Kurz vor der Rückreise im Bahnhof London Euston. Außer der Autorin (rechts außen) und Freundin Martina fuhr noch eine weitere Kommilitonin (links außen) mit zurück nach Deutschland. Foto: privat

Sabine Armbruster und ihre Kommilitonin hatten schon manches von der Freundlichkeit der Iren gehört.

Wir hatten schon manches von der Freundlichkeit der Iren gehört, als wir der Grünen Insel auf unserer Interrailtour im April 1985 einen Besuch abstatteten. Trotz allem hätten wir nie mit dem gerechnet, was wir dann kurz nach unserer Ankunft in Dublin erlebten.

Mit zwei riesigen roten Rucksäcken beladen,  hatten meine Kommilitonin Martina und ich auf der Fähre vom walisischen Holyhead nach Dun Laoghaire übergesetzt. Bis wir dort ankamen, lagen schon zwei Schwierigkeiten hinter uns: dem Mann am Fahrkartenschalter in Wales  klarzumachen, dass wir nach Irland, genauer gesagt nach Dun – äh – Dun Lao – äh – wie zum Kuckuck sprach man den zweiten Teil des Ortsnamens bloß aus? Seither wissen wir: „Dan lieri“ ist die korrekte Aussprache. Die zweite Schwierigkeit war der hohe Seegang, der dazu führte, dass die meisten Passagiere an Bord unfreiwillig die Fische fütterten. Wir dagegen waren von den oft kurzen Nächten in Jugendherbergen und Zug so müde, dass wir uns vom Schaukeln des Schiffs sanft in den Schlaf wiegen ließen. Bei unserer Ankunft leuchtete dann auch noch ein prächtiger Regenbogen über dem Hafen. Ganz eindeutig: Irland hieß uns willkommen! Die Fahrt mit der Straßenbahn von Dun Laoghaire ins Zentrum von Dublin klappte auch tadellos, jetzt mussten wir nur noch eine der insgesamt drei Jugendherbergen finden.

Das jedoch erwies sich als weit schwieriger als gedacht. Denn wir hatten von keiner der Jugendherbergen eine genaue Adresse und schon gar keinen Stadtplan dabei. Bei unseren vorherigen Stationen in Schottland und Wales hatten wir das auch nie gebraucht, weil immer einer der Passanten den Weg kannte. An Smartphone, Routenplaner oder Googlemaps war damals auch noch nicht zu denken. Was wir aber vorher nicht bedacht hatten: Die größte Stadt Irlands hat rund eine halbe Million Einwohner, fast so viel wie Stuttgart. Und da weiß auch längst nicht jeder, wo die Jugendherberge ist. Nachdem wir immer nur ein entschuldigendes Kopfschütteln auf unsere Frage geerntet hatten, die schweren Rucksäcke immer schwerer wurden und es mittlerweile schon dunkel geworden war, leuchtete uns ein blaues Schild der „Police“ entgegen oder vielmehr der „Garda Síochána“, wie die Nationalpolizei der Republik Irland in der gälischen Landessprache heißt.

Na, die müssten doch eigentlich die Adresse wissen, überlegten wir uns. Und heißt es nicht sowieso: „Die Polizei, dein Freund und Helfer“? Wir betraten also die Wache und brachten unser Anliegen vor. Hm, das sei nicht so einfach, hieß es. Man werde sich erst einmal erkundigen. Nach einigen Telefonaten teilten uns die Polizisten mit, die Jugendherbergen seien leider alle belegt. Ob wir eventuell auch ein Bed & Breakfast nehmen würden? Ja, klar, immer noch besser, als unter einer der Liffey-Brücken zu übernachten. Einmal würde unser knappes Studentenbudget das schon aushalten. Die Polizisten riefen also die Besitzerin eines Bed & Breakfast an, die glücklicherweise auch ein Zimmer für uns frei hatte. Doch als wir uns für die Vermittlung bedankten und den Weg dorthin erklären lassen wollten, schüttelten sie den Kopf: Es sei hier nicht ungefährlich für zwei Rucksacktouristinnen. „We’ll give you a lift“, erklärten sie uns. Und während wir noch halb ungläubig rätselten, ob sie damit wirklich meinten, dass sie uns hinbringen würden, öffnete einer der Polizisten schon die Tür und deutete auf das wartende Fahrzeug.

Bei dessen Anblick allerdings bekamen wir ganz große Augen. Denn was da stand, war nicht etwa ein normales Fahrzeug, sondern eine „Grüne Minna“. Genau genommen war es eine „Dunkelblaue Minna“. Aber trotzdem nichts anderes als ein kleiner Bus, in dem normalerweise Gefangene transportiert werden. Vorne saßen zwei junge Polizisten, hinter dem Gitter durften wir wie zwei Schwerenöter Platz nehmen. Handschellen legte man uns aber keine an. Dafür fragte einer der beiden mit einem breiten Grinsen, was wir eigentlich angestellt hätten – sie würden uns nämlich jetzt direkt ins Gefängnis fahren. Auch gut, meinten wir, Hauptsache, ein Dach über dem Kopf und ein ordentliches Frühstück am nächsten Tag. Notfalls würden wir dafür auch noch kurz ein Verbrechen begehen, damit wir auch rechtmäßig dort übernachten dürften. Ich glaube, so viel ist bei einem „Gefangenentransport“ noch nie gelacht worden.

Am Bed & Breakfast, das natürlich allen Scherzen zum Trotz das Ziel der Fahrt war, erwartete uns die sympathische ältere Landlady schon auf der Treppe vor dem Haus. Auch sie lächelte breit: „Mit so einem Fahrzeug sind bis jetzt auch noch nie Gäste zu mir gekommen.“

Wenn ich heute daran zurückdenke, muss ich nicht nur immer noch lachen. Auch die unglaubliche Gastfreundschaft und gänzlich unbürokratische Hilfsbereitschaft der Iren hat sich mir eingeprägt. Schön, dass es so etwas gibt.