Wissenschaft erstellten Positionspapier aus. Streeck und Co. hatten statt eines zweiten Lockdowns unter anderem ein bundesweit einheitliches Ampelsystem gefordert – nicht ausschließlich basierend auf der Kennzahl an Neuinfektionen, sondern unter anderem auf der Anzahl der durchgeführten Tests sowie stationären und intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten. Doch die Politik greift einmal mehr hart durch – wie ich finde, ohne einen erkennbaren Plan in der Tasche zu haben, wie wir langfristig mit einem Virus umzugehen haben, das für Teile von uns gefährlich und tödlich sein kann.

Mit dem zweiten Lockdown werden Kultureinrichtungen, Sportvereine und die Gastronomie bestraft. Vor allem Letztere trifft die Maßnahme besonders hart, denn sie haben in den vergangenen Monaten nicht nur funktionierende Hygienekonzepte erstellt, sondern auch immense Summen investiert, um gut vorbereitet in jene Jahreszeit zu starten, in der steigende Infektionszahlen vorhersehbar gewesen sind. Kultur, Gastronomie und Sport sind nicht die treibenden Kräfte hinter den steigenden Infektionszahlen. Das wurde seitens der Politik immer wieder betont, und auch die Statistik belegt es. Die so genannten Spreader sind private Kontakte. Und die wird man wohl auch mit dem zweiten Lockdown kaum in den Griff bekommen. Im Gegenteil. Man geht die Gefahr ein, die Menschen noch mehr ins unkontrollierbare Private zu drängen.

Die aktuellen, in Teilen widersprüchlichen und nicht nachvollziehbaren Verordnungen vergrößern das Glaubwürdigkeits- und Akzeptanzproblem und bringen unser Land zunehmend in eine soziale Schieflage. Sie gefährden den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Die Politik riskiert, dass Verschwörungstheoretiker und rechte Menschenfänger weiter Zulauf aus der Mitte der Gesellschaft erhalten. Und das macht mir Angst. Denn bei allem Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Lockdowns habe ich meine Meinung in einem Punkt nicht geändert: Wer skandiert, dass wir in einer Diktatur leben, wer in Demos mitläuft, in denen auch Reichskriegsflaggen hochgehalten werden, wer Vergleiche zum Nationalsozialismus zieht und ihn damit verharmlost, unterstützt und betreibt widerwärtige und gefährliche Tabubrüche.