Rudi Entenmann (von links), Hansi Müller, Günther Michelfelder Foto: avanti

Bei einer lebhaften Podiumsdiskussion ist das „Phänomen Derby“ erörtert worden.

Benningen - Hier in der Kelter einmal Gänsehaut zur Fußballhymne „You’ll never walk alone“ zu bekommen, „das hätte ich nie gedacht“, sagte Klaus Warthon am Ende der Podiumsdiskussion, die am Samstag auf das Freundschaftsspiel der Bottwartal-Auswahl und der VfB-Traditionself folgte. Und doch stellten sich bei all den positiven Emotionen wohl nicht nur bei Benningens Bürgermeister sondern auch bei den Zuhörern im Publikum die Haare auf, als die Musiker David Förster und Julian Kaspar den Klassiker mit Gitarre, Cajón und Gesang erklingen ließen. Es war der krönende Abschluss einer unterhaltsamen eineinhalbstündigen Gesprächsrunde.

Zu der waren nur rund 30 Besucher gekommen, jene bereuten ihr Erscheinen aber sicherlich nicht. Im Gegenteil. Fußball-Europameister Hansi Müller, Rudi Entenmann aus der Benninger Aufstiegsmannschaft von 1960, Bottwartals Trainer-Urgestein Günther Michelfelder und Pierre Fees, langjähriger und weiterhin aktiver Spieler des FC Marbach, hatten allerhand beizutragen zum „Phänomen Derby“. Mit Moderator Lars Laucke, Sportredakteur der Marbacher Zeitung, entführten sie in vergangene Zeiten, erörterten aber auch die Frage, warum Derbys im Amateurfußball heute nicht mehr so viele Zuschauer anlocken wie vor wenigen Jahrzehnten.

Sogar knapp 100 000 Besucher im Stadion – und damit rund 15 000 mehr als eigentlich erlaubt – hatte das Derby, das bei Hansi Müller bis heute besondere Erinnerungen weckt. Für Inter Mailand spielte er 1983 gegen den AC Mailand, und beim 2:0-Sieg gelang ihm ein Tor. „Das erzielte ich mit rechts, obwohl ich den Fuß eigentlich nur zum Bierholen habe“, flachste der 61-Jährige, der noch heute auf diesen Treffer angesprochen wird. Wie ausgeprägt diese Rivalität war und ist, bekam er auch auf andere Weise zu spüren: „Ich war damals in eine TV-Sendung eingeladen und trug eine schwarze Hose und ein rotes Sakko, ohne mir darüber Gedanken gemacht zu haben.“ Der Verein Inter bekam daraufhin „körbeweise Briefe“, dass das ja überhaupt nicht gehe. Schließlich handele es sich um die AC-Farben.

Eine Nummer kleiner, aber dennoch beachtlich, ging es einst bei den Derbys des TSV Benningen in den goldenen 1950er- und 1960er Jahren zu. „Gegen Bietigheim oder 07 Ludwigsburg kamen immer mindestens 2500 Zuschauer. Darunter gab’s nichts. Manchmal standen Hunderte Menschen auf der anderen Neckarseite im Weinberg, um zuzusehen.“ Zum Aufstiegsspiel gegen Reichenbach seien 5000 Besucher gekommen. „Und gegen Backnang gab es von dort einen Sonderzug mit Fans“, blickte der 79-Jährige zurück. Duelle gegen Marbach habe es damals nicht gegeben, wie Entenmann süffisant erklärte. „Die waren damals niederer.“

Die Retourkutsche, dass Marbach zu seiner aktiven Zeit in den 1970ern und 1980ern höherklassiger als Benningen spielte, konnte sich Günther Michelfelder nicht verkneifen. „Bei uns fanden die großen Landesliga-Derbys gegen Murr statt. Die Zeitung schrieb damals die ganze Woche vorher darüber. Wir Spieler haben uns aber vertragen und nach dem Spiel im Vereinsheim ein Bier zusammen getrunken.“ Es war also anders, als in den 1960ern zwischen dem VfB und den Stuttgarter Kickers. „Da haben die Älteren wie Robert Schlienz zu uns Jüngeren gesagt, ihr werdet doch wohl nicht mit denen sprechen. Wir müssen die heimschlagen, nichts anderes!“ So war es im Kabinengang vor dem Anpfiff mucksmäuschenstill. „Und das war wohlgemerkt ein Vorbereitungsspiel“, so Entenmann.

Mit dem FC Marbach hat Pierre Fees einige Lokalderbys bestritten – mit dem 7:1-Sieg in Pleidelsheim 2010 als Höhepunkt. „Daran erinnere ich mich gerne zurück.“ Bis heute habe er im Bottwartal immer wieder den Eindruck, dass „viele ein Stück weit gegen Marbach sind, weil die immer etwas höher gespielt haben“. An den Tagen vor den Duellen schreiben sich die Spieler untereinander übers Handy so manchen Satz. „Nach dem Spiel ist das alles aber gegessen.“ Vor vierstelliger Zuschauerzahl zu spielen, war dem 32-Jährigen dabei noch nicht vergönnt.

„Im Fernsehen wird heute einfach zu viel Fußball gezeigt“, nannte Michelfelder einen Grund dafür. „Früher war tagsüber das Spiel in der Amateuroberliga und um 18.10 Uhr kam dann die Sportschau.“ Heute ist zeitgleich zu den Amateurspielen immer irgendein Bundesligaspiel live zu sehen. „Dadurch gehen weniger Menschen zu den Spielen im Ort.“ Hansi Müller brachte es überspitzt auf den Punkt: „Heute wird auch übertragen, wenn Turbine Potsdam gegen Schneeweiß Bethlehem spielt. Ich warte ja noch darauf, dass die dritte tunesische Liga im Badminton gezeigt wird.“ Rudi Entenmann stimmte dem zu: „Und man darf nicht vergessen, dass die Frauen heute mitsprechen. Damals war klar, dass man zum Fußball geht, wenn der Mann das so wollte. Das ist nicht mehr so.“

Pierre Fees sieht außerdem die Veränderung, dass die Vereinsbindung nachgelassen habe. „Was auch deshalb problematisch ist, weil es so für die Vereine schwieriger wird, Personen für ihren Vorstand oder sonst als Ehrenamtliche zu gewinnen.“ Auch im Aspekt, dass der Fußball bei Jugendlichen oft nur noch an vierter, fünfter Stelle stehe, neben der Schule auch hinter dem Handy und der Spielkonsole, waren sich die Redner einig. „Ich sehe gar keine 13- oder 14-Jährigen mehr auf dem Bolzplatz“, so Michelfelder. Auch der Besuch eines Lokalderbys gerät dadurch möglicherweise in den Hintergrund.