Willkommen zurück! Billie Eilish ist am Donnerstag in Berlin aufgetreten. Foto: Matty Vogel

Wie war Billie Eilishs Auftritt in Berlin? Wie viel Intimität passt in eine Konzertarena? Welche Songs hat sie gespielt? Und was hält sie vom Urteil des US-Supreme-Court zur Abtreibung?

In der Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat, turnte eine 16-Jährige singend und tanzend durch das Kesselhaus der Berliner Kulturbrauerei und brachte Teenager zum Kreischen. Damals kannte niemand das Wort Corona und keiner über 18 kannt den Namen dieses hyperaktiven Mädchens. Es war der Februar des Jahres 2019, das Mädchen Billie Eilish. Und erst einen Monat später, als ihr Debütalbum „When we all fall asleep, where do we go?“ erschien, kannte es auf einmal die ganze Welt.

Aufwachen aus einem Pop-Albtraum

Damals spielte Billie Eilish zum ersten Mal überhaupt ihren ersten Hit „Bury a Friend“ live. Und drei Jahre und sieben Grammys später hat sie bei ihrer Rückkehr nach Berlin wieder diesen Song im Programm und eröffnet mit dem düsteren Schlaflied, das einen mit einem tuckernden Elektro-Shuffle-Beat und einer hypnotischen Melodie unruhig träumen lässt, ihr Konzert. Nun singt sie das Lied aber nicht mehr nur für depressiv veranlagte Pubertierende, sondern turnt, tanzt und hüpft in der größten Halle der Stadt über eine riesige leere Bühne. Und wenn Eilish in dem nachtschwarz eingefärbten Stück fragt, wo wir eigentlich hingehen, wenn wir schlafen, schreien die 17 000 Zuschauer in der Mercedes-Benz-Arena vom ersten Moment an jedes Wort mit, als ob sie die 20-Jährige aus einem Albtraum aufwecken wollten.

Eindringlichkeit geht verloren

Tatsächlich sind Billie Eilishs Songs aber dann am besten, wenn sie einem ganz nah kommen, wenn sie einem ins Ohr flüstert, seufzt, raunt, wenn die Intimität kaum auszuhalten ist. Diese Eindringlichkeit geht bei dem Konzert allerdings verloren. Im Kreischen der Fans, die sich mit putzigen Pappschildern und ihren Telefonen in den Händen ihrem Star entgegenstrecken, aber auch durch die Inszenierung der Songs. „Bury a Friend“ verwandelt sich mit nervös zuckenden Scheinwerfern, grollenden Bässen, tosenden Beats zu einem riesigen Spektakel – und gibt dem Rest des Abends den Ton vor.

Zappeln im viel zu großen T-Shirt

Billie Eilish ist live nicht das somnambule Gothic-Girl, als das sie sich in ihren frühen Songs verkleidete, für sie ist es kein Widerspruch, von Obsessionen und Selbstzweifeln, von toxischen Beziehungen und Depressionsschüben, von Trauer und Verlust zu singen und gleichzeitig das überdrehte Mädchen zu spielen, das in einem viel zu großen T-Shirt über die Bühne zappelt und sich über die Begeisterung des Publikums freut. Sie tobt sich grandios in der Lücke zwischen Lana Del Rey und St. Vincent, Dark Wave und Bubblegum-Pop aus, füllt diese mit Zittern, Wabern, Blubbern und einer Überdosis Larmoyanz und Aufmüpfigkeit. Bei der Liveshow verliert ihr emotional aufgeladener Mix aus Hip-Hop, R’n’B, Avantgarde, Pop und Teenie-Schwermut trotzdem etwas von seinem dunklen Zauber, von seiner albtraumhaften Innigkeit.

Schlafzimmerpop in XXL

Doch das ist der Preis des Erfolgs, der Preis des Hypes um Billie Eilish, der nicht enden will. Wenn Songs, die sich eigentlich am wohlsten in dunklen Ecken von Schlafzimmern fühlen, grell ausgeleuchtet in Arenen gezerrt werden müssen. Doch wie immer begleitet von ihrem Bruder Finneas an Keyboard und Gitarre und dem Drummer Andrew Marshall macht Eilish trotzdem das Beste daraus, ersetzt Eindringlichkeit durch Spektakel. Im Vordergrund der Show stehen die Songs, die um Tanzbeats kreisen. Songs wie „NDA“, das einem mit seinem brummigen Bass-Shuffle-Beat in den Magen fährt, wie „Oxytocin“, bei dem Eilish die Aerobic-Vorturnerin mimt, wie „Goldwing“ mit seinem kuriosen „Da-da-down-down, da-da-down-down“-Chorus, wie der Abzählreim „Therefore I am“, wie der Elektropop-Rabauke „You should see me in a Crown“, wie der rebellische R’n’B-Hit „All the good Girls go to Hell“. Immer zucken und flackern irgendwo irgendwelche Scheinwerfer. Die Leinwand hinter der Bühne verwandelt sich mal in ein Aquarium, mal krabbeln dort riesige Spinnen hervor. Und für Songs wie „Bellyache“ und „Ocean Eyes“ stellt sich Eilish auf einen Kran und lässt sich kreuz und quer durch das Publikum schwenken.

Billie Eilish: „Fuck you, Supreme Court!“

Die Momente, in denen die große Billie-Eilish-Show ein bisschen Intimität zulässt, sind sehr rar, aber sie gibt es. Etwa wenn sie, während auf der Videowand Kinderbilder projiziert werden (Billie als Kleinkind im rosa Kleidchen vor den Hollywood Hills, Billie und Finneas feixend auf einer Wippe), mit „Getting older“ den schönsten Song des Abends singt. Wenn sie die Ballade „When the Party’s over“ zum empfindlich-labilen Stimmungsbild erden lässt. Und wenn Finneas und sie in einem Akustikzwischenteil „Your Power“ und den Song „TV“ als Folkballaden vortragen. Vor allem aber, wenn Billie Eilish mitten in der Show mutig Stellung zu der Entscheidung des obersten Gerichts der USA zur Verschärfung des Abtreibungsrechts bezieht: „Es gehen gerade niederschmetternde Dinge in den USA vor sich, die Frauen das Leben zur Hölle machen“, sagt sie im stillsten Moment des Abends, ruft wütend „Fuck you, Supreme Court!“ und wünscht sich zurück in die Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat.

Billie Eilish: Setlist Berlin – Mercedes-Benz-Arena

1. bury a friend

2. I Didn’t Change My Number

3. NDA

4. Therefore I Am

5. my strange addiction

6. idontwannabeyouanymore / lovely

7. you should see me in a crown

8. Billie Bossa Nova

9. GOLDWING

10. Oxytocin

11. ilomilo

12. Your Power

13. TV

14. Not My Responsibility

15. OverHeated

16. bellyache

17. ocean eyes

18. Bored

19. Getting Older

20. Lost Cause

21. when the party’s over

22. all the good girls go to hell

23. everything i wanted

24. bad guy

25. Happier Than Ever

Billie Eilishs Setlist in Berlin