Die Lichtenbergschule ist der Oberstenfelderin Ulrike Kemmer in den ersten Monaten ihrer neuen Tätigkeit schon ans Herz gewachsen. Foto: Oliver von Schaewen

Die Rektorin der Lichtenbergschule, Ulrike Kemmer, zieht im Interview mit Redakteur Oliver von Schaewen nach dem ersten halben Jahr Bilanz.

Oberstenfeld - Die Rektorin Ulrike Kemmer hat das erste Schulhalbjahr an der Oberstenfelder Lichtenbergschule hinter sich. Die ehemalige Werkrealschule bietet als Grundschule einige Problemfelder. Die Schulleiterin zieht eine erste Bilanz.

Wie war das erste halbe Jahr für Sie?
Ich habe mich von Anfang an sehr wohl gefühlt. Das Schöne ist die Nähe zum Wohnort. Ich sehe morgens die Kinder schon auf dem Schulweg – und damit den Ort auch ganz anders, wenn mir die Schüler etwa auch mit ihren Familien beim Einkaufen begegnen. Da spüre ich noch mehr Verbundenheit als noch in Mundelsheim, wo ich immer nur zum Arbeiten hingefahren bin.
Fühlen Sie sich als Oberstenfelderin für die Schule im Heimatort verantwortlicher?
Auf jeden Fall. Ich bekomme mehr mit und lasse mich stärker auf die Menschen und ihre Hintergründe ein. Erlebe zum Beispiel die Kinder mit ihren Eltern in ihren Lebenszusammenhängen. Ich kann mich dadurch mehr einbringen.
Dann erleben Sie die lebendige Ortsmitte als positiven Treffpunkt und nicht als Verlängerung der Arbeitswelt?
Ich bin gerne dort. Die Oberstenfelder sind sehr zurückhaltend – es ist nicht so, dass ich zwischen den Milchregalen irgendwelche schulischen Probleme wälzen muss.
Sie waren in Mundelsheim Rektorin – was ist in Oberstenfeld ähnlich?
Das Schicksal der Schulen ist ähnlich. Beide waren Werkrealschulen und haben um ihren Erhalt gekämpft. An beiden Wirkungsstätten erlebe ich eine Art Schmerz, dass man das Ruder nicht noch einmal herumreißen konnte.
Die Eltern haben ihre Kinder an andere Schulen geschickt, Sie persönlich trifft bestimmt keine Schuld, eher die Landespolitik?
Die Eltern haben so entschieden! Wir haben oft sehr positive Rückmeldungen bekommen, wenn wir unsere Schule präsentiert haben. Die Eltern kamen und sagten: Ihre Schule hat mir wirklich gut gefallen, aber es ist halt nur eine Werkrealschule. Die Eltern hatten nur die Abschlüsse im Blick. Letztlich wurde in Mundelsheim wie in Oberstenfeld dann eine Entwicklung in Richtung Ganztagsschule eingeschlagen.
Wie zufrieden sind Sie mit dem Ganztagsbereich in Oberstenfeld?
Wir sind gut aufgestellt, das Gesamtpaket ist sehr an den Bedürfnissen der Eltern orientiert. Es gibt ein erweitertes Bildungs- und Betreuungsangebot. Außerdem sorgt die Gemeinde für ein offenes Angebot, bei dem die Eltern noch Kernzeit und Hort dazu buchen können. So können sie die Kinder hier gut aufgehoben wissen.
Wie geht es den Kindern damit?
Die Kinder, die ich hier ganztags erlebe, fühlen sich sehr wohl. Sie haben schöne Räumlichkeiten. Wir haben erst kürzlich wieder zusätzliche Spiel- und Beschäftigungsangebote angeschafft, sodass sie vielerlei Anregungen finden. Sie bauen vor allem gerne miteinander: Kinder, die vormittags sonst nicht in Erscheinung treten, haben auf einmal eine Bühne. So hat ein sonst eher nicht so kooperativer Junge die anderen richtiggehend beim Bauen angeleitet und eine ganz neue Fähigkeit an sich entdeckt – wir übrigens auch!
Nicht alle Eltern wollen Ganztagsunterricht. Wie kommen Sie ihnen entgegen?
Wir sind eine Ganztagsschule mit Wahlangebot. Wer überzeugt davon ist, kann es in Anspruch nehmen. Andere können die Kinder nachmittags nach Hause nehmen. Beides hat seine Berechtigung. Wobei mir auffällt: Diese Kinderhäuflein, die sich nachmittags auf der Straße treffen, die gibt es ja gar nicht mehr. Jeder ist irgendwo unterwegs – hier sind mehrere Kinder beisammen, die gemeinsam etwas spielen können: drinnen und draußen. Dazu müssen sie nicht lange herumtelefonieren – die Freunde sind einfach da. Und auch über Klassen hinweg: Die großen Mädchen etwa adoptieren praktisch die Erstklässler und fühlen sich verantwortlich. Das ist schön zu beobachten.
Wie viele der Kinder sind in der Ganztagsbetreuung?
Etwa ein Drittel. Ich denke aber, dass sich das verändert. In Gronau gab es diese Betreuungsmöglichkeit vorher nicht, weil die Ganztagsschule nicht vor Ort war. Ich habe aber schon den Eindruck, dass die Kinder schauen, was es da so gibt und kann mir vorstellen, dass nächstes Jahr noch mehr Anmeldungen aus Gronau kommen.
Es hieß seitens der Verwaltung, die Eingliederung der Gronauer und Prevorster Schüler sei gelungen. Können Sie das bestätigen?
Ich kann das bestätigen: Die Kinder sind gut angekommen. Sie betrachten diese Schule jetzt als ihre Schule. Der große Schulhof hat sie überzeugt, es gibt hier viel mehr Platz. Es ist ihre positive Einstellung. Einige haben mir sogar gesagt, sie seien stolz darauf, Buskinder zu sein: dass sie so selbstständig sind und dass es ihnen gelingt, mit dem Bus hin- und wieder zurückzufahren. Inzwischen stellen sie sich auch an – nach dem Reingedrängel am Anfang hat sich da etwas entwickelt: Man ist höflich und lässt andere auch vor. Das haben wir trainiert und gefragt: Bei was fühlst du dich besser: bei Gedrängel oder bei ruhigem Einstieg?
Die anfängliche Aufregung um die Busfahrten hat sich also gelegt?
Wir haben gemerkt, dass wir dazugelernt haben und es nach jedem Zwischenfall ein bisschen besser lief.
Wird die positive Einstellung von den Gronauer und Prevorster Eltern mitgetragen?
Am Anfang waren die Eltern noch sehr enttäuscht – vielleicht hat man da sogar darauf gewartet, dass etwas schiefgeht. Aber das Denken hat sich schnell gewandelt. Die Eltern haben gemerkt, dass sie die Kinder unterstützen, wenn sie positiv denken. Wir hatten dann auch noch mal Gespräche mit Eltern, nachdem einiges schiefgegangen war – was aber völlig natürlich ist. Wer täglich Bus fährt, weiß, dass ein Bus auch mal zu spät kommen kann. Einmal hatte ein Bus auch einen Schaden, er musste alle Kinder ausladen und ein neuer fuhr mit ihnen weiter. Ein Erstklässler ist mal aus Versehen ein Stück weiter gefahren – ist aber selbstständig wieder zurückgekommen, was ich sehr gut von ihm fand. Es geht um solche Vorkommnisse, aus denen wir lernen. Es hat sich inzwischen vieles eingespielt, wir haben Notfallstrategien entwickelt: Wenn etwa ein Bus mehr als fünf Minuten über die Zeit ist, rufen wir an oder wir informieren die wartenden Eltern in Gronau.
Und das klappt?
Ja, meistens. Letzte Woche haben sich einige Viertklässler verselbstständigt und sind zu Fuß nach Gronau gelaufen. Wenn sie das noch mit Ankündigung machen würden, hätten wir keine Probleme. So sind wir aber am telefonieren und machen. Letztlich sind das aber kleine Probleme. Man merkt trotz der Aufregung: Die entdecken ihre Abenteuerlust (schmunzelt).
Die Gemeinderäte wollten eigentlich den Schulhof großzügiger erneuern, haben dann aber mehrheitlich einen Rückzieher gemacht. Wie denken Sie darüber?
Es hat mich überrascht. Natürlich verstehe ich, dass man auch solche Schritte tun muss. Es war keine willkürliche Entscheidung. Die Räte hatten ihre Gründe – auch wir lernen daraus, dass wir nicht alles bekommen, was wir gerne hätten und dass man manchmal warten muss. Persönlich hätte ich mir gewünscht, dass dieses Klettergerüst aus Gronau aufgestellt werden kann, weil wir schon ein paar Kinder mehr auf dem Schulhof haben und der Pausenhof dadurch noch attraktiver geworden wäre. Allerdings ist der Pausenhof auch so noch sehr bewegungsförderlich, und man kann dort gut spielen.
Der Schulhof ist also nicht total trostlos und heruntergekommen, wie es in einem Presseartikel dargestellt wurde?
Nein – es müssen sicherlich zurzeit ein paar Ausbesserungsarbeiten vorgenommen werden, aber es ist ein Schulhof, der für Kinder attraktiv und bespielbar ist. Ich denke auch, dass es noch Hoffnung gibt. Dieses Klettergerüst existiert ja noch. Wir müssen einfach prüfen, ob wir es vielleicht anders organisieren können. Natürlich muss an den Fallschutz gedacht werden, man kann nicht einfach drauflos werkeln. Möglicherweise können aber die Eltern trotzdem einen Beitrag leisten und wir alle eine gemeinsame Aktion daraus machen. Das wäre auch für die Kinder etwas Besonderes. Da sind Überlegungen im Gange.
Wie stufen Sie die Barrierefreiheit auf dem Schulgelände ein? Gerade darauf hatte der Gemeinderat beim Beschluss ja sein Hauptaugenmerk gerichtet.
Der beschlossene Bau des Verbindungswegs ist eine gute Sache. Wir haben noch keine Inklusionskinder hier, aber wir müssen uns peu à peu darauf vorbereiten. Der Übergang zwischen den Schulgebäuden in der Mitte hat aus meiner Sicht aber nicht höchste Priorität. Ich habe größtes Vertrauen in den Gemeinderat, dass er diesbezüglich Lösungen findet.
Wie gefährlich schätzen Sie die immer wieder im Gemeinderat genannten Schnellradler auf dem Pausenhof ein?
Während des Schulbetriebs habe ich nichts Gefährliches bemerkt. Es sind ja Barrieren dort, die wegen des Winterdienstes zurzeit offen stehen. Der Hausmeister ist aber sehr hinterher. Er lässt jeden absteigen – es sind eigentlich immer die gleichen Leute. Wenn man es ihnen allerdings freundlich sagt, halten sie sich auch daran.
Schön, dass Sie mit Freundlichkeit weiterkommen. Inwieweit macht sich eigentlich die Anwesenheit von Flüchtlingskindern in der Schule bemerkbar?
Im Moment haben wir acht Flüchtlingskinder. Sie sind in einer Vorbereitungsklasse, in der sie Deutsch lernen und gut aufgehoben sind. Sie lernen dort den Grundwortschatz und haben eine Art Nest. Sie werden von Anfang an auch einer anderen Klasse zugewiesen und machen Fächer wie Sport mit, wo es noch nicht so sehr auf die Sprache ankommt. Insgesamt fallen sie sehr positiv auf, weil sie unglaublich freundlich sind. Sie grüßen und kommen auf einen zu, sind neugierig, aufgeschlossen und die meisten werden von ihren Eltern sehr unterstützt. Sie versuchen alle Ratschläge zu befolgen, die wir ihnen geben. Eine syrische Mutter möchte sogar bei uns in der Schule nachmittags mithelfen. Die Eltern wollen sich integrieren und leben das vor: diese Freude, hier sein zu dürfen und dankbar zu sein. Alle strengen sich unheimlich an, Deutsch zu lernen.
Blicken wir in die Zukunft. Was setzen Sie sich für Ziele?
Im Moment ist Kontinuität und Ruhe dran. Die Schule ist zuvor schon gut geführt worden, gerade auch in den eineinhalb Jahren der Vakanz, in denen unsere Konrektorin Marie-Luise Wenninger sie leitete. Ich persönlich spüre nach, was hier ist – und das ist viel. Wichtig ist, dass wir gemeinsam handeln, die Kinder im Blick haben: Wir haben viel damit zu tun, den neuen Bildungsplan umzusetzen. Als Kollegium überlegen wir etwa an einem pädagogischen Tag, wohin wir in der Zukunft wollen. Die Schule war schon sehr als Werkrealschule geprägt. Jetzt definieren wir uns als Grundschule. Das heißt, wie legen wir eine Basis für lebenslanges Lernen: Was wollen wir den Kindern für ihr Leben mitgeben? Das sollten wir gemeinsam im Auge behalten.