Schon seit 45 Jahren lädt der Traditionsbesen Foto: Michael Raubold Photographie

Schon seit 45 Jahren lädt der Traditionsbesen der Familie Wiedenmann nach Beilstein ein, um die Seele baumeln zu lassen.

Beilstein - Ärmel hochkrempeln und rund zwölf Stunden Dienst am Kunden: So sieht der Zehn-Tages-Besen-Marathon für die engagierten Winzer und ihre Helfer einmal pro Jahr aus

Gemütlich und kuschelig eng geht es zu im Besen der Familie Wiedenmann, wo die Gäste problemlos miteinander in Kontakt kommen. Das Essen, das die beiden Servicekräfte Meike und Manja beinahe im Minutentakt anschleppen, sieht nicht nur appetitlich aus und duftet verführerisch, es schmeckt offensichtlich hervorragend.

Kein Wunder also, dass die Beilsteiner Winzerfamilie häufig von ihren Gästen gefragt wird, warum der Besen in der urigen Wirtsstube nicht gleich mehrmals im Jahr geöffnet habe. „Das geht schon allein wegen unsrer Oma nicht“, verrät Juniorchef Marcel Wiedenmann. Die über 90-jährige Dame, deren Wohnung für die Besenzeit gebraucht wird, wird nämlich alljährlich zu diesem Zweck in den Urlaub geschickt. „Und das will sie einfach nicht öfter“, so der Enkel, der weiß, dass das „traditionelle Besenerlebnis in der Ursprungskneipe viele unserer Besucher sehr glücklich macht“.

Doch die Gäste würden ja auch die Bedingungen drum herum nicht kennen, so der Ingenieur für Weinbau. Er ist mit seinen Eltern Hans und Renate gut einen halben Tag allein damit beschäftigt, die Wohnung der Großmutter so umzugestalten, dass sie für die zehn Tage, in denen der Besen geöffnet hat, als Großküche fungiert. Die übrigens befindet sich eine Etage höher als die Wirtsstube. Das bedeutet, dass jedes bestellte Essen den Weg nach unten über die Steiltreppe finden muss, die als Handlauf lediglich ein dickes Seil aufweist. „Da fallen dir abends schier die Füße weg“, hat Wiedenmann am eigenen Leib erfahren. „Eine unserer Helferinnen hat sich zum Jux sogar mal einen Schrittzähler umgebunden, um zu zählen, wie viel sie zwischen Gastraum und Küche zurückgelegt hat.“Doch das Prozedere halten die Wiedenmanns schon seit 45 Jahren ein. Damals freilich noch mit einer anderen personellen Besetzung, denn die Großeltern haben mit der Besen-Tradition begonnen. Und da gab es noch je ein Fass mit rotem und weißem Wein und der Kneipenraum war so lange geöffnet, bis die Fässer geleert waren. Dass es genau dieses Flair ist, das die Gäste anzieht, freut und wundert den Winzer zugleich. Uns wird oft gesagt: „Ändert ja nichts an dem Mobiliar.“ Und so ist es geblieben. Lediglich renoviert wurde die Wirtsstube, als 2007 das Rauchverbot erlassen wurde. „Davor hat es manchmal bis in den Giebel hoch nach Qualm gestunken und wir mussten kübelweise Zigarettenstummel leeren“, erinnert sich der junge Unternehmer, dem der frische Anstrich gerade recht kam.

Involviert sind bei den Wiedenmanns sämtliche Familienmitglieder – außer den Kindern von Katharina und Marcel, die noch viel zu klein sind, um mithelfen zu können. Alle anderen sind in einen straffen Tagesablauf eingespannt. Morgens kurz vor 7 Uhr klingelt der Wecker. Recht früh, wenn am Abend zuvor erst gegen ein Uhr der Bettzipfel winkt. „Dann werden gleich die Kartoffeln aufgesetzt“, erklärt Mutter Wiedenmann, die für den lecker-glänzenden Kartoffelsalat zuständig ist. Alle jedoch helfen schälen und rädeln.

Der Braten fällt ebenso unter die Obhut der erfahrenen Hausfrau. Ihr Mann Hans dagegen ist für das Sauerkraut und das Schmalz zuständig. Er überprüft täglich auch die Innentemperatur des Kühlschranks und dokumentiert fein säuberlich die Werte, falls der WKD kommt und nachfragt. Bratwurst, Maultaschen und Schweinehals aus dem Backofen oder auch Matjes mit Quark und Kartoffeln werden liebevoll auf Tellern arrangiert. „Nur so dahingeschlappt, das geht gar nicht“, sagt Marcel Wiedenmann entschieden. „Selbst in der größten Hektik geht kein Teller ohne anständige Garnitur hier raus.“ Soll heißen: mindestens ein Tomatenstück sowie Kräuter zieren das Bestellte.

Ehefrau Katharina arbeitet derweil in der Vinothek. „Denn das Basisgeschäft muss vernünftig weitergehen“, sagt die Wein-Fachfrau, die erst nach Ladenschluss abends in den Besen kommt, um ebenfalls mit Hand anzulegen. Dann bewegt auch sie sich im engen Rahmen von etwa 2,5 Quadratmetern, dort, wo die Getränke eingeschenkt und die Körbe mit Besteck und Servietten gerichtet werden. „Schon eine Herausforderung, aber wir haben alles im Griff“, sagt Manja, die sich ebenso wie Meike bereits seit Jahren um die Wünsche der Besengäste in der Weinstube kümmert.

Zu diesen zählt auch der Nachbar Wilhelm Siegele, der seit Jahrzehnten die Gelegenheits-Gaststube aufsucht, um es sich dort schmecken zu lassen. Ihm gefällt – außer Wein und Essen natürlich – auch die Geselligkeit, also „die netten Leute, die man an den Tischen antrifft“. Vor Jahren noch hatte der heute 82-Jährige große Ausdauer bewiesen. Da saß er oft von 11 Uhr an bis in den Abend hinein in der gemütlichen Kneipe.

55 Sitzplätze gibt es dort offiziell. „Drängen viele Leute in die Stube, kommt es durchaus vor, dass aus drei Plätzen sechs werden“, grinst Marcel Wiedenmann und sagt: „Nach jeda Saison könntsch a Büchle schreiba.“ Doch aus den Worten spricht viel Liebe für das zehntägige Unterfangen. Für ihn macht auch der Mix aus Alt und Jung den Zauber des Besens aus. Denn abends ab 17 Uhr durchmischt sich das Publikum besonders, das „ob Schwabe oder Nichtschwabe, ganz zwanglos miteinander ins Gespräch kommt“.

Vielleicht ist das auch der Reiz für die fünfköpfige Männerrunde, die mit derS-Bahn und dem Bus aus Böblingen, Schönaich und Stuttgart ins beschauliche Beilstein gereist ist, um – wie schon Jahre zuvor – bei den Wiedenmanns einzukehren und in der urigen Atmosphäre Urlaub vom Alltag zu machen.