Die Brüder Lars und Dominik Salles pfeifen seit dieser Saison in der vierthöchsten deutschen Spielklasse. Quelle: Unbekannt

Die Brüder Lars und Dominik Salles sind als Handball-Schiedsrichter seit dieser Saison in der BWOL aktiv. Zumindest eine Stufe höher möchten sie es gerne noch schaffen.

Beilstein - Samstagabend in der gut gefüllten Weinsberger Weibertreuhalle. Die TSV-Handballer empfangen die SG H2Ku Herrenberg zum Duell in der Baden-Württemberg-Oberliga. Doch zwei ganz wichtige Akteure bei diesem Spiel kommen aus Beilstein: Die Brüder Lars und Dominik Salles sind die Schiedsrichter dieser Begegnung. Seit dieser Saison pfeifen sie in der vierthöchsten deutschen Spielklasse. 60 Spielminuten liegen vor ihnen, inklusive der Halbzeitpause zieht sich die Partie über mehr als eineinhalb Stunden. Anschließend folgt noch die Besprechung mit dem Schiedsrichterbeobachter, insgesamt werden sie an diesem Abend schließlich mehr als vier Stunden in der Halle verbracht haben.

Ist die physische Belastung vergleichbar mit einem Spiel alsAktiver? „Es ist interessant, dass du das einen Torwart fragst“, sagt der30-jährige Lars Salles und blickt grinsend zu seinem drei Jahre jüngeren Bruder. Denn Dominik ist Keeper beim Landesligisten TV Mundelsheim. „Körperlich ist es sicherlich nicht so anstrengend wie für die Spieler. Aber ich habe das Gefühl, dass der Kopf die restliche Energie, die sonst in den Körper geht, in Anspruch nimmt. Das Laufen ist halb so anstrengend wie die mentale Arbeit.“ Und Dominik ergänzt: „Wenn man gegen Ende des Spiels konditionell etwas nachlässt, dann geht das auf den Kopf und dann läuft man Gefahr, auch mal eine Fehlentscheidung zu treffen, die gerade gegen Ende des Spiels natürlich noch mehr Gewicht trägt.“

Lars Salles spielt seit dieser Saison nicht mehr aktiv, war zuletzt Rückraumspieler in Karlsruhe, wo er Englisch, Mathe und Politik auf Lehramt studiert. Dominik promoviert derzeit an der Universität Stuttgart im Fach Fahrzeugtechnik. „Dass wir beide noch aktiv spielen und BWOL pfeifen, hätte nicht funktioniert. Da hätten uns die Termine einfach nicht gereicht“, erklärt Lars seinen Abschied vom aktiven Wettkampfsport. „Ich habe schon vergangene Saison nur noch teilweise mitgespielt. Zum einen hat die Mannschaft einige jüngere Spieler, zum anderen lag der Fokus schon klar beim Pfeifen“, sagt er. Und da haben die beiden Beilsteiner mittlerweile ein sehr hohes Niveau erreicht. Dass sie Brüder sind, sehen sie durchaus als Vorteil: „Man muss ein gewisses Vertrauen zueinander haben. Das müssen andere Teams sich erst erarbeiten. Wir hatten da quasi 18 Jahre Vorsprung“, glaubt Lars, und Dominik ergänzt: „Es gibt einige Brüderpaare in der Szene, darunter auch Zwillinge.“

Das Zusammenspiel der Schiedsrichter spielt eine wichtige Rolle. Viele Dinge müssen einfach reibungslos funktionieren, ein kurzer Blickkontakt reicht in den meisten Fällen. Das Stellungsspiel ist für die Unparteiischen von großer Bedeutung. Immer wieder wechseln die beiden während der Partie die Positionen: Mal ist der eine hinter dem Tor, mal der andere, mal stehen sie links, mal rechts. Einen festen Rhythmus gibt es nicht. „Die Wechsel macht man eher nach Gefühl, auch situativ. Man braucht manchmal einen anderen Blickwinkel, wenn zum Beispiel eine Mannschaft das Abwehrsystem ändert und man sonst ungünstig steht“, erklärt Lars Salles. „Wir versuchen, in jeder Halbzeit in jeder Ecke mindestens einmal gestanden zu haben“, fügt Dominik hinzu. Doch bei aller Vertrautheit und Abstimmung sehen sie die Dinge natürlich immer wieder auch mal unterschiedlich. „Zum Teil bekommen wir uns nach dem Spiel auch mal in die Haare. Aber spätestens bei der Videoanalyse gibt es dann einen der richtig lag und einen der weniger richtig lag. Ich glaube, Domi liegt bisher etwas vorne“, räumt Lars ein. „Und wenn man falsch liegt, dann ist ganz oft ein in dieser Situation nicht optimales Stellungsspiel die Ursache.“

Dass sie beide selbst Spieler waren oder noch sind, ist kein Nachteil. „Gerade in emotionalen Situationen kann man sich doch besser in die Spieler hineinversetzen. Wenn jemand nach einer Entscheidung kurz aus der Haut fährt, danach aber wieder runterkommt, dann ist das okay für mich. Man darf diese Emotionen in der Rolle als Schiedsrichter nicht als persönlichen Angriff werten. Denn das sind sie meist nicht“, findet Dominik. Und auf manche Tricks der Spieler fällt man nicht so leicht herein, weil man sie aus eigener Erfahrung kennt. „Zum Beispiel wenn es um Dinge wie Zeit schinden geht. Oder heute im Spiel, da hat ein Torhüter vor einem Siebenmeter den Ball nass gemacht, indem er ihn ,aus Versehen’ an seinem Trikot entlanggewischt hat. So etwas merke ich halt, und da pfeife ich dann kurz ab und lasse den Ball sauber machen.“

Doch egal wie gut Schiedsrichter sind: Allen kann man es nie recht machen. Dementsprechend wird es auf und natürlich auch neben dem Feld manchmal hitzig. Das geht hin bis zu Pöbeleien und Beleidigungen von der Tribüne. „Ich glaube, das beschäftigt einen nur dann, wenn man sich bei der Entscheidung nicht sicher war. Das kommt vielleicht ein- oder zweimal pro Spiel vor“, sagt Lars Salles. Auch an diesem Abend gibt es eine Szene, die alle Weinsberger – ob auf oder neben dem Feld – anders gesehen haben: EinTSV-Spieler hat den Ball am Kreis vermeintlich sicher und will frei aufs Tor werfen, doch ein Herrenberger pflückt ihm die Kugel quasi aus der Hand. „Alle wollten einen Siebenmeter, wir haben es laufen lassen. Da beruhigt es hinterher schon, wenn der Beobachter und die Videoanalyse bestätigen, dass die Entscheidung völlig richtig war, weil er den Ball eben nicht richtig in der Hand hatte. Aber das will das Heimpublikum natürlich nicht hören. Das Geschrei ist manchmal unangenehm, aber wirklich beeinflussen lassen wir uns davon nicht. Da können die brüllen, was sie wollen“, sieht Lars Salles solche Dinge entspannt. Und sein Bruder findet, „dass es besser ist, wenn die Halle richtig voll ist. Da ist es laut, aber man hört nicht, was die einzelnen schreien. Wenn die Halle leer ist und man jedes Wort versteht, ist es manchmal unangenehmer.“ So hätten sie mal ein Spiel in der Frauen-Landesliga gehabt, bei dem nur fünf Zuschauer in der Halle waren, drei davon aber so unangenehm auffielen, dass die beiden Schiedsrichter dem Heimverein das unsportliche Verhalten einiger Fans in der Pause aufzeigen mussten.

Und natürlich kommen auch von den Trainern gelegentlich kritische Kommentare. „Verstärkt, wenn ich mal ab und zu alleine in unteren Ligen pfeife. Da wird einem einfach nicht geglaubt, egal was man entscheidet. Da gibt es wirklich Trainer, die ständig rummeckern, selbst bei den klarsten Entscheidungen. Das ist in höheren Ligen nicht so sehr der Fall, weil einfach die Akzeptanz höher ist“, erklärt Dominik Salles. So richtig üble Geschichten, bei denen sie jemanden nicht nur vom Feld stellen mussten, sondern derjenige auch länger gesperrt werden musste, haben die beiden Brüder bislang aber so gut wie nie erlebt. „Es gab mal ein Bezirksklasse-Spiel in unseren ganz jungen Jahren. Das waren ältere Spieler, die uns nichts glauben wollten und dachten, sie könnten jetzt alles machen. Da war auch eine Tätlichkeit dabei, die wir leider ahnden mussten, ein offensichtlicher Faustschlag“, erinnert sich Lars Salles. „Ich bin froh, dass wir das so früh in unserer Laufbahn hatten, um einfach auch zu wissen, dass das leider auch manchmal dazugehört. Aber glücklicherweise mussten wir sonst noch keine großen Strafen aussprechen.“ Dominik Salles hat das Gefühl, „dass bei der SG Schozach-Bottwartal in dieser Hinsicht alle paar Wochen mehr passiert, als wir in unserer gesamten Laufbahn bislang hatten“.

Gerne darf sie diese Laufbahn auch in noch höhere Ligen führen. Wobei Lars Salles einschränkt, dass es zunächst einmal darum geht, „in der BWOL anzukommen. Das war jetzt heute die dritte Beobachtung. Wir müssen jetzt erstmal schauen, wie die Beobachter uns sehen. Bislang war das Feedback gut.“ Natürlich gebe es immer wieder mal Kleinigkeiten, „aber nicht so, dass wir in einzelnen Bereichen richtig schlecht waren. Doch je höher man kommt, desto wichtiger werden die Nuancen. Wir werden ja nach einem Punktesystem bewertet. In unteren Ligen kann man sich vielleicht mal drei kleine Fehler erlauben, ohne dass es Punktabzug gibt. In der BWOL sind drei Fehler sofort ein Punktabzug“, erklärt Dominik. Am Saisonende steigt dann in der Regel nur das punktbeste Gespann in die nächsthöhere Spielklasse auf. Dennoch sei mittelfristig die 3. Liga das Ziel der Salles-Brüder. „Und die 2. Bundesliga wäre ein großer Wunsch. Aber dann wäre auch das Ende erreicht. Noch höher geht es nicht, da hätten wir früher gefördert werden müssen“, glaubt Dominik. Sein Bruder würde bei aller Zurückhaltung die 1. Bundesliga nicht völlig ausschließen: „Es müsste alles richtig laufen. Ich glaube, dann könnte das auch klappen. Aber wir machen einen Schritt nach dem anderen und vergessen nicht, dass es nur minimale Unterschiede zwischen den Teams gibt.“

Derzeit gilt die volle Konzentration aber der BWOL, in der es schon „um einiges professioneller zugeht als in den unteren Ligen. Da wird beim Einlaufen zum Teil das Licht ausgemacht und eine Nebelmaschine angeworfen, es wird sich auch anders um die Schiedsrichter gekümmert. Gleichzeitig wird von uns aber auch eine höhere Professionalität und ein gewisses Niveau erwartet“, erklärt Dominik Salles. „Aber es wird auch von den Spielern deutlich mehr zurückgegeben. Weiter unten wird man oft nur angefeindet, hier begegnet man sich eher auf Augenhöhe.“ Und was das Spiel an sich betrifft, so sei es schneller, wodurch man als Schiedsrichter auch seine Entscheidungen schneller treffen müsse. Doch nicht nur dieser Abend in Weinsberg hat gezeigt, dass die Salles-Brüder die gestiegenen Anforderungen bislang gut meistern.