Herbert Käßer im Gespräch bei einer Tasse Kaffee. Foto: Werner Kuhnle

Herbert Käßer ist seit 47 Jahren Trainer der Steinheimer Leichtathleten. Dass nun drei seiner Schützlinge Deutscher Meister geworden sind, kommt nicht von ungefähr.

Steinheim - Als Herbert Käßer gefragt wurde, ob er in Steinheim drei Turnerinnen im Bereich Leichtathletik trainieren möchte, und er auch zusagte, hieß der TSG Steinheim noch SKV Steinheim. Das Riedstadion gab es genauso wenig wie eine Leichtathletik-Abteilung. Willy Brandt war Bundeskanzler und die erste Mondlandung lag gerade drei Jahre zurück. 1972 war das. „Den dreien hat die Leichtathletik bald besser gefallen als das Turnen“, erinnert sich Herbert Käßer lachend, als sei es gestern gewesen. Der 77-Jährige erinnert sich wohl auch so gut an diese Trainingsgruppe, weil sie sein Leben veränderte. Fand er doch Gefallen daran, als Trainer zu wirken. Die Folge: Heute, mehr als 47 Jahre später, ist er noch immer der Übungsleiter der Steinheimer Läufer. Ein echtes Vereins-Urgestein also.

Träger der Goldenen Ehrennadel des DLV

Dass er nicht irgendein Trainer ist, wird deutlich daran, dass ihm vor vier Jahren die Goldene Ehrennadel des Deutschen Leichtathletik-Verbandes verliehen wurde. Die höchste Auszeichnung, die der Verband vergibt. Und dadurch, dass in diesem Sommer gleich drei seiner Schützlinge Deutsche Jugendmeister geworden sind. Emily Rösser in der U20-Staffel, Felix Herrmann und Luis Kaiser in der U18-Staffel. Jeweils über 4x100 Meter in der Startgemeinschaft mit dem VfB Stuttgart. Die Jungen brachen gar den deutschen Uraltrekord aus dem Jahr 1992.

Für Herbert Käßer waren das drei unvergessliche Juli-Tage. „Unser Ziel war das Finale – mehr lässt sich in der Staffel nicht vorhersagen. Dafür passiert zu viel. Als wir auf die Meldeliste schauten, haben wir aber auf Medaillen spekuliert.“ Schließlich waren die Jungen an vier, die Mädchen an drei geführt. „Dass es aber so deutlich werden würde – damit hatte wirklich niemand gerechnet.“

Akribische Arbeit - Tag für Tag

Und doch kommt der Erfolg nicht von ungefähr. Genauso wenig wie die Tatsache, dass es nicht das erste Mal ist, dass Steinheimer Athleten es in die deutsche Spitze schaffen. Das wird bestätigen, wer Herbert Käßer kennt. Dreimal die Woche – manchmal auch öfter – bittet er zum Sprinttraining. Dazu kommen die Krafteinheiten, die eine Zeit lang sogar an den Hanteln in seinem Keller vollzogen wurden. Er fährt die Sportler sonst wo hin oder legt auch mal vormittags eine Extraeinheit im Stadion ein, wenn ein Schützling gerade schulfrei hat. Kurz gesagt: ein Leben für die Leichtathletik.

Auch im Gespräch bei einem Kaffee in der Marbacher Fußgängerzone blüht Herbert Käßer bei diesem Thema auf. Er weiß genau, welche Bestzeiten etwa seine einstigen Schützlinge Ingo Glenk oder Michael Fahrenkamp in welchem Alter hatten. Beide hatten es in den Bundeskader geschafft. Er schwärmt von der Tatsache, dass die Leistungen „klipp und klar“ bewertet werden können. „Anders als beim Fußball, das ich als Jugendlicher gespielt habe, wo man sich hinter seinen Mitspielern verstecken kann.“ Individualsportarten sind eher sein Fall. „Es ist der Kampf Mann gegen Mann“, wie er es ausdrückt.

"Das perfekte Training gibt es nicht"

Das klingt hart – der Erfolg aber hängt von weichen Faktoren ab. Der richtigen Schulterhaltung, dem korrekten Aufsetzen des Fußes, der perfektionierten Übergabe des Staffelstabs, und so weiter. Für all das gibt Herbert Käßer seinen Sportlern detailverliebte Tipps an die Hand. Dass er selbst keinen Trainerschein hat, der sich nie ergab, steht dem nicht im Weg. Er lernt von anderen, gerade Bundestrainern. „Das perfekte Training gibt es aber nicht. Sonst würden alle gleich trainieren“, sagt der TSGler. Die Kunst sei, für jeden das Passende zusammenzustellen.

Und genau das ist sein Ding. „Ich mache mir laufend Gedanken, was man wie verbessern kann.“ Selbst, wenn er sommers auf der Terrasse sitzt. „Nur dasitzen und nichts tun ist gar nicht mein Ding.“ Mal länger vor dem Fernseher sitzen? Nicht mit ihm. Eine Eigenschaft, die fit hält. Körperlich wie geistig. „Das Mittrainieren funktioniert wegen der Knie zwar nicht mehr. Das Vormachen von Übungen, das geht aber noch.“

Viele Wiederholungen statt Dauerlauf

Als Trainer setzt er vor allem auf viele Wiederholungen, also nicht den klassischen Dauerlauf. Auf zehn Mal 200 Meter etwa, mit Pausen dazwischen, die in den Wochen vor einem Wettkampf kürzer werden. „Das ist effektiver und die Sportler spüren, dass sie sich verbessern.“ Beim Start lässt er auch mal Gewichte tragen. Oder er arbeitet mit einem Bungeeseil, mit dessen Hilfe es sich noch schneller laufen lässt. Maßnahmen, die Felix Herrmann, der auf 100 Metern bereits fünf Mal die Schallmauer von elf Sekunden knackte, zum derzeit schnellsten Läufer des Landkreises werden ließen.

Und doch ist Herbert Käßer in Sorge. Denn es fehlt an Nachwuchs. Eigentlich trainiert er Jugendliche ab 15 Jahren, da ab diesem Alter auf 100 Metern gesprintet wird. Doch inzwischen sind die Leichtathleten seiner siebenköpfigen Gruppe 17- bis 23- jährig. „Man merkt, dass die Belastung durch die Schule immer größer wird.“ Käßer wäre froh um Sprintinteressierte, die zum Training stießen. „Ein Problem ist auch, dass sie dann das Niveau der anderen sehen, nicht mithalten können und bald nicht mehr kommen. Dabei habe ich Geduld, behandle jeden gleich und bin schon froh, wenn jemand einmal die Woche kommt“, versichert der 77-Jährige.

Ans Aufhören ist nicht zu denken

Der Kontakt hält dann oft übers Training hinaus. Wenn Ingo Glenk, einst deutschlandweit Dritter über 800  Meter, inzwischen auf der Ostalb lebend, Geburtstag feiert, ist er eingeladen. „Ich bin mit niemandem im Streit auseinander gegangen“, freut er sich – und fiebert gleichzeitig mit seinen jetzigen Schützlingen mit. Mit Emily Rösser etwa, die ab Januar dank eines Stipendiums in den USA trainieren darf. „Das ist eine Riesensache!“ Und mit Felix Herrmann, der im Herbst in Florida trainieren konnte. „Er lernte dort vom Trainer von Weltmeister Justin Gatlin. Der ist 86 Jahre alt.“

Kein Wunder, dass Herrmann danach zu Herbert Käßer sagte: „Du machst also hoffentlich auch noch ein paar Jahre!“ Und die Chancen stehen gut. Drei Jahre vor dem 50-jährigen Trainerdasein denkt der Steinheimer nicht ans Aufhören. Den drei Turnerinnen vor 47 Jahren sei Dank.