Für die Lyrikerin und Liedermacherin Bettina Wegener war Schreiben und Singen immer eine Art zu überleben. Das hat sich im Alter nicht geändert. In unserer Bildergalerie finden Sie weitere Porträts von Frauen, die sich nicht einfach auf das Altenteil abschieben lassen wollen. Foto: Felix Froede

Jugend ist kein Zustand, sondern eine Haltung: In ihrem Bildband „Wir wollen es nochmal wissen“ porträtiert Nicole Andries Frauen, die einen Neuanfang wagen.

Stuttgart - Alles ist eine Frage der Sichtbarkeit. Und die ist gebunden an Machtverhältnisse. Während sich alternde Männer ungeniert in ihren angestammten Rollenprofilen in den Vordergrund drängen, verschwinden Frauen irgendwann in der zweiten Reihe. Erst mit der Metoo-Bewegung ist der unwürdige Greis ins Bild getreten, allerdings in gänzlich anderem Sinn als Bert Brecht sich die „Unwürdige Greisin“ einst polemisch anverwandelt hat. Die Heldin seiner gleichnamigen Erzählung ist eine Kampfansage gegen die patriarchalische Gesellschaft, die alten Männer, die derzeit wegen sexueller Übergriffe in den Fokus geraten, sind ihr übelster Ausdruck.

Unendliche Möglichkeiten im Jetzt

Schönere Bilder zeigt der Bildband „Wir wollen es noch einmal wissen“ der Publizistin Nicole Andries und des Fotografen Felix Broede. Man begegnet darin Frauen, die sich nicht mit dem Gnadenbrot der Marginalisierung abspeisen lassen wollen. Sie weigern sich abzutreten und wagen stattdessen in fortgeschrittenem Alter den Neuanfang. Eine Mathematikerin gründet im Rentenalter ein Unternehmen, eine Buchhändlerin startet eine Karriere als Literaturagentin, eine Fernsehjournalistin wird Tangolehrerin – und eine Liedermacherin singt einfach weiter. In Bild und Text werden 15 bekannte und weniger bekannte Frauen porträtiert, darunter die als Joan-Baez-Interpretin berühmt gewordene Bettina Wegner oder die in einer Szenebar das Berliner Nachtleben aufmischende 75-jährige Wera Bunge.

Auch die Emanzipation des Alters ist eine Geschlechterfrage. Doch die Schönheit, mit der man hier konfrontiert wird, verdankt sich weder raffinierter Ästhetisierung, noch einem melancholisch getönten Vorher-Nachher. Schön ist dieses Buch, weil es die unendlichen Möglichkeiten im Jetzt vor Augen führt, jenseits der konsumistischen Fetischisierung ewiger Jugend. Zusammen mit Bettina Wegener und Wera Bunge stellt Nicole Andries ihr Buch an diesem Donnerstag um 19.30 Uhr im Literaturhaus Stuttgart vor.

Nicole Andries (Text), Felix Broede (Fotografie): Wir wollen es nochmal wissen – Frauen, die kein Alter kennen. Elisabeth Sandmann Verlag. 144 Seiten, 29,95 Euro.