Die Zeit mit der Familie und mit Katze Blue Berry tun Celine gut. Foto: Werner Kuhnle

Bei Celine Wissmann ist im April eine extrem seltene Form der Leukämie diagnostiziert worden. Die 13-jährige Steinheimerin steht vor einer hochdosierten Chemotherapie und hofft, dass sich ein Stammzellenspender für sie findet.

Steinheim - Sie ist eine Kämpferin. Eine, die gelernt hat, Disziplin zu halten und ihr Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Eine, die siegen möchte. Eine Sportlerin durch und durch. Ihr längster und schwerster Kampf steht Celine jedoch noch bevor: Der Kampf gegen den Krebs.

Am 9. April diesen Jahres, kurz vor der Konfirmation, verändert sich das Leben der Wissmanns von einer Sekunde auf die andere. Schon seit ein paar Tagen fühlt sich Celine nicht ganz wohl, ist irgendwie kraftlos und klagt über Schmerzen im linken Handgelenk. „Ich dachte, sie hat sich vielleicht bei der Karateprüfung verletzt“, erzählt die Mutter der 13-Jährigen, Silke Wissmann. An etwas Schlimmes dachte keiner. Die Orthopädin am Ort diagnostiziert einen kleinen Haarriss am Gelenk. An sich kein Drama, doch die Ärztin spürt, dass das nicht alles ist. „Sie kennt Celine und nahm gleich Blut“, berichtet Silke Wissmann. Um keine Zeit zu verlieren, bringt die 39-Jährige, die als OP-Schwester arbeitet, zusammen mit Celine die Proben gleich ins Labor nach Ludwigsburg. „Wir waren noch nicht mal daheim, da rief jemand vom Krankenhaus an und sagte, wir müssten sofort kommen. Die Laborwerte waren eine Katastrophe“, erinnert sich Silke Wissmann an den Moment, der ihr Leben auf den Kopf stellte.

Dann geht alles ganz schnell. Eine Ultraschalluntersuchung zeigt, dass Milz und Leber vergrößert sind. Silke Wissmann bekommt die Diagnose, die für jede Mutter ein Albtraum ist: Ihre Tochter hat Krebs. Da es in Ludwigsburg keine onkologische Abteilung gibt, fahren Silke und Michael Wissmann zusammen mit Celine noch am selben Abend ins Olgäle, wo sie schon von einem Ärzteteam erwartet werden. Der Hämoglobinwert ist unterirdisch. Er liegt gerade mal bei 4.8. Noch in der Nacht bekommt Celine die erste Blutkonserve. Als am nächsten Tag nach einer Lumbalpunktion feststeht, dass das zentrale Nervensystem schon befallen ist, wird sofort die erste Chemobehandlung direkt in das Rückenmark eingespritzt.

Die Diagnose Leukämie ist schlimm genug, doch die vierköpfige Familie muss noch mehr ertragen. Denn vier Tage später eröffnen die Ärzte den Wissmanns, dass Celine eine extrem seltene Form der Leukämie hat: Die akute lymphoblastische Leukämie (ALL). Und als ob das noch nicht genug wäre, steht kurz darauf auch fest, dass die 13-Jährige an einem Gendefekt, dem Philadelphia-Chromosom, leidet. Eine extrem riskante Kombination, die den Teenager in die Hochrisikogruppe der an Blutkrebs Erkrankten rutschen lässt. „Chromosome teilen sich millionenfach, bei jedem Menschen. Bei Celine ist irgendwann mal bei der Teilung ein Fehler passiert. Die Chromosome 9 und 22 brechen ab und erzeugen Mutanten. „Diese bilden Eiweiße, die die weißen Blutkörperchen sozusagen auffordern, sich unkontrolliert zu vermehren“, erklärt Silke Wissmann dem medizinischen Laien.

Siebeneinhalb Wochen verbringt Celine im Olgäle. Siebeneinhalb Wochen sieht sie nur kranke Kinder. Nicht alle überleben. Siebeneinhalb Wochen baut sie eine Mauer um sich herum auf. Redet kaum ein Wort. Vor allem die Nächte sind schlimm. „Ich konnte wegen den ganzen Geräten um mich herum nicht schlafen – und natürlich auch wegen den ganzen Gedanken, die mir durch den Kopf gegangen sind“, erzählt Celine.

Silke Wissmann ist jeden Tag in der Klinik. Von morgens früh um Sechs bis abends um Acht. Die Betreuung des zehnjährigen Sohnes Noah erfordert ein gutes soziales Netz – das die Wissmanns mit Freunden und Nachbarn Gottseidank haben. „Ich gründete eine Whatsapp-Gruppe, um alle auf dem Laufenden zu halten, wenn ich mal später heimkomme oder sich etwas zeitlich verschiebt.“ Silke Wissmann funktioniert und managt. Tag für Tag. Sie ist stark – für die Familie, für ihre Tochter.

Und die kämpft weiter. Auch gegen die Nebenwirkungen, die der Arzneistoff Imatinib auslöst. Schon am Tag nach der ersten Einnahme vor sieben Wochen beginnen die Krämpfe. Celine lagert Wasser ein, spuckt und kann nicht mehr laufen, geschweige denn ein Glas selbst halten. Zehn Kilo nimmt sie ab. „Da macht jemand zwölf Jahre Sport und dann sind auf einen Schlag die ganzen Muskeln weg“, sagt Mutter Silke und zuckt ratlos mit den Schultern. Eine befreundete Physiotherapeutin trainiert regelmäßig mit ihrer Tochter. Seit fünf Wochen steht und läuft der Teenager wieder selbstständig. Zweimal pro Woche geht es ins Krankenhaus, um die Blutwerte checken zu lassen und Bluttransfusionen zu bekommen.

Das Thema Schule hat sich seit der Diagnose nur zum Teil erledigt. Denn jeden Wochentag schaut ein anderer Lehrer vom Marbacher Friedrich-Schiller-Gymnasium bei der Achtklässlerin für ein, zwei Stunden vorbei und paukt mit ihr Mathe, Deutsch, Englisch, Chinesisch und Spanisch. Auch Arbeiten werden geschrieben. Für die Einser-Schülerin, die sich jetzt selbst noch schwedisch beibringt, ist das nicht wirklich ein Problem. „Das Lernen gibt ihr viel Kraft und ist ein kleiner Rest Alltag“, sagt die Mutter.

Die Hitze der vergangenen Tage schlaucht schon gesunde Menschen. Celine nimmt sie jedoch besonders mit. „Mir ist immer noch übel und immer wieder schwindelig“, erzählt sie und sucht die Kühle des Hauses, als das Thermometer gegen Mittag die 30-Grad-Marke überspringt. Eigentlich wäre sie am Dienstag operiert worden. Der Grund: Weil sie zehn Kilo abgenommen hat und die ganze Muskelmasse verloren gegangen ist, hat sich der am Oberkörper gelegte venöse Zugang gedreht. Doch Mutter und Tochter werden am Montag unverrichteter Dinge wieder nach Hause geschickt. „Die Immunabwehr war zu schwach“, erklärt Silke Wissmann, die hofft, dass der Eingriff am morgigen Freitag durchgeführt werden kann. Gleich danach beginnen drei sogenannte Hochdosisblöcke. „Das ist eine Hammerchemo, die jeweils über acht Tage geht – mit zehn bis 14 Tagen Pause dazwischen.“

Eine Hammerchemo, die Celine Angst macht. Vor allem der Gedanke, dass es wieder zu Lähmungen kommen könnte. „Wir hoffen, dass der Krebs danach besiegt ist“, sagt Silke Wissmann. Sollte sich auch nur eine Krebszelle finden, braucht Celine, die in drei Wochen 14 Jahre alt wird, Stammzellen.

Die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS) hat Celine in ihre internationale Knochenmarkdatei aufgenommen. Die Suche nach einem passenden Spender hat begonnen. Die Wissmanns machen auf allen ihnen möglichen Kanälen Werbung für Typisierungen. Viele Firmen haben sich schon registrieren lassen ebenso wie viele Kollegen von ihr, berichtet die 39-Jährige. Aber auch Celines Freunde, Mitschüler und Lehrer trommeln. Digital werden Flyer verschickt – mit der Bitte um Weiterleitung. Oder sie werden in Handarbeit in Briefkästen gesteckt. „Die Hilfsbereitschaft und der Zuspruch sind unwahrscheinlich groß. Damit hätten wir nicht gerechnet“, freut sich Silke Wissmann. Am Sonntag, berichtet sie, habe sogar jemand vom türkischen Verein aus Oberstenfeld angerufen und Hilfe angeboten.

Sollte aus der Datei bis in zwei, drei Wochen kein passender Spender gefunden sein, wird es eine Typisierungsaktion für Celine geben. „Wir müssen bis Ende August/Anfang September einen Spender gefunden haben – auch wenn wir ihn dann hoffentlich nicht brauchen, weil die Hammerchemo die Krebszellen alle vernichtet hat.“ Was passiert, wenn besagter Spender nicht gefunden wird? Daran mag die39-Jährige erst gar nicht denken.

So oder so werden weitere Chemotherapien folgen. In neun Monaten könnte dann alles erst einmal geschafft sein. „Wir wissen, dass es eine hohe Gefahr für einen Rückfall gibt und die Chancen bei 50 Prozent liegen, aber Celine hat so viel vor im Leben und so viele Ziele, die sie erreichen will – auch wenn sie durch die Krankheit jetzt erst einmal ausgebremst wurde“, sagt Silke Wissmann.

Das ersehnte Stipendium für einen einjährigen Aufenthalt in Amerika muss die Steinheimerin zumindest für die Zeit auf dem Gymnasium ad acta legen. Auch aus dem geplanten Austausch mit Oxford wird nichts. Und doch hat Celine einen großen Wunsch: Wenn die Akuttherapie geschafft ist, möchte sie mit der Familie nächstes Jahr vier Wochen in die USA reisen und Surfen lernen. „Das wäre toll“, sagt sie und lächelt.

Damit sich die Reisekasse füllt, haben ihre Mitschüler schon Geld gesammelt. Und vergangene Woche wurde für Celine ein Grillfest organisiert. Die 13-Jährige konnte zwar nur kurz bleiben, aber das Wiedersehen mit allen tat ihr gut. Es sind die kleinen Freuden, die der selbstbewussten, sympathischen, jungen Dame Kraft für den Kampf ihres Lebens geben.