Gebannt lauschen die Besucher der Erzählerin Stefanie Keller. Foto: avanti

Die Märchenerzählerin Stefanie Keller führt die Teilnehmer mit Geschichten zur Burg Hohenbeilstein.

Beilstein - Märchen und die besondere Atmosphäre der zwölf Raunächte, also der Zeit, die je nach Lesart zwischen dem Ersten Weihnachtsfeiertag und dem Dreikönigstag oder auch zwischen dem 21. Dezember und Neujahr liegt und in denen nach altem Volksglauben das Tor zur „Anderswelt“, also zur Geisterwelt, offensteht, sind offenbar keinesfalls Schnee von gestern. Denn zu einer Märchen- und Raunachtswanderung mit der Märchenerzählerin Stefanie Keller hat es am Sonntag mehr als 70 mehrheitlich erwachsene Besucher zur Burg Hohenbeilstein in der Langhansstadt gezogen.

Wie sie da so steht, in langem Gewand, mit wärmendem Schaltuch über dem Kopf, den Knotenstock in der Hand und den Huckekorb auf dem Rücken, sieht Stefanie Keller selbst so aus wie frisch aus einem Märchenbuch entstiegen. Und wenn sie dann, mit variabler Stimme und ausdrucksvoller Gestik, zu erzählen anfängt, von Wotans Wilder Jagd, vor der man sich in den Raunächten in Acht nehmen sollte, von Frau Holle, die viel mehr ist als die bekannte Märchenfigur im gleichnamigen Grimm’schen Märchen, oder von den Nornen, die den Schicksalsfaden spinnen, dann lauschen große und kleine Leute gebannt. Besonders stimmungsvoll ist die Atmosphäre im dunkler werdenden Wald oberhalb der Burg, nachdem einige Laternen entzündet wurden, die die Kinder dann abwechselnd tragen dürfen.

Wobei es durchaus die eine oder andere lustige Kollision mit der Neuzeit gibt. Als die Märchenerzählerin verkündet, man dürfe nach altem Volksglauben in der Zeit der Raunächte keine weißen Leinentücher waschen, weil sonst Wotans Heer daraus im folgenden Jahr ein Leichentuch mache, meint eine Frau trocken: „Ich hab sie gleich in den Trockner getan.“ Moderne Technik gegen gespenstische Urgewalt – das sorgt für viel Erheiterung.

Voller Symbolik sind nicht nur die erzählten Märchen und Geschichten, sondern auch kleine Handlungen auf dem Weg. Am ersten Stopp, einem Wengerterhäusle gegenüber der Burg, liegen um ein Teelicht herum gruppiert verschiedene Steine. „Mancher ist vielleicht froh, dass das Jahr bald vorbei ist, und möchte das eine oder andere loswerden – dafür stehen diese Steine als Symbol. Wer möchte, kann einen davon mitnehmen, solange es sich gut anfühlt, und ihn dann irgendwo zurücklassen“, lädt Stefanie Keller ein. Doch man solle sich auch besinnen, ob es nicht doch etwas Gutes gegeben habe: „Jedes Jahr, so schlimm es auch ist, hat immer einen Sonnenschein“, ist sie überzeugt. Bei der ersten Erzählstation im Wald darf jeder in einen kleinen Korb greifen, der mit Karottenstückchen und Vogelfutter gefüllt ist, unterwegs verteilen und dabei „Danke“ sagen, denn: „Man sollte in dieser Zeit der Natur auch etwas zurückgeben“, erklärt sie einen weiteren uralten Brauch. Auch Warnungen hat sie parat – etwa die vor allzu großer Neugierde und Geschwätzigkeit. So hat man zwar in einer Raunacht die Gelegenheit, auf einer Wegkreuzung den künftigen Liebsten zu erblicken, aber man darf ihn weder ansprechen noch ihm hinterherschauen, sonst geht das Ganze nicht gut aus. Und beim Abstieg, die im Dunst liegende beleuchtete Burg und die funkelnden Lichter im Ort vor Augen, möchte man Stefanie Keller fast Glauben schenken.

Stefanie Keller leitet am Samstag, 5. Januar, um 15 Uhr in Oberstenfeld weine weitere Raunachtswanderung. Treffpunkt ist der Parkplatz beim Waldspielplatz Krugeiche. Erwachsene zahlen 8 Euro, Kinder nur 5 Euro.