Mit dem Urteil endete ein Sitzungsmarathon mit 39 geladenen Zeugen, der bereits im Januar begonnen hatte. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Der 26-Jährige muss aufgrund einer Persönlichkeitsstörung erst therapiert werden, bevor er seine Haftstrafe antritt.

Marbach/Heilbronn - Das Landgericht Heilbronn hat am Dienstag einen 26-Jährigen aus Marbach zu einer Haftstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die 3. Große Strafkammer sprach den Sohn libanesischer Eltern, der in Deutschland geboren ist, für zahlreiche Straftaten in insgesamt neun Gewaltausbrüchen schuldig. Dabei wogen besonders zwei gefährliche Körperletzungen schwer.

Mit dem Urteil endete ein Sitzungsmarathon mit 39 geladenen Zeugen, der bereits im Januar begonnen hatte. Eigentlich wollte der Vorsitzende Richter Thomas Berkner am letzten Tag noch die Bekannte des damals 25-Jährigen befragen. Ihr hatte der Angeklagte im Februar vorigen Jahres zweimal mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Doch die Frau erschien nicht. Deshalb wies der Richter die Polizei an, die Zeugin noch am selben Vormittag von ihrer Wohnung zum Gericht zu bringen – aber sie war nicht zu Hause. Damit brockte sie sich selbst ein Ordnungsgeld von 150 Euro oder drei Tage Haft ein.

Der junge Mann hätte in der Summe seiner einzelnen Straftaten – darunter Körperverletzungen, Bedrohungen, Nötigungen und Sachbeschädigungen – für etwa sechs Jahre hinter Gitter gemusst. Doch das Gericht entschied sich für die abgemilderte Gesamtstrafe, weil sich die Motivation wiederholte. „Das verbindende Element ist die Persönlichkeitsstörung“, erklärte Thomas Berkner. Jeder Gewaltausbruch folge einem ähnlichen Schema. Immer sorge seine geringe Frustrationstoleranz für eruptive Gewaltausbrüche. So hatte der Angeklagte nach einem Streit einem Mann auf dem Ludwigsburger Solitude-Parkdeck am Bahnhof mit voller Wucht gegen den Kopf getreten. In Marbacher Rathaus schlug er die Scheiben des Aufzugsschachts ein, und in der Wohnung attackierte er Sanitäter und Arzt, die ihm helfen wollten, als er sich mit einem Messer selbst in den Bauch gestochen hatte. Auch in der Weinsberger Psychiatrie schlug er einen Arzt mit der Faust ins Gesicht, und im Ludwigsburger Krankenhaus bedrohte er eine Ärztin mit einem Messer (wir berichteten).

Eine Psychose liege nicht vor, so der Richter, der sich auf das Gutachten des Gerichtspsychiaters stützte, aber die Persönlichkeitsstörung müsse behandelt werden. Deshalb folgte er nicht dem Vorschlag der Staatsanwältin, die Haft der psychiatrischen Behandlung vorzuschalten. Zwar müsse die Allgemeinheit wegen der Gefahr neuer Gewaltausbrüche geschützt werden, doch habe der 26-Jährige gesetzlichen Anspruch auf eine Therapie in einer geschlossenen Anstalt – diese Unterbringung sei zunächst unbefristet, erklärte Thomas Berkner. Was wiederum aber auch nicht „lebenslänglich“ bedeute. Bei der Rechtsmittelbelehrung riet er dem 26-Jährigen von einer Revision ab. „Denken Sie daran, dass es für Sie ohne eine Behandlung keine Zukunft in Deutschland gibt.“ Es drohe ihm nämlich die Abschiebung. Der Libanese trug seit seiner Geburt den Duldungsstatus und bekam später keine Arbeitserlaubnis.

Die Staatsanwältin hatte in ihrem Plädoyer vier Jahre Haft gefordert und erwähnte 15 Einträge im Vorstrafenregister. Der Verteidiger schloss sich zwar weitgehend der Staatsanwaltschaft an, plädierte jedoch für eine nur zweijährige Haftstrafe. Er berief sich dabei auf ein neueres Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach Patienten das Recht hätten, Behandlungsformen wie Fixierungen im Krankenhaus abzulehnen. Der Richter akzeptierte das aber nicht. Der 26-Jährige habe nicht Widerstand gegen die Behandlung geleistet, sondern seinen Zorn ausgelebt.