Jens Knittel hat den Bildschirm stets im Blick. Foto: Werner Kuhnle

Mithilfe eines Kleinflugzeugs fotografiert und vermisst die Firma Geoplana Landschaften und Städte aus der Luft.

Marbach-Rielingshausen - Der eine setzt sich ans Steuer seines Autos, der andere nimmt Bus und Bahn, mancher schwingt sich aufs Fahrrad, um zum Arbeitsplatz zu kommen. Anders Jens Knittel. Er setzt sich hinter das Steuerruder einer einmotorigen Cessna 180. Sein Arbeitsplatz ist der Himmel.

Starten und landen, das tut der Geschäftsführer der Firma Geoplana nicht etwa am Stuttgarter Manfred-Rommel-Flughafen, sondern nahe des Firmensitzes auf einer Wiese zwischen Rielingshausen und Hinterbirkenhof. Ein Feldweg quert gar die firmeneigene Start- und Landebahn, nur ein Windsack lässt erahnen, dass hier Kleinflugzeuge starten.

Kurze Checks vor dem Start, der Propeller dreht sich – und der Flug kann beginnen. Beim Ritt über Löwenzahn und Sauerampfer holpert es zunächst ein wenig. Dafür wird es im Inneren der Cessna Sekunden später umso ruhiger, wenn sie sich hunderte Meter in der Luft befindet. Wie ruhig, zeigt, dass während des Flugs problemlos das Seitenfenster geöffnet werden kann. Während das sonore Motorenbrummen zu hören ist, wird das Bottwartal zur Miniaturwelt – und zwar zu einer wunderschönen. Links das Brezelmuseum und das Schiller-Nationalmuseum, rechts die Burg Lichtenberg. Und viele, viele Weinberge.

Doch Zeit, dies zu genießen, hat Pilot Jens Knittel kaum. Denn so unscheinbar der Flugplatz und die Cessna sind, so besonders ist die Arbeit, der er nachgeht. Er leitet das einzige Photogrammetrieunternehmen in Baden-Württemberg. Heißt: Mithilfe des Flugzeugs und einer am Rumpf angebrachten Kamera fotografiert er im Auftrag von Bundesländern, Kommunen oder der Industrie Gebiete aus der Luft – detailliert mit einer Pixel-Genauigkeit von fünf Zentimetern. Fotografiert werden Städte, Wälder, Flüsse und Seen, Steinbrüche und Deponien.

Die Mitarbeiter von Geoplana, dazu zählen beispielsweise Vermessungsingenieure und Geografen, setzen die einzelnen Bilder im Büro mithilfe des Computers und einer 3D-Brille wie bei einem Puzzle mit unzähligen Mausklicks zusammen und versehen sie mit allerlei Informationen. So entstehen detaillierte Kataster, Geländemodelle, Karten für Neubaugebiete oder 3D-Stadtmodelle wie das von Hamburg. Die Vielfalt kennt hier keine Grenzen: So kann dank der Aufnahmen ermittelt werden, wie großflächig die Lärmemission eines Firmengeländes ist oder wie viele Bäume durch einen Sturm in einem Wald abgestorben sind. Es kann um die Anzahl von Straßenlaternen, Mülleimern und Gullideckeln in einem Wohngebiet, die Größe eines Hausdachs, den Durchmesser von Baumkronen oder die Nutzfläche auf Verkehrsinseln gehen.

Damit auf Karten und Modellen keine Fläche ausgelassen wird, fliegt Jens Knittel stets in Schleifen über das zu vermessende Gebiet. Die sich unter ihm befindliche Landschaft sieht er auf einem Bildschirm, sodass jeder Quadratmeter abgelichtet werden kann. Das Fotografieren übernimmt die Kamera selbstständig.

Mit einem Anschaffungspreis im hohen sechsstelligen Bereich lässt die Kamera die Herzen von Technikfreunden höher schlagen: Während des Flugs entsteht alle zwei Sekunden ein 800-Megabyte-Foto, das parallel auf acht SD-Karten gespeichert wird. Eine Speicherkarte allein wäre für diese Datenmenge nicht schnell genug. Zum Vergleich: Ein Smartphone-Foto liegt meistens im einstelligen Megabyte-Bereich.

Mit seiner Cessna ist Jens Knittel zu 80 Prozent über Deutschland, aber auch über den Nachbarländern unterwegs. Immer dort, wo gutes Wetter angesagt ist. „Die Planung der Flüge ist nur kurzfristig möglich. Und erst am Vorabend kann man sicher sagen, ob das Wetter passt“, sagt er. Spielen die Verhältnisse mit, geht’s in die Luft – egal, ob Wochentag oder Wochenende ist. Oft auch im Rahmen eines mehrtägigen „Ausflugs“, wie jüngst an die Mecklenburgische Seenplatte und in die Lausitz. 1500  Kilometer kann die Cessna am Stück fliegen, rund 200 Stunden verbringt Jens Knittel mit ihr pro Jahr im Himmel.

Das kommt nicht von ungefähr: Bereits der Vater von Jens Knittel, Rudolf Knittel, war begeisterter Flieger. Er hatte zunächst Flugmotoren entwickelt, 1965 gründete er die Ingenieurgesellschaft Geoplana. Anfang der Siebziger wurde der Flugplatz in Rielingshausen in Betrieb genommen. Auch die noch aktive Cessna mit 6000  Flugstunden stammt aus dieser Zeit, wenn auch viele Einzelteile ausgetauscht worden sind. „Als Kind bin ich oft mitgeflogen“, erinnert sich Jens Knittel, der den Weg des Wirtschaftsingenieurs einschlug, die Firma 1989 aber doch übernahm. Heute beschäftigt er zwölf Mitarbeiter.

Über besondere Flüge könnte Jens Knittel ein Buch schreiben. Einmal brachte er sogar den Flugplan des Frankfurter Flughafens durcheinander, ließ den dortigen Lotsen den Schweiß auf der Stirn stehen. „Meine Aufgabe war es, eine Wasserstraßenkarte für Rhein und Mosel zu erstellen“, erinnert er sich. „Also bin ich bei Wiesbaden Schleifen geflogen und hatte ‚high priority’ – Vorflugrecht. Die Flugzeuge mussten kreisen, bis ich weg war.“

Einprägsam ist für ihn auch der Einsatz beim Hochwasser bei Deggendorf 2013 gewesen. „Es ging um die Dokumentation des Ausmaßes. Aus dem Wasser ragten nur die Dächer heraus, ich erinnere mich an eine Autobahn, die auf einer Länge von 200 Metern zur Insel wurde“, sagt Knittel. „Sowas bleibt schon hängen.“ Schön sind hingegen die Aufträge im Vorland der Alpen oder an der Küste von Nord- und Ostsee. „Aber auch der Schwäbische Wald hier ist toll.“

Und vor der Landung kann Jens Knittel ja auch noch mal den Anblick von Marbach und dem Bottwartal genießen – bevor er seine Cessna wieder auf Löwenzahn und Sauerampfer zum Stehen bringt.