Die Familie von Jochen Knoop (vorne) muss seit fünf Jahren für viele Leistungen selbst aufkommen und fühlt sich im Stich gelassen. Foto: dpa

Der Sturz bei einem Videodreh für die Erich Kästner Realschule verändert das Leben von Jochen Knoop. Das Bundessozialgericht in Kassel muss entscheiden, ob die Unfallkasse in Leistung treten muss.

Steinheim-Kleinbottwar - Es war der Bruchteil einer Sekunde, der das Leben von Jochen Knoop komplett veränderte: Nach einem Videodreh für eine Schulaufgabe wurde der damals 16-Jährige aus dem Steinheimer Stadtteil Kleinbottwar von einem Mitschüler angerempelt. Er stürzte mit dem Kopf auf den Bordstein. Ärzte retteten sein Leben. Seitdem sitzt der heute 20-Jährige im Rollstuhl. Doch die Unfallversicherung der Schule will nicht zahlen. Nach fünf Jahren Rechtsstreit hofft Familie Knoop nun auf ein höchstrichterliches Urteil.

Das Bundessozialgericht in Kassel befasst sich am 23. Januar mit der Frage, ob der Videodreh außerhalb der Schule ein Schulprojekt oder eine Hausaufgabe war. Bei Letzterem wäre der Vorfall außerhalb der Verantwortung der Schule gewesen. Deshalb lehnt die Unfallkasse Baden-Württemberg bisher eine Anerkennung ab. Jochen Knoops Anwalt, Michael Umbach aus Ludwigsburg, widerspricht: Es habe sich um eine schulische Veranstaltung gehandelt, die auf dem Lehrplan stand.

Der Anwalt hält ein Urteil für über den Fall hinaus bedeutend: „Schulische Projektarbeit wird es mehr und mehr geben“, sagt er. Denn die Intention sei, dass Schüler eigenverantwortlich arbeiteten. „Man kann nicht Projektarbeit immer weiter ausweiten und das Gefährdungspotenzial für Schüler erhöhen – und dann sagen, dass man sich der Verantwortung entzieht.“ Es gebe durchaus Urteile in vergleichbaren Fällen aus anderen Bundesländern, in denen zugunsten des Versicherten Recht gesprochen wurde. In Baden-Württemberg habe sich die Rechtsprechung nun auch im Sinne der Versicherten geändert. Im Jahr 2016 gab das Landessozialgericht Knoop Recht. „Das Wunder von Stuttgart“ nennt Umbach das Urteil.

Doch die Unfallkasse legte Revision ein. Laut dem Bundessozialgericht argumentiert sie, dass die Schule keine Möglichkeit der Einflussnahme auf den Dreh hatte. Daher liege er in der Verantwortung der Eltern des Opfers. Aufgrund des laufenden Verfahrens wollte sich die Unfallkasse in einer Presseanfrage zu diesem Artikel nicht äußern.

Jochen Knoop ist wütend auf die Versicherung: „Ich kann es nicht verstehen, Lehrer und Rektor haben selbst gesagt, es handelt sich um eine schulische Veranstaltung.“ Sein Leben habe sich durch den Unfall drastisch geändert: „Ich lag im Koma, meine Schädeldecke musste entfernt werden. Ich sitze nun überwiegend im Rollstuhl, besuche eine Schule für Körperbehinderte, brauche mehrmals die Woche Ergo- und Physiotherapie sowie Hilfe im Alltag“, sagt er.

Die Belastung trägt die Familie: Vater, Mutter und Bruder. Das sei enorm, sagt Mutter Elke: „Wir fahren Jochen umher, machen alle Wege für ihn.“ Laut Anwalt Umbach sind bisher allein der Familie Kosten „in einem guten fünfstelligen Bereich“ entstanden. Es gehe aber um mehr: „Es müsste nicht nur medizinische Rehabilitation bezahlt werden, sondern auch zum Beispiel Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, Leistungen zum Leben in der Gemeinschaft. Das trägt bisher die Familie in weiten Teilen allein, dafür wäre ihr Unterstützung zu zahlen.“ Auch eine Unfallrente sei nötig.

Vom Schüler, der geschubst hatte, ist laut Umbach wenig zu erwarten: „In diesem Fall bringt der Anspruch gegen die Verursacher für die finanzielle Absicherung nichts.“ Der Schüler habe eine Versicherung, die sich aber gegen die Inanspruchnahme wehre. Da der Anspruch gegen die Unfallkasse gerichtlich geklärt werde, sei der Prozess gegen die Haftpflichtversicherung aus gesetzlichen Gründen ausgesetzt und diese müsse in dieser Zeit nicht zahlen.

Jochen Knoop will in den nächsten drei Jahren sein Abitur machen. Weitere Operationen sind nötig. Ob sie dem 20-Jährigen helfen, ist nicht sicher. Die Familie hofft, dass zumindest im Streit mit der Unfallkasse bald ein Schlusspunkt gesetzt wird. „Für uns geht es wirklich um alles“, sagt der junge Mann.

Als Zeuge vor Gericht in Heilbronn hat Rainer Fröbel, der damalige Leiter der Steinheimer Erich Kästner Realschule, in der ersten Instanz ausgesagt. „Es war ein Video für den Musikunterricht“, sagt er, „und eine Verkettung unglücklicher Umstände“. Nach damaliger Meinung der Schule habe der Dreh einen „projektartigen Charakter“ gehabt und sei als „schulische Veranstaltung“ anzusehen. Eine Klärung des Falls ist aus Sicht Fröbels wichtig. „Wenn Gruppen für die Schulen ausschwärmen, sind sie draußen und sollten enstprechend abgesichert sein.“