Die Mitarbeiter des Landratsamtes haben sich Fragen gestellt. Foto: Oliver von Schaewen

Das Interesse an Informationen über das geplante Flüchtlingslager in Oberstenfeld ist immens. Rund 800 Bürger strömen am Montagabend zu einer Infoveranstaltung in die Mehrzweckhalle – es fallen deutliche Worte.

Oberstenfeld-Gronau - Kaum noch ein Parkplatz ist in Gronau an diesem verregneten Montagabend zu bekommen. Mehr als 800 Gäste füllen die Mehrzweckhalle. Geduldig hören sie sich zunächst die Vertreter des Landratsamts Ludwigsburg an. „Wir ergreifen jede Hand, die sich uns entgegenstreckt“, sagt Gerhard Klomfass, der mit seinen Mitarbeitern das umstrittene Grundstück im Gewerbegebiet Lichtenberger Straße akquiriert hat, um 100 Flüchtlinge unterzubringen und den Bürgern jetzt Rede und Antwort steht.

Das Team von Klomfass zeigt Folien mit aktuellen Zahlen. Der Anstieg der Flüchtlinge im Landkreis ist drastisch. Sie werben um Verständnis für die Neuankömmlinge aus den Krisengebieten. „Die Menschen riskieren alles, was sie haben: ihr Leben“, sagt der Sozialarbeiter Erol Schirin. Er kenne auch die Ängste der Einheimischen vor den Fremden. Aber wer sich auf sie einlasse, lerne sie näher kennen. „Oft befreunden sie sich sogar.“ Er habe in 25  Jahren seiner Tätigkeit im Landkreis keine negativen Schlagzeilen über Flüchtlingsheime lesen müssen. Man versuche auch, Menschen mit ähnlichen Kulturen und Sprachen in den Unterkünften zusammenzubringen, um Konflikte zu vermeiden. Eine weitere wichtige Botschaft: Gemeinden, die in der Erstunterbringung dem Landkreis helfen, werden in der Anschlussunterbringung entlastet.

Der Vortrag des Podiums ruft aber nicht das erhoffte Verständnis hervor. Zu tief sitzt der Frust über die vollendeten Tatsachen, vor die vor allem die Anwohner im Gebiet Lichtenberger Straße vor zwei Wochen bei Vertragsabschluss mit dem Wiesenbesitzer gestellt worden waren. Als ungerecht empfinden die Kritiker besonders das Beugen geltenden Baurechts in ihrem Gewerbegebiet. „Wir kennen diese Zahlen schon aus der Presse“, sagt Andrea Schäfer von der Initiative für Menschenwürde, die sich wiederholt gegen die Unterbringung in Zelten oder Containern auf dem Grundstück geäußert hatte (wir berichteten). Wie viele andere Gäste vermisst sie eine Folie mit einem detaillierten Plan des Containerdorfs.

Auf Nachfrage erfährt Andrea Schäfer, dass in den 28  Containern mit je 14,4  Quadratmetern für drei oder vier Personen wegen „familienbedingter Leerplätze“ nicht alle 112  Plätze belegt werden. Aber nicht nur Andrea Schäfer hat Fragen. Auch andere Bürger äußern sich: „Wie sieht es mit einem Wachdienst aus?“, fragt jemand. Nach Fluchtwegen wird sich erkundigt und danach, ob sich jemand kümmere, wenn es Probleme in der Unterkunft gebe.

Ein Sozialarbeiter und ein Hausmeister würden ständig da sein, erfahren später die Gäste in der Mehrzweckhalle. „Werben Sie um Verständnis“, bittet Gerhard Klomfass. „Die Asylbewerber wollen ihnen nichts Böses. Sie sind froh, wenn ihnen offen begegnet wird.“ Verwundert reagieren die Bürger allerdings, als Klomfass Fragen nach einem Sicherheitskonzept damit beantwortet, dass er das als „Hausaufgabe“ für Gespräche mit der Polizei mitnehme. Auch Bedenken zum Verkehr an der einzigen Zufahrtsstraße ins Gewerbegebiet weicht er aus: Dafür sei ein anderer Fachbereich zuständig. Später muss sich Klomfass von Martin Rupflin vorhalten lassen, dass seine Behörde „völlig unvorbereitet“ ist. „Ich mache meine Hausaufgabe, bevor ich in die Schule gehe“, sagt Rupflin. Keiner habe etwas gegen Flüchtlinge, die unterkommen und geschützt werden wollen – man könne aber die Bürger mit einer solchen Planlosigkeit nicht beruhigen. „Bestellen Sie dem Landrat einen Gruß: Ich vermisse ihn!“ Rainer Haas weile dienstlich im Ausland war am Tag nach der Veranstaltung aus dem Kreishaus zu erfahren.

Eine vermittelnde Rolle nimmt an dem Abend in Gronau der Oberstenfelder Bürgermeister Markus Kleemann ein. „Wir müssen ruhig und sachlich bleiben“, fordert er auf – die Gemeinde müsse jetzt das Beste aus der Situation machen und versuchen, die Flüchtlinge zu integrieren. Dazu sei der ökumenische Arbeitskreis geeignet, der am Mittwoch gegründet werde.

Als einziger Parlamentarier hat sich der SPD-Landtagsabgeordnete Thomas Reusch-Frey auf den Weg in die Gronauer Mehrzweckhalle begeben. Er bedankte sich bei Markus Kleemann für dessen umsichtige Arbeit und dass er sich für eine Willkommenskultur in Oberstenfeld einsetze. Entgegen der heftigen Kritik der Bürger an den Mitarbeitern des Landratsamtes („Ich habe das Gefühl, wir werden hier aufgespießt“, sagt später eine) wirbt Reusch-Frey um Verständnis: „Es ist nicht selbstverständlich, dass man sich stellt – ich sehe manche zitternde Hände.“ Es sei wichtig, die Karten auf den Tisch zu legen – „auch wenn man nichts weiß“. Auch die Bereitschaft, sich auf neue Menschen einzulassen, sei nicht selbstverständlich. Deshalb begrüße er die Gründung des Arbeitskreises.

Auch nach dem Beitrag des Politikers prägt Unverständnis die weiteren Wortmeldungen. Von Angst ist die Rede, von Misstrauen, dass doch noch Zelte aufgestellt werden. Es klingen mögliche Verkehrsprobleme mit Flüchtlingen an, die womöglich Vorschriften nicht kennen. Frust herrscht auch darüber, dass manch andere Kreiskommune noch kaum Flüchtlinge aufgenommen habe. Ein enttäuschtes Fazit zieht der Bürgermeister. Oberstenfeld habe bereits 65 Asylbewerber untergebracht. Er habe mit dem Gemeinderat nach Alternativen überlegt, doch wäre dies laut Landratsamt kein Ersatz, sondern angesichts des Flüchtlingsandrangs nur ein Zusatz. Die Gemeinde wolle sich aber nicht noch mehr als die 100 neuen  Flüchtlinge aufhalsen. Nach weiteren Wortbeiträgen verlassen die Bürger die Halle und drängen diskutierend in den abendlichen Regen.