Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Eine banale Webseite zeugt dieser Tage von der Lage in Afghanistan.

Marbach/Bottwartal - Der Blick hinauf an den wolkenfreien Himmel, er hat bei mir immer schon Fernweh ausgelöst. Beim Kicken auf dem Bolzplatz rätselten wir in Kindertagen gerne, wohin all die Flugzeuge da oben fliegen. „Nur“ nach Frankfurt? Doch bis nach Rom oder Moskau? Vielleicht noch weiter? Anhand der Himmelsrichtung wurde gegrübelt – nur konnte das Rätsel nie gelöst werden. Mensch, war das schade!

Inzwischen ist des Rätsels Lösung nur zwei, drei Mausklicks entfernt. Im Internet kann man live und kostenfrei den Flugverkehr auf der Welt verfolgen. Man sieht, welches Flugzeug von wo nach wo fliegt und wo es sich befindet. Was mich im Jugendalter zu mancher Spielerei trieb. Und zur Antwort auf die Frage: Wie weit sieht man aus dem Fenster? Wo befindet sich der Horizont? Also setzte ich mich auf den Sims, verfolgte einen Flieger und schaute parallel auf den Rechner. Die Antwort: Richtung Westen kann man von Murr aus alle Flieger etwa bis Heidelberg sehen. Dahinter ist dann, was Udo Lindenberg als „hinterm Horizont“ besingt. . .

Mit der Zeit verlor die Internetseite für mich ihren Reiz. Die Verbindungen aus den USA in den Nahen Osten, die immer wieder übers Bottwartal gehen, waren irgendwann bekannt. Ebenso die Ferienflieger, die Briten in den Urlaub nach Griechenland bringen. Erst Corona brachte mich wieder vor den Bildschirm. Denn der Himmel war ja quasi leer, sodass es mir umso mehr auffiel, dass sich regelmäßig zwischen 22 und 1 Uhr ein riesiges Flugzeug übers Bottwartal bewegt – der Geräuschkulisse nach zu urteilen. Und tatsächlich: Wie der Blick auf den Computer verriet, ist es eine Tupolew-Fachtmaschine, die immer wieder von Leipzig aus in den Mittelmeerraum fliegt. Und dabei über unsere Region. Sie ist sicherlich vollbepackt, befindet sich in Leipzig doch das weltweit größte DHL-Paketzentrum. Nahezu alle Flieger, die man hier rund um Mitternacht hört, kommen von dort oder wollen dorthin.

In den vergangenen Tagen hat die Flugverkehrs-Webseite für mich ihre Unbeschwertheit nun verloren. Leider. Denn inzwischen sieht man auch, wie der gesamte Flugverkehr einen Bogen um Afghanistan macht. Und: Wie US-Militärmaschinen pausenlos, tags und nachts, in Kabul ein- und ausfliegen. Meist mit dem Ziel Katar. Beim Beobachten dieser Flüge, die weltweit tausendfach über das Programm verfolgt werden, läuft mir ein Schauder über den Rücken. Dafür reicht der Gedanke daran, welche Dramen sich hinter dieser so popeligen Computer-Ansicht abspielen. Fernweh spüre ich da keines. Stattdessen Schmerz.