Die Oberstenfelder Firma Werzalit steckt weiterhin in einigen Verfahren mit Arbeitnehmern. Foto: Archiv (Werner Kuhnle)

Auch in den zehn letzten Verfahren ist für die Beschäftigten entschieden worden. In anderen Bundesländern gibt es abweichende Urteile.

Oberstenfeld/Stuttgart - Auch in den letzten zehn Verfahren hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Stuttgart am Dienstag zugunsten der Werzalit-Mitarbeiter entschieden. Damit waren an acht Verhandlungstagen insgesamt 58 von ihnen erfolgreich. Eine einzelne Berufung hatte die 17. Kammer in der Verhandlung am 26. Februar aus rein formalen Gründen nicht zugelassen.

Seit Ende Februar hatten alle acht befassten Kammern gleich argumentiert: Die von Werzalit-Geschäftsführer Jochen Werz vorgenommenen Betriebsübergänge auf die später liquidierte Fertigungsgesellschaft FHK seien nicht als solche anzuerkennen. Die im Jahr 2014 von dieser Firma ausgesprochenen Kündigungen seien deshalb nicht wirksam, die entsprechenden Kündigungsschutzklagen dagegen erfolgreich. Die Arbeitnehmer seien nach wie vor bei Werzalit beschäftigt geblieben.

Eine Unterscheidung gab es allerdings: Während sieben Kammern keine Revision beim Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt zuließen, erkannte die zweite Kammer am 23. März eine grundsätzliche Bedeutung der Sache und ermöglichte den direkten Weg in die nächsthöhere Instanz, erklärt Ulrich Hensinger, Pressesprecher und Richter am LAG, der betont: „Jede Kammer ist in ihrer Einschätzung unabhängig.“ In den anderen Fällen habe Werzalit die Möglichkeit, eine Nichtzulassungsbeschwerde beim BAG einzulegen.

„Wir werden die Urteilsbegründungen prüfen und dann entscheiden“, antwortet Jochen Werz auf die Frage nach seinem weiteren Vorgehen. Er fühle sich bestärkt, weil das LAG Berlin-Brandenburg in einem gleich gelagerten Fall einer Berliner Tochterfirma anders entschieden habe. Im Urteilstenor werde festgestellt, „dass zwischen den Parteien über den 31. März 2011 hinaus ein Arbeitsverhältnis nicht bestanden hat und nicht besteht“. Der Betriebsübergang zum 1. April 2011 sei also bestätigt worden. Beim LAG Berlin-Brandenburg seien noch etwa 17 Verfahren anhängig. Dass in dem bereits entschiedenen Fall die Revision nicht zugelassen wurde, obwohl die Richter von den abweichenden Urteilen in Stuttgart wissen müssten, wundert Hensinger. In solchen Fällen sei es eigentlich zwingend, für die Urteile eine höchstrichterliche Klärung herbeizuführen.

Auch in Thüringen gibt es laut Werz noch circa acht laufende Verfahren. Das LAG Erfurt erklärt auf Nachfrage, dass das Arbeitsgericht Nordhausen als erste Instanz der Auffassung der Kläger gefolgt sei und festgestellt habe, „dass die Arbeitsverhältnisse weiterhin fortbestehen und die Firma Werzalit verpflichtet sei, die Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen“. Weitere, vor allem gegen andere Firmen gerichtete Anträge seien abgewiesen worden. Als erster Termin für die Berufungsverfahren an fünf Kammern sei der 17. Mai vorgesehen.

Werz führt zudem an, dass die Ludwigsburger Kammer des Arbeitsgerichts Stuttgart selbst zu unterschiedlichen Beurteilungen gekommen war. Hatte es zunächst bei der Mehrzahl der Fälle – Hensinger spricht von etwa 50 – im Mai noch zugunsten der Mitarbeiter entschieden, erfolgte im Juli eine Kehrtwende. Hensinger bestätigt, dass in allen Fällen der Vorsitzende Richter identisch gewesen sei. Ob die abweichenden Urteile auf eine Überstimmung durch die beiden ehrenamtlichen Richter zurückzuführen seien, dürfe er nicht sagen. In der Urteilsbegründung sei aufgeführt gewesen, dass neuere Rechtsprechung berücksichtigt wurde.

Ein Blick zurück: Im Jahr 2011 lagerte Werzalit in Oberstenfeld seine Mitarbeiter in die neu gegründete Gesellschaft Fertigungsgesellschaft Holz-Kunststoff FHK GmbH & Co. KG aus. Die Stuttgarter Richter erkannten die Übergänge nicht an, „weil die FHK den Betrieb der Werzalit nicht übernommen hat“. Das Eigentum sei immer bei Werzalit geblieben, „die FHK hat praktisch nur als verlängerter Arm fungiert“, so Hensinger. Dieser Einschätzung hatte die Anwältin von Werzalit stets widersprochen. Es habe sich um „eine Form der unternehmerischen Zusammenarbeit gehandelt, die zu einer Aufteilung geführt hat“, so ihre Argumentation. Zudem seien die Mitarbeiter über den Übergang im Jahr 2011 informiert worden. Erst vier Jahre später dagegen vorzugehen, sei zu spät.

Nachdem die erste Instanz in den meisten Fällen festgestellt hatte, dass die Arbeitsverträge nicht geendet hatten, kündigte die Firma den Beschäftigten. Erst durch eine Zwangsvollstreckung gelangten sie wieder aufs Firmengelände. Auf Vermittlung eines Mediators hatten sich beide Seiten dann geeinigt, die Zwangsvollstreckung auszusetzen.

Kommentar: Ein deutliches Zeichen Das Landesarbeitsgericht Stuttgart hat Werzalit
in den vergangenen Monaten Grenzen aufgezeigt. Fraglich ist, wie die Bundesrichter entscheiden. Von Sabine Rochlitz

Oberstenfeld/Stuttgart - Nein, überraschen können die am Dienstag gesprochenen Urteile in den letzten zehn Berufungen vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) nicht. Denn schon in den bis dato verhandelten Fällen hatten die Stuttgarter Richter inhaltlich stets zu Ungunsten von Werzalit entschieden. Lediglich eine Berufung war aus rein formalen Gründen für nicht zulässig erachtet worden. Die von Geschäftsführer Jochen Werz im Jahr 2011 vorgenommenen Betriebsübergänge auf die später liquidierte Fertigungsgesellschaft FHK seien ungültig, meinten – obwohl jeweils unabhängig in ihrer Bewertung – acht Kammern der zweiten Instanz. Eindeutiger kann eine Niederlage wohl kaum ausfallen.

Wer glaubt, dass die Sache damit abgeschlossen sei, irrt vermutlich. Jochen Werz kündigte gestern zwar an, erst nach Vorliegen der Urteilsbegründungen über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Dass der Unternehmer an seiner Linie festhalten wird, dürfte indes zu erwarten sein. Schließlich brauchte es erst gutes Zureden der Richter des LAG Stuttgart, damit er den Beschäftigten, die erfolgreich in erster Instanz gegen ihre Kündigung vorgegangen waren, das Arbeiten wieder ermöglichte.

Dass das LAG in zwei Verfahren den Weg in die nächste Instanz direkt ebnete, weil es der Sache grundsätzliche Bedeutung beimisst, werden die 58 Betroffenen – aus ihrer Sicht zu Recht – bedauern. Müssen sie doch weiterhin in einem unsicheren Rechtszustand ausharren. Dennoch ist es vermutlich eine weise Entscheidung. Denn Werz hätte sowieso die Möglichkeit zur Nichtzulassungsbeschwerde gehabt.

Wie der Unternehmer anführt, hätte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg in einem gleich gelagerten Fall anders entschieden. Auch vom LAG Erfurt erwartet sich Werz Bestätigung. Es wird also letztlich nötig werden, dass die Bundesrichter entscheiden. Denn es braucht eine höchstrichterliche Klärung, ob Firmen auf Umwegen ihre Mitarbeiter loswerden können.