Redakteur Oliver von Schaewen (links) und Ex-Betriebsrat Jan-Willem Riezebos blicken zurück. Foto: Archiv (Werner Kuhnle)

Die Marbacher Zeitung hat den Konflikt des Unternehmers Jochen Werz mit seinen Arbeitnehmern bis zum Insolvenzverfahren verfolgt. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt zeigt die Grenzen von Arbeitgeber-Willkür auf.

Mut ist „eine Charaktereigenschaft, die dazu befähigt, sich gegen Widerstand und Gefahren für eine als richtig und notwendig erkannte Sache einzusetzen.“ So definiert Wikipedia Mut – und mit diesen Worten soll meine Geschichte zum 175-Jahr-Jubiläum der Zeitung beginnen, für die ich mittlerweile fast ein Vierteljahrhundert lang tätig bin. Als ich mich fragte, welcher meiner vielen Artikel Mut am besten illustrieren könnte, fiel mir nichts mit meiner eigenen Tapferkeit ein – denn die ist trotz meiner berufsbedingten Bereitschaft, auch brisante Themen darzustellen, begrenzt. Die Rede soll an dieser Stelle deshalb von den Arbeitern des Oberstenfelder Unternehmens Werzalit sein. Sie widersetzten sich dem Firmenboss, als der sie auf unfeine Art ihrer Rechte berauben wollte.

Nennen wir also Ross und Reiter beim Namen: Outsourcing – das Auslagern von Arbeitskräften, um damit Lohnkosten zu sparen. Das ist mittlerweile in vielen Unternehmen gang und gäbe. Aber dort werden Sozialpläne ausgehandelt, und man ist bemüht, die eigenen Mitarbeiter nicht im Regen stehen zu lassen, wenn man sich schon von ihnen trennen muss. Von einem solchen fairen Miteinander waren beide Seiten weit entfernt, als Firmenchef Jochen Werz einen Großteil seiner zum Teil altgedienten Arbeiter damit konfrontierte, doch in die von ihm eigens neu gegründete Fertigungsgesellschaft Holz und Kunststoff (FHK) zu wechseln. Nachdem diese schon jahrelang auf Gehaltserhöhungen verzichtet und einige Stunden in der Woche ohne Bezahlung gearbeitet hatten. Was er dort mit seinen Arbeitskräften vorhatte, wusste niemand so richtig, aber es löste große Ängste aus, dass Arbeitsverträge ihre Gültigkeit verlieren könnten und dass das Lohnniveau neu bestimmt werden sollte. Die Sorge vor Kündigungen schwang mit – und sie sollte berechtigt sein.

Damals wandten sich die drei Betriebsratsvorsitzenden Werner Fischer, Jan-Willem Riezebos und Erdal Ayar des Oberstenfelder Holzverarbeiters Werzalit an unsere Zeitung. Sie beklagten sich im Gespräch mit mir bitter darüber, dass ihnen mit dem Betriebsübergang in die FHK die Pistole auf die Brust gesetzt wurde. Eine Berichterstattung scheiterte aber damals daran, dass der Werzalit-Geschäftsführer Jochen Werz Wind von den Pressekontakten des Betriebsrates bekam und uns rechtliche Konsequenzen androhte, sollten geschäftsschädigende Informationen verbreitet werden. Die für uns tätigen Medienrechtler rieten uns, diese Drohung ernst zu nehmen, da ein Betriebsrat der juristischen Person des Unternehmens untergeordnet sei.

Öffentlich wurde der Konflikt zwischen der Werzalit-Unternehmensleitung und den Arbeitnehmern, als er vor Gericht ausgefochten wurde. Ich berichtete zuerst am 19. Oktober 2010 über den Fall Jan-Willem Riezebos. Er ist seit ein paar Jahren im Ruhestand, erinnert sich aber noch gut daran, wie er schon vor den später erzwungenen Betriebsübergängen von etwa 400  Werzalit-Arbeitern auf etwa zehn neue Firmen, darunter die FHK, von seinem Arbeitsplatz als EDV-Programmierer aus dem Büro in eine Montagehalle verfrachtet wurde, um dort bei den Elektrikern Maschinen statt Computer zu programmieren. Dafür sollte er monatlich nur noch 3000 statt 5400 Euro bekommen. „Das Gericht gab der Firma Recht – für mich war das ein Tiefpunkt“, erinnert sich Riezebos.

Von da an sah man sich öfter vor Gericht. Dort landete schließlich auch der Betriebsübergang von 150 Werzalit-Mitarbeitern, die sich in der FHK wiederfanden und gegen ihre Kündigung klagten. Im selben Sitzungssaal, in dem Jan-Willem Riezebos fünf Jahre vorher krachend gescheitert war, feierte er mit seinen Kollegen im Mai 2015 einen juristischen Sieg, der Folgen haben sollte. Ich erinnere mich, wie ich an einem Freitagnachmittag noch nach der Verhandlung mit dem Richter telefonierte, der mir das Urteil und dessen – auch für ihn selbst neuartige – Begründung erklärte. Nach außen habe Werzalit seine Mitarbeiter weiter mit Firmenlogo signieren lassen. Auch steckten sie in denselben Arbeitskleidern wie zuvor. Es könne nicht sein, dass ein Unternehmen nur „nach innen“ Personal outsource, dies aber „nach außen“ nicht erkennbar sei. Damit handele es sich nicht um einen wirklichen Betriebsübergang.

Aber mit dem Richterspruch war noch längst nicht wieder alles gut. Im Gegenteil. Die Konflikte spitzten sich zu. Jan-Willem Riezebos schaudert heute noch vor der Umgangsweise während der ganzen Zeit. „Uns hat man wie Figuren auf dem Schachbrett hin- und hergezogen“, erzählt der heute 65-Jährige, der selbst einen total friedfertigen Eindruck macht: „Wenn ich jünger gewesen wäre, hätte ich mir einfach einen neuen Arbeitgeber gesucht.“ So aber musste er sich wehren, ließ sich für den Betriebsrat aufstellen, wurde dessen zweiter Vorsitzender und stand so immer in vorderster Reihe – etwa im Demonstrationszug durch Oberstenfeld mit der IG Metall im Juli 2014 oder auch im Juni 2015, als die Werzalit-Arbeiter nach dem Urteil des Arbeitsgerichtes Stuttgart wieder zur Arbeit wollten. Konnten sie aber nicht. Jochen Werz eröffnete ihnen am Werkstor in aller Deutlichkeit, dass Werzalit keine Arbeitsplätze mehr für sie habe – er wollte die Arbeiter wieder in Tochterfirmen unterbringen.

Der Karren war also verfahren, und selbst als der Betriebsrat wieder auf das Gelände durfte, sorgte ein eigens errichteter Zaun dafür, dass man sich nicht zu nahe kam. Tumulte hatte es durchaus gegeben, als Arbeiter im Büro aufliefen und der Firmenchef sich bedroht sah. „Es war nahe dran an einer körperlichen Auseinandersetzung“, räumt Jan-Willem Riezebos ein. Er bekam als Beteiligter dafür von einem Gericht wegen Hausfriedensbruchs eine Strafe von 400 Euro aufgebrummt.

Das Urteil des Ludwigsburger Arbeitsgerichts zum unechten FHK-Übergang hatte später über alle Instanzen Bestand, obwohl Jochen Werz es mit renommierten Anwälten bekämpfte und bis vor das Bundesarbeitsgericht in Erfurt zog. Dabei ging es um viel Geld: etwa Differenzzahlungen für die nach der FHK-Insolvenz inzwischen arbeitslos gewordenen Werzalit-Mitarbeiter. „Allein bei mir waren es an die 150 000 Euro“, sagt Jan-Willem Riezebos. Mit der Niederlage in Erfurt war klar, dass sich Werzalit nicht mehr halten konnte, Jochen Werz musste ein Insolvenzverfahren beantragen.

Der Sieg in Erfurt hat den Arbeitern bis heute nicht das gebracht, worauf sie eigentlich Anspruch hätten. Zwar ist das Firmengelände ebenso verkauft worden wie der Rest-Betrieb von Werzalit mit seinen deutschen Standorten, doch ob und wie viel von der Insolvenzmasse letztlich noch zur Ausbezahlung an die Arbeiter kommt, ist immer noch nicht geklärt. „Das Verfahren vor dem Insolvenzgericht in Heilbronn läuft noch“, weiß Jan-Willem Riezebos. Er selbst habe das Angebot des Insolvenzverwalters angenommen und sich mit 30 000 Euro den Verzicht auf seinen Arbeitsplatz ausbezahlen lassen. Doch andere frühere Kollegen kämpften weiter. Sie verhandeln noch immer mit dem Insolvenzberater Jochen Sedlitz über eine angemessene Lösung. Das Werzalit-Gelände ist mittlerweile in Besitz der Levkas GmbH, einer Tochter der Volksbank Backnang. Auf dem alten Industriegelände sollen nun bald Wohnraum und Gewerbeflächen entstehen.

Das Vertrauen in den Rechtsstaat hat Jan-Willem Riezebos trotz der vielen unangenehmen Momente nicht verloren. Ich auch nicht. Mir als Journalisten werden die Bilder von den Männern und ihren Frauen, die Jochen Werz vor dem Firmentor kalt abfertigte, in Erinnerung bleiben. So viel Mut wie diese Menschen brauchte ich als Berichterstatter nicht aufbringen. Auch wenn ich die Arbeitstage, an denen die Rechtsabteilung unsere Artikel spät noch daraufhin prüfte, ob Jochen Werz uns für einzelne Formulierungen belangen konnte, nicht als die angenehmsten in Erinnerung behalten werde. Ich muss Jan-Willem Riezebos zustimmen, der es gut findet, dass das „Lex Werzalit“ nun auch andere Arbeitnehmer in Deutschland vor Missbrauch schützt.

Zur Person
Oliver von Schaewen hat nach einem Theologie-Studium in Münster und einem Volontariat in der Kirchenpresse in Osnabrück zunächst als Redakteur bei der Schwäbischen Zeitung in Riedlingen gearbeitet und kam 1997 zur Marbacher Zeitung. Er betreut dort die beiden Gemeinden Murr und Oberstenfeld und berichtet außer über kommunalpolitische Themen gerne über Menschen, die etwas Besonderes erlebt haben. Das Thema Mut hat er sich ausgesucht, weil er denkt, dass es bei manchen Themen zu starken Interessenkonflikten kommen kann und es zuweilen  Mut braucht, seine an Werten wie Gerechtigkeit und Menschlichkeit orientierte Meinung gegen  Widerstände zu vertreten.