Ulrich Raisch hat sich als Startpunkt Schillers Geburtshaus ausgesucht. Foto: KS-Images.de

Ulrich Raisch zieht mit seiner Bewerbung Parallelen zu Friedrich Schiller und sieht die Corona-Pandemie als Gefahr.

Marbach - Ulrich Raisch hat sich als Ausgangspunkt für seinen Spaziergang einen der Hotspots von Marbach ausgesucht: das Geburtshaus von Friedrich Schiller. „Marbach ist die Schillerstadt, von daher bietet sich dieser Startpunkt geradezu an“, erklärt der Musikpädagoge aus Stuttgart, der in Marbach zum 56. Mal bei einer Bürgermeisterwahl seinen Hut in den Ring wirft.

Und schon bei den ersten Schritten taucht der 60-Jährige in Schillers Gedankenwelt ein: „In seinen Briefen zur ästhetischen Erziehung des Menschen hat Schiller die Idee eines Kulturstaats entwickelt“, erzählt er. Der große Sohn der Stadt habe vom „Bau einer wahren politischen Freiheit“ geschrieben. Vereine und Geselligkeit gehörten zur Wiege der Demokratie. „Diese Gedanken sind hochaktuell, aber durch die Entwicklung in der Corona-Pandemie wird das alles bedroht“, meint Raisch. In Parlamenten fänden nur noch Show-Veranstaltungen statt, die wesentlichen Entscheidungen träfen seit Monaten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Gesundheitsminister Jens Spahn in Abstimmung mit den Ministerpräsidenten der Länder.

Als Bürgermeister müsse man daher wachsam sein, diese würden direkt gewählt und hätten somit die höchstmögliche demokratische Legitimation. Zudem hätten sie mit acht Jahren die längste Amtszeit. „Erwin Teufel hat mal gesagt, er habe als Bürgermeister von Spaichingen mehr Gestaltungsspielraum gehabt als als Ministerpräsident von Baden-Württemberg“, berichtet Raisch.

Er würde als Bürgermeister in Marbach gern sein Lebenstraum-Projekt eines Musik-Kindergartens verwirklichen. „Dann hätte Marbach ein zweites Alleinstellungsmerkmal neben der Tatsache, Schillers Geburtsstadt zu sein“, erläutert der 60-Jährige. Einen solchen Musik-Kindergarten gebe es in ganz Baden-Württemberg nicht, sagt Raisch. Die Blaupause für einen solchen sei Berlin, dort sei dieser aus einer privaten Initiative entstanden. „In Düsseldorf wurde gerade der sechste Musik-Kindergarten eröffnet, allerdings liegt dort ein anderes Modell zugrunde“, führt der Musikpädagoge weiter aus.

Der Spazierweg streift zwei Orte, an denen sich Ulrich Raisch einen Musik-Kindergarten gut vorstellen könnte: im alten Kino und vor allem im früheren Schreibwarenladen von Ernst Jochim in der Charlottenstraße 1. „Ich habe Ernst Jochim über das gemeinsame Musizieren in einem Orchester kennen gelernt und war mehrfach in diesem Haus“, sagt er. Jochim sei nicht nur Kaufmann gewesen, sondern auch ein begeisterter Cellist. Mit seinem großen Garten dahinter sei dieses Gebäude geradezu prädestiniert für ein solches Projekt. „Da könnte sich Marbach wirklich ein Denkmal setzen“, findet Raisch.

Allerdings habe die Stadt die Chance verpasst, das Haus zu erwerben. „Von Manfred Hollenbach, dem ehemaligen Bürgermeister von Murr, habe ich gelernt, wie man als Bürgermeister gestalten kann“, sagt Raisch. Dieser habe bei seinen Besuchen mit den Geburtstagsjubilaren oft clevere Deals eingefädelt: Er habe für die betagten Leute häufig einen Platz in einem Altenheim organisiert, im Gegenzug hätten diese dann ihre Immobilie an die Kommune verkauft. „Die Gemeinde Murr ist so an viele lukrative Grundstücke gekommen“, sagt Raisch.

Auf der Schillerhöhe und unter ihren Bäumen angekommen, setzt Raisch einen bewussten Gegenpunkt zu anderen Kandidaten. Während häufig der Gesundheitscampus und die Gartenschau als die wichtigsten Zukunftsprojekte in Marbach genannt würden, will Ulrich Raisch stattdessen für jedes neu geborene Kind in Marbach einen Baum pflanzen. „Der Baum ist für mich ein Signal für Leben“, erklärt er.

Das Leben der Bürger sieht Raisch durch die Corona-Pandemie und die getroffenen Schutzmaßnahmen massiv beeinträchtigt. Auch er selbst ist davon betroffen: Da er Musikunterricht online nicht geben wolle („Musik lebt ganz wesentlich vom Miteinander“), blieben ihm nur noch Auftritte in Kirchen und Krankenhäusern als Verdienstmöglichkeiten. „Aber da bin ich massiv eingeschränkt worden“, erzählt Raisch. Nicht nur der Ostergottesdienst sei vergangenes Jahr ausgefallen, auch in der Advents- und Weihnachtszeit, in der er normalerweise gut verdiene, habe es nur wenige Auftritte gegeben. Und auch in diesem Jahr könne der Lockdown bis Ostern andauern. „So langsam geht es an die Existenz“, stellt Raisch klar.

Musik ist für ihn natürlich auch das erste Mittel zur Entspannung. „Musik ist nicht nur Kunst, mit ihr kann man auch sämtliche Gefühle von Freude über Trauer bis zur Verzweiflung ausdrücken“, erläutert er. Auch die Pause sei ein wesentlicher Teil, in ihr könne man durchatmen. Er plädiert dafür, Musikschulen nicht nur „für eine kleine Elite von etwa zwei Prozent der Bevölkerung“ anzubieten. „Musik ist ein Mittel, das Generationen und Nationalitäten verbindet“, sagt Raisch. Und daher ganz sicher im Sinne von Friedrich Schiller.

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